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Sigrid Nikutta war lange Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) und ist seit Anfang 2019 bei der Deutschen Bahn AG Vorständin für den Güterverkehr und Chefin der Bahn-Tochter DB-Cargo.

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75 Visionen für Berlin – Folge 58: „Freiheit hat etwas mit guter Mobilität für alle zu tun“

In unser Serie „75 Visionen“ schreibt Bahn-Managerin Sigrid Nikutta über Lehren aus der Vergangenheit für Berlins Verkehr von Morgen.

Wenn ich aus meinem Bürofenster nach unten schaue, dann blinkt da Tag wie Nacht der historische Verkehrsturm am Potsdamer Platz – Replika und Reminiszenz an die Zeit, als das Zentrum Berlins verkehrsumtost mit der ersten Ampelanlage Europas ausgestattet wurde. Das war 1925. Und zu diesem Zeitpunkt ging es auch auf dem Schienennetz rund: Aus neun Länderbahnen war 1922 erstmals eine deutsche Reichsbahn entstanden mit Hauptsitz in Berlin. Zugverbindungen aus Ost und West hatten ihre Schnittstelle in Berlin mit seinen damals sechs Fernbahnhöfen.

Die Stadtbahntrasse - hier bei der Einfahrt eines S-Bahn-Zuges am Berliner Ostbahnhof - war schon vor 100 Jahren die zentrale Ader des Schienenverkehrs in Berlin.
Die Stadtbahntrasse - hier bei der Einfahrt eines S-Bahn-Zuges am Berliner Ostbahnhof - war schon vor 100 Jahren die zentrale Ader des Schienenverkehrs in Berlin.

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Die Stadtbahn war damals schon Lebensader der Stadt – und Berlin gedieh und wuchs entlang des S-Bahn-Rings. Denn auch das ist typisch Berlin: Die Entwicklung der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur ging Hand in Hand mit dem rasend schnellen Bau der Siedlungen. Und so war es nur logisch, dass sich auch die dazugehörige Innovationskraft der Industrie in der Bahnstadt Berlin voll entfalten konnte.

Hätten Sie es gewusst? Aus Berlin kommt: Die erste in Deutschland gebaute Dampflok (Borsig 1840), die erste elektrische Lok (1879) und Trambahn der Welt (1881, beide Siemens) – und auch der Ur-Opa von TGV und ICE feierte in Berlin Weltpremiere: Der 1930 im Windkanal (!) entwickelte „Fliegende Hamburger“ raste im Dezember 1932 in gut zwei Stunden über die 286 Kilometer lange Zugstrecke vom Lehrter Stadtbahnhof in die Hansestadt.

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Aber es geht nicht nur um Technik. Es sind Menschen, die Weichen stellen. Berlin, 1926: Ein Journalist und Kommunalpolitiker wird Berliner Stadtrat für Verkehrswesen. Der 37-jährige Ernst Reuter ist begeistert von den neuen Automobilen – und gewiss auch der neuen Ampel am Potsdamer Platz. Aber er wusste genau, dass es die Metropole Berlin nur mit einem öffentlichen und für jeden erschwinglichen Verkehrsnetz eine Zukunft haben konnte. Er trieb buchstäblich den U-Bahn-Bau unter und über der Stadt voran, er gründete aus einem Konvolut von Tram- und Buslinenbetreiber die Berliner Verkehrsgesellschaft. Ausgebremst von Weltwirtschaftskrise und Nazi-Diktatur machte Reuter dann 1948 in einer der schwersten Stunden der Stadtgeschichte eines klar: Berlin lässt sich nicht unterkriegen. Und schon gar nicht einsperren.

Die historische Ampel aus dem Jahr 1924, die als erste Verkehrsampel in Deutschland gilt, steht am Potsdamer Platz. Im Hintergrund links erkennt man den Bahn Tower in dem die DB AG residiert.
Die historische Ampel aus dem Jahr 1924, die als erste Verkehrsampel in Deutschland gilt, steht am Potsdamer Platz. Im Hintergrund links erkennt man den Bahn Tower in dem die DB AG residiert.

© dpa

Da spürte Berlin auch in der glücklichsten Stunde seiner Stadtgeschichte: Als 1989 in Dutzenden von Geisterbahnhöfen wie Potsdamer Platz, Unter den Linden oder am Nordbahnhof plötzlich wieder das Licht anging. Auf einmal war es wieder möglich: das Aussteigen an jenen S- und U-Bahnhöfen, die so lange verschlossen waren. Damals zeigten die Unternehmen in Ost- und Westberlin – BVG und BVB, Reichsbahn und Bundesbahn – was in ihnen steckt. Innerhalb von Tagen wurde der neue, grenzüberschreitende Verkehr organisiert. Nur mit dem öffentlichen Verkehr waren diese unvergesslichen Bilder der damaligen Tage möglich: Ostberliner, die erstmals über den Ku’damm bummelten. Westberliner, die auf dem Alex spazierten.

[Lesen Sie alle bisher erschienenen Folgen unserer Serie "75 Visionen für Berlin".]

Seit 1989 hat sich die Stadt und ihre Mobilität unglaublich stark weiterentwickelt. Schön längst gibt es eine BVG, die die ganze Stadt vernetzt. Und die Berliner S-Bahn ist wiedererwacht. Heute fahren jedes Jahr mehr als 330 Millionen Menschen mit ihr durch Berlin und die gesamte Region. Der S-Bahn-Ring ist wieder geschlossen.

Es gibt diese klassische Frage, die sich Berliner stellen: Wohnst Du innerhalb oder außerhalb des S-Bahn-Rings? Heute ist klar: Wer innerhalb „des Rings“ wohnt, braucht kein Auto. Und wie bewegen sich die Berliner außerhalb ?

Undatiertes Porträt des SPD-Politikers Ernst Reuter. Als junger Mann, 1926 wurde der Journalist und Kommunalpolitiker Berliner Stadtrat für Verkehrswesen. 1948 wurde er Oberbürgermeister West-Berlins.
Undatiertes Porträt des SPD-Politikers Ernst Reuter. Als junger Mann, 1926 wurde der Journalist und Kommunalpolitiker Berliner Stadtrat für Verkehrswesen. 1948 wurde er Oberbürgermeister West-Berlins.

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Die Entwicklung der Stadt und ihrer Mobilität geht nur Hand in Hand. Das wusste Ernst Reuter bereits vor 100 Jahren. Und er wusste auch, dass nur starke Verkehrsunternehmen in der Lage sind, diese Entwicklung aktiv zu gestalten und nachhaltig umzusetzen. Es ist vielleicht kein Zufall, dass neben dem einstigen Verkehrsturm am Potsdamer Platz, die Konzernzentrale der Deutschen Bahn AG in den Himmel über Berlin ragt. Die DB ist mit rund 24.000 Mitarbeitern die größte Arbeitgeberin der Stadt ist.

Berlin hat ein so dichtes Schienen- und Busnetz wie kaum eine andere Metropole dieser Welt – das ist zugleich die große Chance. Die Bahnstadt Berlin kann schneller als andere ihren Verkehr weiterentwickeln, hin zu integrierten öffentlichen Mobilitäts-Netzwerken. Mobilitäts-Netzwerke, für wirklich alle, ob in Berlin oder im Umland. Mobilitäts-Netzwerke, die das eigene Auto auf den allermeisten Wegen überflüssig machen. Meine Vision: Berlin ist – wie kaum eine andere Stadt – ein Symbol für Freiheit. Und Freiheit hat etwas mit guter Mobilität für alle zu tun!

Die Autorin Sigrid Nikutta verantwortet das Ressort Güterverkehr der Deutschen Bahn und ist Vorstandsvorsitzende von DB Cargo.

Sigrid Nikutta

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