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Im November 1989 war Berlin in Feierlaune - und ein Jahr später?

© picture alliance/dpa

9. November 1990: Ein Jahr nach dem Mauerfall – was blieb von der Euphorie?

Vor 30 Jahren hatte der Mauerfall seinen ersten Jahrestag. Wie wurde er begangen, wer feierte und wo? Ein Rückblick.

Die Sonderbriefmarken der Deutschen Bundespost zum ersten Jahrestag des Mauerfalls waren wunderschön: Das 1-DM-Postwertzeichen zeigte das Brandenburger Tor mit einer vor und auf der Mauer feiernden Menschenmenge samt zweier schwarzrotgoldener Banner, während auf der 50-Pfennig-Marke ein von Mauerspechten in die Betonwand geschlagenes Loch zu sehen war. Beide Marken gab es auch als Block zu kaufen, dank eines quer über beide sich wölbenden Bogens in den Nationalfarben ergänzten sie sich gut.

Nicht nur für Philatelisten ein schönes Angebot, das nur einen Fehler hatte: Die Einzelmarken und der Block lagen wie geplant ab 6. November 1990 am Postschalter bereit, auf das besonders attraktive Erinnerungsblatt dagegen mussten Sammler noch drei Wochen warten, „wegen produktionstechnischer Schwierigkeiten“, wie es hieß.

Ein Jahr war es erst her, dass Politbüromitglied Günter Schabowski bei einer Pressekonferenz auf die Frage, ab wann denn die neuen Reiseregelungen der DDR gültig seien, mit „sofort, unverzüglich“ geantwortet und so ungewollt einen Sturm auf die Grenzübergänge ausgelöst hatte.

Noch schien der plötzliche Zusammenbruch des Grenzregimes, ja des gesamten Staates so unglaublich, waren dessen Hintergründe so unklar, dass an diesem ersten Jahrestag prompt widersprüchliche Darstellungen, subjektive Deutungen der Vorgänge vom 9. November 1989 und der Rolle, die man dabei gespielt hatte, publik wurden.

Schon am 29. Oktober wollte demnach der Regierende Bürgermeister Walter Momper in Ost-Berlin durch Schabowski über die grundsätzliche Absicht der DDR, die Grenzen zu öffnen, informiert worden sein, ohne dass dabei ein Termin genannt wurde.

Die Briefmarken zur Erinnerung an den Mauerfall.
Die Briefmarken zur Erinnerung an den Mauerfall.

© promo

Doch bereits am Morgen des 9. November habe er einen Hinweis auf die bevorstehenden Ereignisse erhalten, hieß es aus dem Rathaus Schöneberg – eine Darstellung, die Schabowski prompt als unzutreffend kritisierte, da hätte Momper ja mehr gewusst als die SED-Führung.

Egon Krenz hingegen widersprach Darstellungen in „Spiegel TV“ und „Neuem Deutschland“, wonach der stellvertretende Minister für Staatssicherheit, Gerhard Neiber, und ein Stasi-Oberst die Maueröffnung angeordnet hätten. Krenz beanspruchte die Entscheidung in dieser „schicksalhaften Frage“ für sich: „Ich machte von meinem Recht als Vorsitzender des Nationalen Verteidigungsrates Gebrauch und entschied mich gegen Gewalt.“

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Wie auch immer, die Mauer war nun seit genau einem Jahr offen, aus zwei Staaten war einer geworden, das musste gewürdigt werden. Auf Bundesebene geschah das noch immer in Bonn, wo führende Politiker von CDU, SPD und FDP pflichtschuldig an das Jahrhundertereignis erinnerten und die Leistung der DDR-Bürger priesen, während die Grünen zugleich mahnend auf den Terror der Reichspogromnacht am 9. November 1938 verwiesen.

Politisches Gewicht erhielt der Tag, der damit zugleich Berlins künftige Rolle als Hauptstadt ahnen ließ, durch die erste Sitzung des um die fünf neuen Bundesländer erweiterten Bundesrates in der Kongresshalle am Rande des Tiergartens. Es war zugleich die erste in Berlin stattfindende Sitzung des Gremiums seit 1959.

Zum ersten Jahrestag des Mauerfalls 1989 treffen sich Ministerpräsidenten und Bürgermeister in der Berliner Kongresshalle.
Zum ersten Jahrestag des Mauerfalls 1989 treffen sich Ministerpräsidenten und Bürgermeister in der Berliner Kongresshalle.

© Ullsteinbild

Die letzte gemeinsame Sitzung aller deutschen Länderregierungen lag noch zwölf Jahre länger zurück und hatte mit einem Debakel geendet: Am 5. Juni 1947 hatten die Ministerpräsidenten aus den Westzonen und den Ländern der Sowjetzone – Bundesrepublik und DDR existierten noch nicht – in München getagt, doch die fünf Regierungschefs aus dem Osten waren vorzeitig abgereist.

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Das gesamtdeutsche Debüt in der Kongresshalle dagegen verlief laut dem damaligen Bericht des Tagesspiegels konfliktfrei und routiniert, nur mussten die ostdeutschen Delegationen gelegentlich noch vom Vorsitzenden, dem Hamburger Bürgermeister Henning Voscherau, ermahnt werden, dass bei Abstimmungen bitte immer nur ein Regierungsmitglied die Hand heben möge.

Besonders jüngere West-Berliner vermissten die Mauer

Die Mauer war ein Jahr nach ihrem Fall bereits weitgehend verschwunden. Von den 32 Kilometern der Grenzanlagen zwischen den beiden Stadthälften waren nur noch 4,2 Kilometer übrig, die bis 1. Dezember weggeräumt werden sollten. Von den 140 Kilometern zwischen West-Berlin und der DDR seien etwa 30 Prozent abgebaut, der Rest folge bis Ende 1991, teilte der zum Abbau eingesetzte Stab aus Angehörigen der ehemaligen Grenztruppen mit. Von den 215 Wachtürmen um West-Berlin standen noch zehn.

[Alle Beiträge aus unserem Dossier zu 30 Jahren Mauerfall finden Sie hier.]

Der Verbleib der Mauer interessierte auch das Institut für Demoskopie Allensbach: In einer kurz vor dem ersten Jahrestag der Grenzöffnung veröffentlichten Umfrage in den alten Bundesländern antworteten zwölf Prozent der Befragten, dass sie ein Stück Mauer zu Hause liegen hätten. Es müssten also rund sechs Millionen Mauerstückchen zur Erinnerung selbst aus der Mauer gehämmert oder gekauft worden sein, bilanzierte das Allensbach-Institut, während das Hamburger Gewis-Institut nach einer am Vortag des Mauerfalljubiläums von der „Berliner Zeitung“ veröffentlichten Umfrage überraschend melden musste, das jeder dritte Befragte manchmal die Mauer vermisse, eine besonders bei jüngeren West-Berlinern zu beobachtende Tendenz.

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Offizielle und inoffizielle Gedenkveranstaltungen gab es am Jahrestag natürlich auch: Am Spreeufer gegenüber dem Reichstag wurde eine Granitplatte mit Namen und Todestagen von Maueropfern eingelassen, der Start zu einer „Denk-Stätte“, wie die „Arbeitsgemeinschaft 13. August“ mitteilte. Die Idee stamme von dem Künstler Ben Wargin, damals noch mit „r“ im Nachnamen.

Am ehemaligen Übergang Bornholmer Straße enthüllten Momper, sein Ost-Berliner Kollege Tino Schwierzina und der Bezirksbürgermeister von Prenzlauer Berg, Manfred Denner, eine bronzene Erinnerungstafel. Im Rathaus Wedding eröffnete Bürgermeister Jörg-Otto Spieler eine aus einem Wettbewerb hervorgegangene Fotoausstellung „Der Wedding zwischen Maueröffnung und Währungsunion“, und in Mitte wurde Punkt 19 Uhr auf dem Marx-Engels-Platz Schabowskis verstolperte Ankündigung des Mauerfalls per Lautsprecher übertragen.

Noch einmal kam Schabowski am Abend in der Ost-Berliner Akademie der Künste zu Wort. Dort feierte man den Jahrestag mit einer szenischen Lesung von Heiner Müllers bereits 1980 geschriebenem Stück „Der Auftrag – Erinnerung an eine Revolution“. Per Video sprach Schabowski darin den Monolog des entmachteten „Manns im Fahrstuhl“: „Meine Sache ist die verlorene Sache. Immer noch dienstbereit, aber nicht mehr -tauglich.“ Das Publikum reagierte mit Hohn und Gelächter.

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