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Unser Gastautor: Rolland Sillmann, der Geschäftsführer der Wista Management GmbH, die unter anderem den Technologiepark Adlershof betreut.

© Wista

75 Visionen für Berlin – Folge 49: „Berlins wichtigster Rohstoff ist das Wissen“

Wie beim Aufstieg zur „Elektropolis“ im 20. Jahrhundert kann die Stadt von ihrer exzellenten Bildungslandschaft profitieren.

Lange Zeit stand es nicht gut um den wirtschaftlichen Ruf Berlins. Nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges und dann nach der Spaltung im Kalten Krieg war von der einst größten deutschen Industriestadt wenig übriggeblieben. Nach der Wiedervereinigung herrschte in Berlin einerseits Euphorie, andererseits drohte die industrielle Basis vollends wegzubrechen. Wo sonst auf der Welt gab es eine Hauptstadt, deren Wirtschaftskraft unter der des Landesdurchschnitts lag?

Was die wirtschaftliche Zukunft Berlins betraf, war nach 1990 für lange Zeit nicht klar, mit welchen Ansätzen und Ideen man dieser wirtschaftlichen Misere dauerhaft entfliehen könnte.

Die lebendige Kreativ- und Clubszene, welche Berlin für Millionen Touristen und Neubürger aus aller Welt attraktiv macht, ist inzwischen ebenso wie die dynamische Start-up-Szene ein Treiber für den kontinuierlich wachsenden wirtschaftlichen Erfolg Berlins geworden. Mindestens genau so bedeutend ist es jedoch, dass Berlin inzwischen eine innovative Tradition fortführt, die die Hauptstadt zu Beginn des 20. Jahrhunderts zur größten deutschen Industriestadt hatte wachsen lassen. Die Stadt war damals der „Hotspot“ der Elektroindustrie – Glühlampen, Eisenbahnen, Motoren, Generatoren, aber auch Radios, Staubsauger – all das war „Made in Berlin“.

[Der Autor Roland Sillmann ist seit 2015 Geschäftsführer der Wista-Management, der Betreibergesellschaft des Forschungs- und Technologieparks Adlershof. Lesern Sie alle bisher erschienen "Visionen für Berlin" hier.]

Die wesentlichen Voraussetzungen für den Aufstieg zur „Elektropolis“ waren: eine exzellente Bildungslandschaft, eine gut ausgebaute Infrastruktur und der stetige Zuzug junger Talente.

Auch heute sind diese drei Voraussetzungen unverändert in Berlin vorhanden. Sie sind eine ideale Grundlage, um an den Erfolg als Wirtschaftsstandort anzuknüpfen: Als Hauptstadt des größten Landes Europas verfügt Berlin über vier Universitäten und über mehr als 40 Hochschulen. Berlin versammelt damit die höchste Zahl an klugen Köpfen in Deutschland.

Eines von vielen Zeugnissen Berlins weltweit wichtige Metropole der Elektroindustrie: Die 1915-16 von Niles Werkzeugmaschinen und AEG errichtete neue Montagehalle an der Kreuzung Wilhelminenhof- und Edisonstraße in Oberschöneweide. Die AEG übernahm den Standort 1921. Zu DDR-Zeiten war hier die Trafofertigung von TRO untergebracht.
Eines von vielen Zeugnissen Berlins weltweit wichtige Metropole der Elektroindustrie: Die 1915-16 von Niles Werkzeugmaschinen und AEG errichtete neue Montagehalle an der Kreuzung Wilhelminenhof- und Edisonstraße in Oberschöneweide. Die AEG übernahm den Standort 1921. Zu DDR-Zeiten war hier die Trafofertigung von TRO untergebracht.

© imago/Jürgen Heinrich

Berlins wertvollster Rohstoff ist das Wissen der hier lebenden und der zuziehenden Menschen. Daher ist es wichtig, die Attraktivität der Stadt für diese Menschen beizubehalten beziehungsweise sie noch weiter zu steigern. Das einzigartige „Freiheitsgefühl“, das die Stadt vermittelt, mit all den Möglichkeiten, die sie bietet, muss erhalten bleiben. Zugleich wird gerade für junge Talente ein sinngebendes Umfeld und der Blick auf unser aller Zukunft immer bedeutender, wie zum Beispiel die „Fridays for Future“ Initiative eindrucksvoll zeigt.

Wissen als Ressource wird vor allem an den insgesamt elf Zukunftsorten genutzt, wo zielgerichtet Strukturen für den Wissenstransfer aufgebaut wurden, um aus den Erkenntnissen der Forschung zukunftsweisende Produkte und Technologien zu generieren. Zu welchen Resultaten das führen kann, zeigt sich bereits heute eindrucksvoll im Wissenschafts- und Technologiepark Adlershof. Unter den 1200 dort angesiedelten Unternehmen befinden sich rund 90 Weltmarktführer, weitere 150 Firmen verfügen über weltweit führende Technologien.

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Die wissensbasierte Struktur ist einerseits so effizient, dass Adlershof in den letzten Jahren wirtschaftlich kontinuierlich gewachsen ist, und andererseits so robust, dass das Wachstum 2020 trotz Corona-Pandemie anhielt. Andere Zukunftsorte wie der Campus Berlin-Buch sind in ihrer Entwicklung ebenfalls weit fortgeschritten, an Orten wie Berlin-Dahlem, CleanTech Marzahn oder auf dem Gelände des ehemaligen Flughafens Tegel ist ähnliches geplant.

Eine wissensbasierte Wirtschaft lebt vom persönlichen Austausch von Ideen sowie von der gemeinsamen Entwicklung neuer Produkte und Leistungen. Das setzt räumliche Nähe von wissenschaftlichen Einrichtungen und Unternehmen voraus. Neue Technologien wie die additive Fertigung machen es möglich, dass moderne Industrien wieder in die Stadt zurückkehren können, wo diese Nähe gegeben ist. Sie haben nämlich nichts mehr mit rauchenden Schornsteinen und lärmender Massenproduktion gemein, dafür viel mit Reinräumen und Laboren. Schon heute teilt sich Berlin den europäischen Spitzenplatz mit Metropolen wie London und Paris bei der Ansiedlung von Technologie-Start-ups.

Köpfe in Bewegung. Die 2008 installierten Skulpturen „heads shifting“ von Josefine Günschel und Margund Smolka im Forschungs- und Technologiepark in Adlershof.
Köpfe in Bewegung. Die 2008 installierten Skulpturen „heads shifting“ von Josefine Günschel und Margund Smolka im Forschungs- und Technologiepark in Adlershof.

© imago images/Jürgen Held

Bildung, Infrastruktur und Talente werden in Zukunft aber nicht genügen, um diesen europäischen Spitzenplatz zu verteidigen. Es kommt darauf an, inhaltliche Schwerpunkte setzen. So hat sich die „Berlin University Alliance“, eine Initiative von der Humboldt Universität, der Charité, der Freien Universität und der Technischen Universität vorgenommen, einen Beitrag zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen von globaler Bedeutung („Grand Challenges“) zu leisten. Dazu zählen der Klimawandel, die alternde Bevölkerung oder Gesundheit.

Einige der Zukunftsorte leisten bereits solche Beiträge. Unternehmen und Forschungseinrichtungen arbeiten hier seit Jahren an Technologien im Bereich der regenerativen Energien, befassen sich mit der Zersetzung von Kunststoffen in den Ozeanen, entwickeln neue Materialien für die Kreislaufwirtschaft oder treiben Schlüsseltechnologien wie die Quantentechnologie voran.

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Um unsere Bemühungen zur Stärkung der wirtschaftlichen Basis Berlins zu unterstützen, können wir noch eine weitere entscheidende Chance ergreifen. Wir können und müssen das Umland Berlins mit einbeziehen – und das nicht nur, weil die Flächen in der Stadt knapp werden. Brandenburg steht nach dem Ende des Zeitalters der Braunkohleförderung am Anfang eines enormen wirtschaftlichen Wachstumsprozesses. Ansiedlungen wie die von Tesla in Grünheide zeigen, dass die Nähe zu Berlin, die vorhandenen Flächenpotentiale sowie die Energieinfrastruktur, basierend auf regenerativen Ressourcen, ideal den Bedürfnissen von modernen, großen Unternehmen gerecht werden. Berlin und sein Umland müssen daher künftig zusammenwachsen beziehungsweise gemeinsam als Hauptstadtregion entwickelt werden. Zusammen besteht das Potential, zur führenden Wissenschafts- und Wissenstransferregion in Europa zu werden, was automatisch ein enormes wirtschaftliches Wachstumspotenzial mit sich bringt.

Berlin hat somit beste Chancen, eine führende Rolle als Hochtechnologiestandort einzunehmen und dauerhaft zu sichern. Wer wenn nicht wir, sollte sich der „Grand Challenges“ annehmen mit der Vielzahl an klugen Köpfen, die wir in Berlin versammeln? Dies ist nicht nur eine Chance, sondern auch eine Verantwortung, die wir haben und der wir uns stellen müssen. Wenn wir Nähe von Wissenschaft und Wirtschaft fördern sowie Talente weiterhin anziehen und begeistern können, dann können wir schnell handeln und innovative Kräfte entfalten.

So wurden erst im vergangenen Jahr Corona-Impfstoffe in Rekordzeit entwickelt und zugelassen – auch mithilfe von Berliner Expertise. Wir müssen Selbstvertrauen fassen und den Blick öffnen: für Potenziale außerhalb des S-Bahn-Rings, außerhalb der Stadtgrenzen und für neue Technologiefelder, die unsere Zukunft bestimmen werden. Dann können wir Berlins Potenzial als lebenswerte und zukunftsgerichtete Metropole entfalten.

Roland Sillmann

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