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Karin Klingen, Präsidentin des Rechnungshofs Berlin, stellt im im Abgeordnetenhaus den Jahresbericht des Rechnungshofs vor (Archivbild aus dem Juni 2019).

© Jörg Carstensen/dpa

75 Visionen für Berlin – Folge 25: "Hoffentlich wird aus der Ausnahmesituation eine Aufbruchstimmung"

Das Land Berlin verschläft die Suche nach Personal und die Digitalisierung. Aber es gibt noch Hoffnung, schreibt die Präsidentin des Landesrechnungshofes.

Es ist nicht leicht, in dieser Zeit und nach diesen ungewöhnlichen Feiertagen, an denen Berlin so ruhig und gleichzeitig so angespannt war, über eine Vision für Berlin zu schreiben. Die einzige Antwort muss sein, dass es für Berlin im Jahr 2021 wieder so gut wie vor der Krise werden soll, – nein: besser werden muss!

Dafür muss sich Berlin der Herausforderung stellen, aus der Krise positive Effekte zu entwickeln und gestärkt aus ihr hervorzugehen. Das wird nach den bisherigen Erfahrungen nicht einfach. Der Rechnungshof begleitet die Entwicklung Berlins und seiner Verwaltung seit Jahrzehnten. Dabei musste er immer wieder feststellen, dass sich die Verwaltung nur langsam umstellt und sich wesentliche Themen nur über einen längeren Zeitraum ändern. Gerade in einer Stadt wie Berlin, die sich sehr schnell und immer anders entwickelt, ist das problematisch.

Berlin braucht eine Strategie zur Personalgewinnung

Ein Beispiel ist das Thema Personal. Jahrzehnte des Sparens und des Personalabbaus sind abgelöst worden von einer Phase der wachsenden Stadt, die dringend einen Aufbau ihrer Verwaltung benötigt. Im Vordergrund steht nun das Problem, ausreichend qualifiziertes Personal zu gewinnen. Auch in der Krise war das fehlende Personal in wichtigen Bereichen, wie zum Beispiel den Gesundheitsämtern, schmerzhaft zu spüren.

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Für die Zukunft ist ein weiterer massiver Fachkräftemangel zu erwarten. In den nächsten fünf Jahren werden fast 30 Prozent der Beschäftigten in der Berliner Verwaltung altersbedingt ausscheiden. Dennoch sind die personalrechtlichen Vorschriften und Verfahren in Berlin teilweise noch immer von den Sparjahren geprägt und unflexibler als die Regelungen anderer Länder. Diese Berliner Sonderregelungen wirken sich nun, wo Berlin dringend neues Personal gewinnen muss, nachteilig aus.

Ende April 2020: Mitarbeiterinnen eines Berliner Gesundheitsamtes telefonieren mit Gesichtsschutzschirm. Um die Papierflut zu begrenzen, führt das Amt ein Kontaktpersonen-Management-System ein.
Ende April 2020: Mitarbeiterinnen eines Berliner Gesundheitsamtes telefonieren mit Gesichtsschutzschirm. Um die Papierflut zu begrenzen, führt das Amt ein Kontaktpersonen-Management-System ein.

© Britta Pedersen/dpa

So wird das strenge Berliner Laufbahnrecht, das den Zeitrahmen für die Fortentwicklung von Beamtinnen und Beamten vorgibt, Beschäftigte anderer Länder kaum motivieren, in die Berliner Verwaltung zu wechseln. Und die Berliner Besonderheit, der Beschreibung des jeweiligen individuellen Arbeitsplatzes eine hohe Bedeutung beizumessen, gründet auf den früher fehlenden Wechselmöglichkeiten und erschwert heute einen flexiblen Einsatz des Personals.

Für die Berliner Verwaltung ist das Thema Personalgewinnung eine existenzielle Zukunftsfrage. Dennoch hat sie hier bisher nicht Schritt halten können mit der Entwicklung der Stadt. Die Verwaltung muss die Zielstellungen und Wirkungen ihres Verwaltungshandelns regelmäßig überprüfen und sich schneller auf aktuelle Anforderungen umstellen. Die personalrechtlichen Regelungen sollten einem grundsätzlichen Screening unterzogen und hinsichtlich der Aktualität ihrer Zielstellung und der Gründe für Abweichungen von den Regelungen der anderen Länder evaluiert werden.

Masterplan zur Digitalisierung von 2016 ist nicht umgesetzt

Ein weiteres Beispiel für einen dringenden Reformbedarf ist die Digitalisierung. In der aktuellen Krise zeigte sich hier der Nachholbedarf Berlins sehr deutlich. So fehlt etwa eine ausreichende Infrastruktur für einen digitalen Unterricht und für die Online-Arbeit der Verwaltung. Das betraf sowohl die fehlende Ausstattung mit mobilen Geräten als auch die Sicherstellung eines ausreichenden Anschlusses beziehungsweise der Bandbreite für gesicherte Verbindungen.

Das ist insofern erstaunlich, als mit dem E-Governmentgesetz aus dem Jahr 2016 eigentlich ein Masterplan für eine Reform der IT-Landschaft im Land Berlin vorlag. Danach sollte die IT-Struktur der Bezirke und Hauptverwaltungen vereinheitlicht und vom IT-Dienstleistungszentrum (ITDZ) zentral verwaltet, die E-Akte landesweit zu einem im Gesetz festgelegten Zeitpunkt eingeführt und der Online-Service der Verwaltung deutlich ausgebaut werden. Im Jahr 2020 ist Ernüchterung hinsichtlich dieser Planungen eingetreten.

Hier soll die Digitalisierung der Behörden organisiert werden: Das IT-Dienstleistungszentrum (ITDZ) im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf (Aufnahme von 2016).
Hier soll die Digitalisierung der Behörden organisiert werden: Das IT-Dienstleistungszentrum (ITDZ) im Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf (Aufnahme von 2016).

© imago/Stefan Zeitz

Die Zusammenführung der IT-Struktur beim ITDZ ist kaum gelungen, die Einführung der Akte wird sich deutlich verzögern und bei den Online-Diensten für Bürger hat die Krise weiteren dringenden Handlungsbedarf gezeigt.

Die Digitalisierung ist eine der wesentlichen Stellschrauben für die zukünftige Entwicklung Berlins. Die große Vision aus dem Jahr 2016 ist bisher nicht umgesetzt worden. Es fehlte weniger an der Idee, sondern an dem gemeinsamen Willen aller Akteure und der dauerhaften Kärrnerarbeit bei der Umsetzung. Die aktuelle Krisensituation hat die Dynamik der fehlenden Digitalisierung verschärft, das Thema muss nun dringend vorangetrieben werden. Es sollte zu einem der Hauptschwerpunkte für die zukünftige Entwicklung der Verwaltung werden.

[Die Autorin Karin Klingen, geboren 1966 in Bonn, hat Rechtswissenschaften studiert und war als Leiterin verschiedener Referate der Landesregierung von Sachsen-Anhalt tätig. Seit Juni 2018 ist sie Präsidentin des Berliner Rechnungshofes.]

Eine stetige Veränderungsbereitschaft muss es schließlich auch hinsichtlich der finanziellen Planungen des Landes geben. Die Pandemie hat die Haushaltsentwicklung der letzten Jahre auf den Kopf gestellt. Berlin hat in den Jahren 2011 bis 2019 eine Phase mit Wachstum, hohen Überschüssen und andauernder Schuldentilgung erlebt. Auch hier gab es kritische Punkte, wie etwa die im Ländervergleich noch immer vierthöchste Pro-Kopf-Verschuldung Berlins. Aber es war eine positive Entwicklung zu erkennen. Diese endete schlagartig in 2020. In der Pandemie wurde eine Kreditermächtigung in Höhe von 7,3 Milliarden Euro, also eine höhere Verschuldensmöglichkeit beschlossen, als Berlin in den letzten acht Jahren Schulden getilgt hat.

Die Schulden müssen auch wieder abgebaut werden

Um es an dieser Stelle klar zu stellen: Es ist zulässig und richtig, dass Berlin zur Bewältigung dieser Krise Schulden aufnimmt. Die in die Diskussion geratene Schuldenbremse ermöglicht in einer Notsituation, wie wir sie jetzt erleben, genau diese flexible Reaktion. Aber sie verlangt auch, dass die Schulden nur zur Bekämpfung der Notsituation eingesetzt und wieder abgebaut werden.

[Lesen Sie hier alle Beiträge unserer Serie "75 Visionen für Berlin"]

Noch ist nicht eindeutig erkennbar, ob sich die Pandemie finanziell nur als ein kurzes Intermezzo oder als länger dauernder Einbruch auswirken wird. Eine Reihe von Finanzpolitikern neigen der ersten Ansicht zu und erwarten eine schnelle Verbesserung der wirtschaftlichen Situation. Dann sei es möglich, die Schulden alleine durch Wachstum abzubauen. Andere weisen auf die Notwendigkeit zukünftiger Einsparungen hin. Zudem beginnt eine Diskussion um die Verteilung der Kosten der Krise.

Unabhängig davon, welche Prognosen zutreffen, gibt es eine Aufgabe, die jetzt erfüllt werden muss: Die staatlichen Ausgaben müssen neu überprüft werden. Es bedarf einer deutlichen Zäsur. Alles beim Alten zu lassen und einfach neue Schulden und Ausgaben aufzusatteln, ist keine angemessene Reaktion auf die aktuelle Ausnahmesituation. Die Pandemie hat auch die zukünftigen Möglichkeiten verändert. Das verlangt jetzt ein Umdenken – die bestehenden Planungen und Projekte müssen auf die Aktualität ihrer Zielsetzungen und Wirkungen überprüft und neue Prioritäten gesetzt werden.

Nutzen wir die Krise für einen Aufbruch!

Die Krise hatte auch positive Effekte. Entscheidungen durch Politik und Verwaltung wurden nicht nur schnell und entschlossen gefasst, sondern teilweise ebenso umgesetzt. Bemerkenswert ist die Dynamik, mit der sich die Arbeitswelt auf das mobile Arbeiten umgestellt hat. In der Krise haben viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verwaltung ihre Arbeit mit großem Engagement ins Homeoffice verlagert. Seit Jahren wurde das Thema kontrovers diskutiert, nun ist es einfach realisiert worden. Die positiven Erfahrungen und die Veränderungsbereitschaft sollten unbedingt ausgewertet und für die Zukunft genutzt werden.

Die aktuelle Situation zeigt, dass sich die Berliner Verwaltung dringend weiter entwickeln muss. Aber auch, dass schnelle Änderungen möglich sind, wenn ein gemeinsamer Wille und eine große Entschlossenheit vorhanden sind.

Meine Vision in diesen Tagen beinhaltet keine Forderung nach großen Reformen, sondern den Wunsch, dass aus dieser Ausnahmesituation eine gemeinsame Aufbruchstimmung auch für die notwendige Modernisierung der Berliner Verwaltung entstehen könnte. Dann kommt Berlin der großen Aufgabe näher, eine in allen Bereichen gut verwaltete Stadt zu werden. Der Rechnungshof wird diesen Prozess weiter konstruktiv begleiten.

Karin Klingen

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