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Auch das ist Kiez. Der rote Teppich darf nicht fehlen.

© Justizverwaltung/Sebastian Brux

68. Filmfestspiele: Berlinale hinter Gittern

Zum ersten Mal gastierten die Filmfestspiele in der JVA Tegel. Die Reaktion der Häftlinge war positiv, doch nur wenige hatten das Angebot genutzt.

Tatsächlich, ein roter Teppich! Vielleicht zwei, drei Meter lang, flankiert von silbernen Ständern mit dicker roter Kordel dazwischen, als gäbe es hier nicht schon genügend Absperrungen. Ein Fremdkörper, aber irgendwie hübsch, ein Glamourschimmer in diesem eher tristen Ambiente, ein Gefängnis ist kein Kurhotel.

Gegen Ende der Berlinale, früher Freitagabend, also doch noch mal eine richtige Premiere: Die Filmfestspiele gastieren in der JVA Tegel. Im Spätsommer war die Idee im Führungszirkel der Senatsjustizverwaltung aufgetaucht, man fand das gut, der Senator auch. Die Berlinale wurde kontaktiert, dort war man ebenfalls hoch erfreut, schließlich werde die Reihe „Berlinale Goes Kiez“ mit dieser Sonderveranstaltung „noch mehr ihrem Anliegen gerecht, Barrieren abzubauen sowie kulturelle Teilhabe zu ermöglichen“. So ließ es Festivalchef Dieter Kosslick verbreiten, während Senator Dirk Behrendt sich im Vorfeld freute, dass „wir auch das Leben in Haft dem Leben in Freiheit ein Stück weiter angleichen“ können.

„Auf euer Wohl“, feixt es aus einem nahen Zellenblock herüber, als der erste Medientrupp über den roten Teppich das Gebäude betritt, in dem sich laut einer Aufschrift der Kultursaal befindet. Ein langgestreckter Raum, die großen Fenster jetzt verdunkelt, gelbgestrichene Wände, die Leitungen schon deswegen nicht unter Putz, weil es hier keinen Putz gibt. Stuhlreihen für 150 Mann oder etwas mehr, vorne ein Podium, auf dem die Leinwand aufgebaut ist, Lautsprecher rechts und links, mobil wie die Projektionsanlage und samt rotem Teppich von der Berlinale gestellt. Dort wurde auch den Film ausgesucht, „Das schweigende Klassenzimmer“ von Regisseur Lars Kraume, die Geschichte einer Abiturklasse in der DDR, die nach einer Schweigeminute aus Protest gegen die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956 massiven Repressionen ausgesetzt war.

Auch der Justizsenator war gekommen

Kulturelle Teilhabe? Schöne Idee, unbedingt zu wiederholen, wenngleich diesmal noch ein sehr überschaubarer Kreis von Häftlingen das Angebot nutzt. Vielleicht ein gutes Drittel der Stühle ist besetzt, und wohl die Hälfte der Anwesenden kann später wieder unbehelligt nach Hause gehen, die Medienleute, das Wachpersonal, der Senator samt seinem Tross.

Die Präsentation des Films nicht anders als im Berlinale-Palast, vorneweg die Warnung vor „Film Piracy“ – nun, die ist hier ausgeschlossen. Reaktionen während der Vorführung? Kaum – nur als für einen Schüler, der einen Lehrer angeschossen hat, eine zehnjährige Haftstrafe vorausgesagt wird, ist leises Kichern zu hören. Man ist hier wohl andere Zahlen gewohnt.

Nach dem Beifall kommen die Fragen

Nach dem Film sehr freundlicher Beifall, eigentlich alle, die man befragt, werden den Film loben, aber nun steht dort vorn der Regisseur, bereit für Auskünfte. Was denn aus den Schülern geworden sei, die nicht in den Westen gingen, will einer wissen, ein anderer, wie Kraume zu dem Stoff kam, ob er Parallelen zwischen damals und heute sehe, schließlich, ob der Film deswegen ausgewählt worden sei, weil es auch dort um Unfreiheit gehe. Aber das weiß der Regisseur nicht so genau, die Wahl hänge wohl auch damit zusammen, dass es ein „relativ klassischer Film“ sei, nichts Experimentelles.

Echtes Interesse ist also da, fragt sich nur, warum bei so begrenztem Kreis. Einer der Männer, drei Jahre hat er noch, erklärt sich das so: Es seien eben viele ausländische Häftlinge da, die könnten mit „Berlinale“ nicht viel anfangen. Aber das Problem scheint größer. Eine Frau vom sozialpädagogischen Dienst der JVA beklagt, dass Kulturveranstaltungen häufig nur geringe Resonanz fänden. Einmal allerdings hatten sie eine Sängerin eingeladen, blond, das Plakat zeigte sie in knappem Outfit. Da war der Saal voll.

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