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Marina Hunger im kalten See - und glücklich.

© Sven Darmer

Abgehärtet in Berlin: Das sind die besten Tipps, um ein Winterbader zu werden

Windig und das Wasser knapp über Null: Das sind beste Voraussetzungen für Winterbader. Auch Kai Diekmann ist einer. Unterwegs mit zwei Berliner „Seehunden“.

An diesem kalten Samstagmorgen im Dezember schiebt sich endlich wieder die Sonne durch die trübe Berliner Wolkenschicht. Es ist kalt, die Wetter-App meldet zwei Grad. Bestes Badewetter, finden Marina Hunger und Jens Glinzig. Sie gehen heute im See baden, so wie sie es jedes Wochenende tun. Nicht, obwohl es kalt ist. Sondern deswegen.

Das Treffen jetzt an einem See im Osten der Stadt ist eine Ausnahme. Die beiden gehören zu den Berliner Seehunden, einem Verein, der das Winterbaden kultiviert. In der kalten Jahreshälfte treffen sich die Vereinsmitglieder sonst jeden Sonntagmorgen im Strandbad Orankesee. Los geht es bereits Mitte September, wenn die Temperaturen noch mild sind.

Im tiefsten Winter müssen sie schon mal zur Axt greifen, um sich im zugefrorenen See ein Loch zum Baden freizuhacken. Am Sonnabend fielen in Berlin mal kurz erste Flocken. Ende April ist die Badesaison für die Seehunde vorbei - dann überlassen sie das Strandbad den Warmbadern. Seit 1980 gibt es den Verein, derzeit zählt er um die 130 Mitglieder.

Aber nun ist ja Corona, die Bäder sind zu und Treffen mit vielen Menschen nicht möglich. Jens Glinzig und Marina Hunger wollen dennoch nicht auf ihr Bad verzichten. „Ich brauche das“, sagt Marina Hunger.

Die 64-jährige Lehrerin ist seit 1993 bei den Seehunden. Auf die Frage, was sie in der Kälte sucht, antwortet sie: „Ich warte darauf, dass mein Körper ‚Om' sagt.“

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Jens Glinzig ist Vorstandsvorsitzender und einer der Männer und Frauen, die das Winterbaden als Rettungsschwimmer begleiten – das ist Pflicht für den Verein. Der 58-Jährige geht schon lange regelmäßig im Freien schwimmen. In dem Jahr, in dem er das Winterbaden entdeckte, hörte er damit einfach nicht auf, auch nicht, als es kälter wurde. „Irgendwann habe ich die Zehn-Grad-Marke geknackt“, sagt er.

Marina Hunger war seit Jahren nicht mehr krank

Während die Spaziergänger dick eingepackt in Jacken, Mützen und Schals an ihnen vorbeistapfen, ziehen Marina Hunger und Jens Glinzig sich in aller Ruhe am Ufer aus. Die Berliner Seehunde setzen eigentlich auf FKK – aber nur, wenn sie unter sich sind. Hier, am gut besuchten See, tragen sie Badeanzug und Badehose.

Die Winterbader haben ganz unterschiedliche Strategien, mit dem kalten Wasser umzugehen. Manche tauchen kurz ein, aber mehrmals hintereinander. Andere gehen nur einmal hinein, dafür länger. Jens Glinzig steigt grundsätzlich mit Mütze und Neoprenschuhen in den See.

Einig sind sie sich darin, wie man ins Wasser gehen sollte: Bloß nicht zu langsam, sonst verliert man den Mut. Aber auch nicht zu schnell, das könnte den Körper überfordern. „Zügig, aber nicht hastig“, sagt Jens Glinzig.

Welche Körperteile sind besonders kälteempfindlich?

Also waten sie hinein in dieses Winterwasser, das wahrscheinlich um die zwei Grad haben dürfte – so genau wissen sie es nicht. Als ihnen das Wasser etwa bis zu den Schultern reicht, bleiben sie stehen und plaudern ein bisschen.

Den Kopf tauchen sie nicht unter. Jens Glinzig achtet außerdem darauf, dass seine Hände überm Wasser bleiben. Denn sie gehören überraschenderweise zu den besonders kälteempfindlichen Körperteilen.

Tipps für Neulinge: Bloß nichts überstürzen

  • Vorsicht: Wer sich für das Winterbaden interessiert, sollte vorsichtig starten.
  • Langsam: Am besten in der wärmeren Jahreszeit anfangen und dann Woche für Woche an die kälteren Temperaturen gewöhnen.
  • Duschtraining: Auch Wechselduschen kann eine gute Vorbereitung sein. Generell ist das Winterbaden nur gesunden Menschen zu empfehlen.
  • Aufs Herz achten: Gefährlich werden kann das eiskalte Wasser vor allem für Menschen mit Herz-Kreislauf-Problemen.
  • Schnell rein und raus: Anfänger sollten nur kurz ins Wasser gehen und sich nach dem Bad schnell abtrocknen und anziehen.
  • Niemals allein: Das ist ganz wichtig - bitte beim Winterbaden immer in Begleitung sein.

Nach ein paar Minuten kommen die beiden wieder heraus. Ihre Haut hat sich am ganzen Körper krebsrot gefärbt. Ohne Eile schlüpfen sie in ihre Bademäntel. Eine Spaziergängerin schaut die beiden im Vorbeigehen bewundernd an und sagt „Hut ab“.

„Das spielt sich alles im Kopf ab“

Es ist nicht so, dass ihnen die Kälte nichts ausmachte. Auch nach vielen Jahren kämpfen sie. „Das spielt sich alles im Kopf ab“, sagt Jens Glinzig. „Wenn man sich überwunden hat, spürt man ein starkes Glücksgefühl.“

Und Marina Hunger sagt: „Wenn ich ins Wasser steige, fragt mein Körper zuerst: ‚Was mache ich hier?' Aber dann hole ich tief Luft und tauche ein. Und je länger ich drin bleibe, desto mehr kommt mein Körper zur Ruhe.“

Ein Trends: Winterbaden in Berlin, Brandenburg und der Welt

Es sei eine Ruhe, die weit über den Moment im Wasser hinausreicht: „Mich wirft so schnell nichts aus der Bahn.“ An diesem Tag ist Marina Hunger deutlich kürzer im Wasser als sonst.

Wenn sie mit den anderen Seehunden badet, bleibt sie bis zu 15 Minuten im See. Das sei aber nur möglich, weil sie jahrelanges Training habe, betont sie. Anfängern rät sie ausdrücklich davon ab, so lange im Wasser zu bleiben.

Die Ruhe, die Glücksgefühle – aus Sicht der Winterbader sprechen darüber hinaus ganz pragmatische Gründe für ihr kühles Hobby. Jens Glinzig ist überzeugt: Für einen Seehund dauert eine Erkältung nur halb so lang wie bei anderen Menschen.

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Marina Hunger sagt, sie sei seit Jahren nicht mehr krank gewesen. Aus wissenschaftlicher Sicht scheint die Frage, ob die extreme Kälte das Immunsystem stärkt und gegen Erkältungen hilft, allerdings nicht abschließend geklärt zu sein. „Es gibt keine einzige Studie, die das jemals belegt hat“, zitiert „Die Zeit“ einen Immunologen in einem Artikel über das Winterbaden.

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Für viele Menschen ist der Berliner Winter eine Phase, die man aushalten muss, die Kälte ein notwendiges Übel – gerade jetzt in diesem Corona-Jahr, in dem notgedrungen Treffen mit Freunden und Familie nach draußen verlegt werden. Bei den Seehunden ist das anders.

„Wir leiden im Sommer“, sagt Jens Glinzig. Er flieht dann an die Ostsee, wo er die Temperaturen einigermaßen erträglich findet. Einmal hat er Urlaub in Norwegen gemacht, das Wetter sei zum Baden ideal gewesen.

„Es war windig, nass und kalt“, sagt er fröhlich. Marina Hunger erzählt, wie sie mal im Italien-Urlaub in 25 Grad warmem Wasser geschwommen ist. Gefallen hat es ihr nicht.

Sarah Schaefer

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