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Zu bunt für die einen. Wer in der Rigaer Straße wohnt, muss mit Szenen wie dieser aus dem Juli 2016 leben.

© dpa

Abrechnung mit Rigaer Straße in Berlin: Keine Nacht für niemand!

Fünfeinhalb Jahre lang ließ sich unsere Autorin in der Rigaer Straße den Schlaf rauben. Was das Kampfgebrüll der Linksextremen bedeuten soll, ist ihr bis heute unklar. Ein Leidensbericht von einer, die auszog.

Hier wohnen Sie in einer ruhigen, von Bäumen gesäumten Wohnstraße mit wenig Durchgangsverkehr. So beschreibt ein Immobilienmakler, der kürzlich eine Wohnung annoncierte, die Rigaer Straße. Nachbarn haben einander den Link zugemailt, sie haben ihn mit Smileys versehen, mit Sätzen wie „Die müssen es ja wissen“, oder mit Fragen: „Hoffnung?“ - „Eine Prophezeiung?“ Einer scherzt, dass „wenig Durchgangsverkehr“ ja im Grunde immer häufiger stimme - nämlich dann, wenn die Polizei wieder einmal die Straße abgesperrt hat oder brennende Barrikaden die Durchfahrt blockieren.

War die Rigaer Straße je eine ruhige Wohnstraße? Es muss lange her sein. In den fünfeinhalb Jahren, die ich dort gelebt habe, jedenfalls nicht.

März 2015, kurz vor meinem Auszug. Ich wache auf, weil es plötzlich taghell ist, obwohl der Wecker kurz vor vier Uhr morgens anzeigt. Das Licht kommt von riesigen Hochleistungsscheinwerfern, mit denen die Polizei die Häuserfassaden ableuchtet - sie scheinen direkt in unser Schlafzimmer. Randalierer haben einen großflächigen Stromausfall im Bezirk zum Anlass genommen, Sperrmüllfeuer auf der Straße zu entfachen, den Lidl zu plündern und die Scheiben der nahegelegenen Commerzbank-Filiale einzuschmeißen. Jetzt sucht die Polizei die Täter. Wenig später kreist ein Polizeihubschrauber über unseren Köpfen - und weckt noch die letzten, die dickere Vorhänge haben als wir.

Juni 2014. Bauschuttcontainer und Autos brennen, die Polizei rückt an, es kommt zur Massenschlägerei, Böller, Flaschen und Steine fliegen. Die Zeitungen melden 26 verletzte Polizisten und neun Festnahmen.

Auch an ganz andere Szenen erinnere ich mich. Juli 2010, kurz nach meinem Einzug. Es ist warm, das Fenster steht offen, wunderbare Klänge dringen ins Wohnzimmer. Auf dem Dach des bunt bemalten Hauses gegenüber spielt jemand Violine. Andere Instrumente steigen ein, ich trete ans Fenster und sehe eine Band aus vier oder fünf Leuten, der Sommerwind weht ihnen durchs Haar. Lange lehne ich im Rahmen und lausche. Berlin ist schön, denke ich.

Wir mögen es lebendig und bunt durchmischt

Wenn man es adrett und beschaulich haben will, kann man nach Steglitz oder Wilmersdorf ziehen, oder weiter raus in die Randlagen, eine Reihenhaussiedlung in Frohnau, Kleinmachnow oder Zehlendorf vielleicht. Fragt man Anwohner in der Rigaer Straße, weshalb sie hierher gezogen sind, in den Friedrichshainer Samariterkiez, hört man oft ähnliche Antworten. Wir mögen es lebendig und bunt durchmischt. Wir wollen nicht ins Auto steigen müssen, um ein originelles Lokal zu erreichen. Wir finden Prenzlauer Berg zu homogen oder können es uns nicht leisten. Die Menschen, die solche Antworten geben, haben sich an den besetzten - oder pseudo-besetzten, von Wohnprojekten genutzten - Häusern nicht gestört, bevor sie hier eingezogen sind, im Gegenteil, sie fanden sie interessant, faszinierend. Auch das ist ein Satz, den man hier häufig hört: Wir sind der Überzeugung, dass alternative Lebensformen möglich sein müssen in einer Metropole wie Berlin.

Die Rigaer Straße. 1,2 Kilometer lang, vom Bersarinplatz am westlichen Ende bis zum S-Bahnhof Frankfurter Allee im Osten. 1893 erstmals schriftlich erwähnt, eine Kirche, eine Schule, denkmalgeschützte Arbeitersiedlungen. 108 Häuser insgesamt, die meisten davon mit Seitenflügel und Hinterhaus, an die 6000 Menschen leben hier, die meisten in Altbauten. Dann sind da neue Gebäude, die in Kriegslücken gesetzt wurden, zum Teil sind sie noch im Entstehen begriffen, Berlin braucht Wohnraum.

Zu bunt für die anderen. Weil Linksextreme Aufwertung durch Verschönerung fürchten, müssen Pflanzenfreunde betteln.
Zu bunt für die anderen. Weil Linksextreme Aufwertung durch Verschönerung fürchten, müssen Pflanzenfreunde betteln.

© Kai-Uwe Heinrich

Im Mai 2013 brennt so ein Neubau. Tags darauf stehe ich vor der Fassade, die frisch weiß verputzt war und jetzt tiefschwarz verrußt ist, bis hinauf in den sechsten Stock. Fensterrahmen sind in der Hitze des Feuers verschmort, Scheiben geborsten, ein bedrohlicher Anblick. Es wird kein Einzelfall bleiben. Zuletzt steht die Tiefgarage eines Neubaukomplexes am östlichen Ende der Straße in Flammen, im Dezember 2015, da bin ich schon nicht mehr Teil dieser Nachbarschaft.

Besonders hübsch ist sie nicht, die Rigaer. Die meisten Häuserfronten sind, von den Graffiti abgesehen, schlicht bis trist, der Stuck wurde zu DDR-Zeiten abgeschlagen, vielerorts auch die Balkone. Kein Vergleich zu den Parallelstraßen, Schreiner- und Bänsch-, erstere mit aufwendig restaurierten und verzierten Fassaden, letztere auf die Samariterkirche zulaufend, mit breitem Grünstreifen in der Mitte, Sandweg und Parkbänken, dazu nette kleine Cafés und Läden, in denen man vegane Tartes essen, Holzspielzeug kaufen, alte Möbel aufarbeiten lassen kann. Wer dort lebt, kann wunderbar ausblenden oder gar nicht erst mitbekommen, was wenige hundert Meter Luftlinie entfernt in der Rigaer passiert.

Zermürbt haben mich nicht die großen Zusammenstöße

Der Samariterkiez gilt seit Langem als „Hochburg der linksextremen Szene“. So steht es immer wieder in Zeitungsberichten. Angehörige dieser Szene rufen dazu auf, „den Kiez zu verteidigen“. Ich habe mich oft gefragt, welcher Kiez da gemeint ist. Nach der Wende wurden viele leerstehende Häuser in Friedrichshain von Autonomen besetzt. Doch die Straßen südlich der Frankfurter Allee - wie die Mainzer, von der es Fotos gibt, die nach Kriegsschäden aussehen, obwohl sie die Folgen einer Straßenschlacht zeigen - sind längst befriedet, manche sagen: angepasst. Da leben jetzt hippe Studenten und IT-Genies, die bei aufstrebenden Unternehmen wie dem Onlinehändler Zalando oder der Reisesuchmaschine Kayak arbeiten, Webseiten optimieren, Computerspiele programmieren. Im Norden sind auf dem Gelände des alten Schlachthofs spießige Townhouses entstanden.

Die sogenannte linke Szene, sie ist ziemlich zusammengeschrumpft.

Auf die Rigaer.

Eine letzte Bastion?

Kurz nach uns zog ein junges Pärchen in unser Haus ein, sie Studentin, er Handwerker. Die beiden mussten aus der parallel gelegenen Schreinerstraße weg, weil ihr neuer Hund qua Mietvertrag nicht geduldet war. „Wir wollten unbedingt im Kiez bleiben“, erzählten sie, als sie sich uns vorstellten. Zwei Jahre später zogen sie wieder aus. Sie waren verstört, weil sie zwar das Planquadrat nicht verlassen, aber ihren Kiez verloren hatten.

Kotze, Scherben, Scheiße. So fällt an schlechten Tagen meine Zusammenfassung des Ortes aus, an dem ich gewohnt habe. Gute Erinnerungen werden überlagert von zu vielen schlechten. Zermürbt haben mich nicht die großen Zusammenstöße, die dieser Tage die Schlagzeilen dominieren, sondern die vielen alltäglichen Nächte, in denen auf der Straße vor unserem Haus gegrölt wurde, in denen Bierflaschen zu Bruch gingen, Männer in unseren Hauseingang pissten. Einmal, das ist vielleicht zwei Jahre her, habe ich mitgezählt. Acht Mal lösten sich binnen einer Stunde Menschen aus der Traube vor dem Haus gegenüber, um die Straßenseite zu wechseln und an unsere Tür zu pinkeln. Morgens war der Gestank im Flur so durchdringend, dass man immerhin nicht Gefahr lief, ungewarnt in die Urinlache zu treten. War die Tür nicht richtig verschlossen, fanden wir mitunter auch andere Hinterlassenschaften vor. Sie stammten ziemlich offensichtlich nicht von den zahlreichen Hunden - die kackten nur auf die Bürgersteige.

Den vollständigen Text unserer Autorin finden Sie im digitalen Kiosk Blendle. Dort lesen Sie auch, wie sie die Linken von gegenüber nach ihrem Auszug zum Gespräch bat.

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