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Alle Haushaltspositionen müssen geprüft werden, sagt Matthias Kollatz (SPD), Finanzsenator von Berlin.

© Wolfgang Kumm/dpa

Update

8,3 Milliarden Euro weniger Steuern: Coronakrise reißt Loch in Berliner Finanzen – es ist nicht die erste Krise

Finanzsenator Matthias Kollatz schließt eine weitere Verschlechterung der Zahlen nicht aus. Schon 1995 und 2008 war Berlin tief im Minus.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Die Corona-Pandemie rüttelt auch in Berlin an den Grundfesten der öffentlichen Finanzen. In diesem Jahr werden voraussichtlich Steuereinnahmen in Höhe von 3,05 Milliarden Euro fehlen, im nächsten Jahr kommen weitere 1,65 Milliarden Euro hinzu.

Das sind die Zahlen für Berlin, die sich aus der bundesweiten Steuerschätzung ergeben. Aber damit ist die Krise noch nicht ausgestanden. Auch 2022/23 rechnet Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) mit zusätzlichen Steuerausfällen von 3,66 Milliarden Euro.

Das bedeutet in nackten Zahlen: Dem Landeshaushalt fehlen bis zur Mitte der nächsten Wahlperiode fast 8,4 Milliarden Euro. „Die Unsicherheit über den weiteren Pandemieverlauf und deren wirtschaftliche Auswirkungen werden uns noch eine lange Zeit begleiten“, kündigte der Finanzsenator an und übte sich vorsichtshalber in Zweckpessimismus: „Eine weitere Verschlechterung der finanziellen Lage kann nicht ausgeschlossen werden.“

Nicht zum ersten Mal seit der Wende muss sich Berlin mit solchen Katastrophen auseinandersetzen. 1995 klaffte im Etat eine Finanzlücke von 5,5 Milliarden Euro. Damals machte sich die fehlende Unterstützung des Bundes beim Zusammenwachsen der Hauptstadt schmerzhaft bemerkbar.

Sparpolitik unter Thilo Sarrazin

Die damalige Finanzsenatorin Annette Fugmann-Heesing (SPD) versuchte, mit dem Verkauf öffentlicher Unternehmen Geld in die Kasse zu spülen. So hielt sich Berlin über Wasser, bis der Bankenskandal und die anhaltend schlechte Wirtschaftslage 2001/02 ein gigantisches Finanzdefizit von über zehn Milliarden Euro verursachten.

Es folgte eine harte Sparpolitik, die mit dem Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD) eng verbunden war und sich auf fast alle Bereiche der Verwaltung und des gesellschaftlichen Lebens auswirkte – und gleichzeitig den Landeshaushalt nachhaltig konsolidierte.

Nur die globale Finanzkrise 2008 riss in den drei Folgejahren noch einmal kleinere Löcher in den Etat, seit 2012 erwirtschaftete das Land Berlin dauerhaft schwarze Zahlen. Damit ist es nun vorbei. Und es stellt sich angesichts der riesigen Einnahmeausfälle die Frage: Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

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„Nein, es wird keine Giftlisten geben“, wehrte die Sprecherin der Finanzverwaltung, Eva Henkel, die Frage nach möglichen geheimen Sparplänen ab. „Aber wir werden uns das sparen, was wegen der Krise nicht stattfinden kann oder sich verzögert“, sagte die Sprecherin.

Da müssten sich die Senats- und Bezirksverwaltungen „ehrlich machen“, um Berlin nicht mehr als nötig in die Verschuldung zu zwingen. Eingeplante Ausgaben, die aus welchem Grund auch immer in diesem Jahr nicht getätigt werden, will der Finanzsenator abschöpfen.

Es macht sich ein Corona-bedingter Fatalismus breit

Auch in den Regierungsfraktionen ist man sich grundsätzlich einig, dass jene Mittel, die „liegen bleiben“, rechtzeitig gesichert werden, bevor sie in den jeweils zuständigen Fachverwaltungen klammheimlich für andere Zwecke ausgegeben werden.

Im Landeshaushalt 2020 sei „viel Luft“, heißt es koalitionsintern. Allerdings sind sich die Haushälter von SPD, Linken und Grünen nicht einig, was mit den überzähligen Geldern geschehen soll.

Finanzsenator Kollatz hätte diese Mittel gern vollständig genutzt, um die bevorstehende Kreditaufnahme um eine Milliarde Euro zu verringern. Das wird er nicht durchsetzen können. Die SPD will die überschüssigen Haushaltsmittel fest in einer Konjunkturrücklage binden. Möglicherweise einigen sich Fraktionen und Senat auf einen Mittelweg.

Allen drei Regierungsparteien kommt aber nicht in den Sinn, rot-rot-grüne Projekte angesichts des gigantischen Finanzlochs zu streichen oder wenigstens zu kürzen. Im Gegenteil – dem Vernehmen nach überbieten sich viele Abgeordnete derzeit mit Vorschlägen zu neuen Projekten.

„Die wollen immer mehr Geld“, heißt es in Regierungskreisen. Es mache sich offenbar eine Corona-bedingte Form des Fatalismus breit, sagt ein einflussreicher Koalitionär: Wenn schon kein Geld mehr da sei, könne man es doch mit vollen Händen verteilen.

Bezirke lehnen Pläne des Finanzsenators ab

Die Bezirksbürgermeister, die sich am Freitag mit Senator Kollatz trafen, bleiben bei ihrer harten Haltung und sind weiterhin nicht bereit, von ihren recht üppigen Guthaben, die sie in den vergangenen Jahren angesammelt haben (insgesamt 277 Millionen Euro), zur Dämpfung der Finanzkrise einen Solidarbeitrag von 160 Millionen Euro zu leisten.

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Da sie mit der festen Unterstützung aller drei Regierungsparteien rechnen können, ist in den zwölf Bezirken für Kollatz voraussichtlich nichts zu holen. „Die Bezirke sind sakrosankt“, war am Freitag zu hören.

Finanzpolitisch will Rot-Rot-Grün die Pandemie mit voraussichtlich drei Nachtragshaushalten bekämpfen. Der erste wird wohl am 4. Juni beschlossen und sichert bereits getätigte Ausgaben für Wirtschaftsförderung, Gesundheitssystem und Landesunternehmen ab.

Im zweiten Nachtrag soll noch vor den Sommerferien die Aufnahme von „Notfallkrediten“ in Milliardenhöhe geregelt werden. Ein dritter Nachtrag könnte im Herbst die Landesmittel für berlinspezifische Konjunkturpakete enthalten, um Programme des Bundes und der Europäischen Union zu ergänzen.

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