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Blick auf die Kreuzung Potsdamer Straße Kurfürstenstraße.

© Doris Spiekermann-Klaas

Abriss von LSD und Woolworth: Ein Experiment in der Potsdamer Straße

Der Sexshop und das Kaufhaus im Problemkiez könnten bald verschwinden. Unser Autor spekuliert, was das für die „Potse“ bedeuten könnte. Eine Glosse.

Bei allem Widerwillen gegen angebliche Berliner Herz-mit-Schnauze-Spitznamen: Die Potse heißt ja wirklich so. Wir als Tagesspiegel-Leute, die dort zum Teil jahrzehntelang gearbeitet haben, können das beurteilen, wenngleich manche alte Erinnerung trügen mag.

Aber es kann keinen Zweifel daran geben, dass zwei markante Gebäude, das alte Wegert-Haus und der Woolworth-Flachbau gegenüber, das Erscheinungsbild der Potsdamer Straße geprägt haben – an dieser Ecke stießen immer Straßenstrich und bürgerliche Einkaufskultur rabiat zusammen, es gab hochwertige Möbel, Fotogeräte, modernes Küchendesign neben Fast Food und Döner in allen Varianten, und dazu auf Wunsch billigen Sex. Als Foto-Radio-Wegert, einer der ganz großen West-Berliner Traditionsbetriebe, durch ein Erotik-Kaufhaus ersetzt wurde, befürchteten viele Anwohner ein weiteres Absinken; genauso war es, als 2008 der Tagesspiegel ging.

Es kam anders, aber nun könnte sich noch einmal alles verändern. Ein Sprecher des Immobilien-Projektentwicklers SPG hat jetzt bestätigt, dass die Firma beide Grundstücke, Wegert und Woolworth gegenüber, gekauft hat, und das ganz sicher nicht, um alles so zu lassen, wie es ist. Eine schnelle Veränderung ist eher unwahrscheinlich, weil gleich zwei Bezirksverwaltungen, nämlich Mitte und Tempelhof-Schöneberg, eingebunden sind, aber dennoch dürfte es auf mittlere Sicht der Anfang eines spannenden stadtsoziologischen Experiments sein.

Warum? Weil die Ecke Potsdamer/Kurfürstenstraße nicht nur das Herz der Gegend, sondern auch eine soziale Scheidelinie ist. Denn der bemerkenswerte und ganz unbestrittene Aufschwung der Potsdamer findet ja im Grunde bisher erst im kleinen Abschnitt zwischen Pohl- und Lützowstraße statt, das ist die Viertelmeile der neuen Restaurants und Designershops mit dem Porzellanhersteller Hering als letztem Neuzugang. Weiter in Richtung Schöneberg hat sich viel weniger verändert, dort kann von Gentrifizierung oder auch nur schlichter Aufwertung kaum die Rede sein.

Bitte keine Groß-Shopping-Strukturen

Es wird also darauf ankommen, was auf den beiden Grundstücken gebaut wird. Die nächsten großen Filialisten stapeln sich am Potsdamer/Leipziger Platz, die braucht hier niemand. Die Rückkehr des Vorhandenen würde, vom Erscheinungsbild abgesehen, nichts verändern, aber die Zeit der Sex-Shops dürfte ohnehin vorbei sein.

Interessant mag der Vergleich mit dem ehemaligen „Zoofenster“ sein, einer Schmuddelecke mit Erotikmuseum und Pornokino in bester Lage. Dort dominiert nun im Neubau der Billigst-Textilhändler Primark, alles sieht edler aus, aber von einer nachhaltigen Aufwertung kann im Grunde keine Rede sein, die Läden gegenüber im Waldorf-Block stehen weiter weitgehend leer.

Am besten für die Potsdamer Straße wäre wohl, wenn die Neubauten nicht nur schnell kämen, sondern durch kleinteilige Gliederung, neuen Einzelhandel und neue Wohnungen auch eine Brücke zum abgehängten Teil schlagen und dort neue Energie stimulieren könnten. Starre Groß-Shopping-Strukturen gibt es am Potsdamer Platz schon mehr als genug.

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