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Berlin: Abschied von Tino Schwierzina

Auch Johannes Rau kam zum Trauergottesdienst für den einzigen frei gewählten Oberbürgermeister Ost-Berlins

Als die Glocken zu läuten beginnen, drängt sich ein alter Mann an den Sicherheitsleuten in der ersten Reihe der St. Josef Kirche vorbei. Er beachtet die versammelte Politprominenz nicht, legt eine Rose vor den Sarg von Tino Schwierzina, hält kurz inne und geht wieder nach hinten. St. Josef ist keine kleine Kirche. Aber an diesem Montag reichen die Sitzplätze nicht.

Um kurz vor elf war der Mercedes mit der Nummer 0-1 durch die engen Straßen des Weißenseer Altbauviertels gerollt und hatte den Bundespräsidenten zum Trauergottesdienst gebracht. Johannes Rau nahm in der ersten Reihe Platz. Neben Klaus Wowereit, Walter Momper, Peter Strieder, Eberhard Diepgen, Harald Wolf und vielen anderen. Tino Schwierzina war eben nicht nur irgendein Lokalpolitiker.

„Liebe Brigitte, lieber Ivo“, beginnt der Regierende seine Rede. Wowereit wendet sich direkt an Witwe und Sohn des Toten. Dann spricht er zwar vor allem über den Politiker Schwierzina – aber er hält keine politische Rede, sondern eine persönliche. Wowereit erinnert an den Wirtschaftsjuristen Schwierzina, der 1989 die Ost-SDP/SPD mitgründete und bald als uneitler, pragmatischer Oberbürgermeister das eigene Amt abschaffte. Denn Schwierzina sollte nicht nur das einzige frei gewählte Ost-Berliner Stadtoberhaupt sein, sondern zugleich das letzte vor der Wiedervereinigung. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Magistratskanzlei – und etliche von ihnen arbeiten noch heute in meinem Haus – erinnern sich dankbar an die Fairness und Redlichkeit, mit der sie behandelt wurden“, sagt Wowereit.

Walter Momper erinnert daran, wie er mit Schwierzina 1990 in der öffentlichen Wahrnehmung das Duo „Schwierzomper“ bildete, obwohl sie sehr unterschiedliche Persönlichkeiten gewesen seien. Momper bezeichnet den Toten als „pragmatischen Optimisten“ – und vermutet, dass nur ein zufällig in die Politik geratener Mensch diese Eigenschaften haben könne.

Was Momper meinte, illustriert Knut Herbst als letzter Redner. Auch er gehörte zu den Gründern der SDP, in der Schwierzina Schatzmeister war. „Wenn ihr mir das zutraut, dann mache ich das“, habe Schwierzina immer gesagt. Anderswo sei der Osten beigetreten, aber in Berlin habe man sich geeinigt. Dank Schwierzina. Jedes Jahr am 30. Mai hätten sich die alten Freunde getroffen, um Schwierzina zu feiern: Nicht nur dessen Geburtstag, sondern auch seine Wahl zum Oberbürgermeister vom 30. Mai 1990. Zuletzt bremsten die schwindenden Kräfte den herzkranken Tino Schwierzina.

Es muss ihm sehr schlecht gegangen sein in letzter Zeit. Am 29. Dezember starb er im Alter von 76 Jahren. Gestern Nachmittag wurde er auf dem St. Hedwig-Friedhof in Weißensee beigesetzt. Statt um Blumen hatte seine Familie um Spenden für den Tierpark gebeten.

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