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Luftaufnahme der Gropiusstadt, Berlin-Neukölln.

© epd

50. Jubiläum: Gropiusstadt kämpft gegen ihr schlechtes Image

90 Meter hohe Wohntürme, 50 Jahre Geschichte. Und so schön grün hier! Die Gropiusstadt feiert ihr Jubiläum. Viele finden das Wohnmaschinenviertel abschreckend, doch Bewohner sehen die Gegend mit anderen Augen.

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Hallooo, Jaaah, Genauuuu. Julia Pankratyeva singt, wenn sie spricht, ihre Sätze enden in großen, langsamen Lachkaskaden. Sie trägt ein beigefarbenes Kostüm, Perlenkette und rosa Lippenstift – hinter ihr ragen graue, unsanierte Betontürme in den Himmel. Das ist Gropiusstadt, 50 Jahre nach ihrer Gründung. Viele finden das Wohnmaschinenviertel für 35 000 Menschen im Süden Neuköllns immer noch abschreckend, die meisten Gropiusstädter sehen die Gegend aber mit anderen Augen. Julia Pankratyeva hat sich hier vom ersten Tag an wohlgefühlt. In Kirowograd, wo sie früher lebte, sehen die Wohntürme nicht viel anders aus. Die Ukrainerin schätzt vor allem das viele Grün hier und die singenden Vögel in den Bäumen.

Die Gropiusstadt hat sich in den vergangenen zehn Jahren stärker gewandelt als in den 40 davor. Kinderreiche Einwanderer-Familien beleben das Viertel und sorgen für einen Kontrast zu betagten Altmietern, von denen viele alleine leben. Die Innenstadt-Verdrängten finden hier noch günstigen Wohnraum. Auf dem Bat-Yaam-Platz vor dem Gemeinschaftshaus dominieren mittags Rentnerpärchen mit Rollator, am Nachmittag kommen viele Kinder und Jugendliche. Im Gemeinschaftshaus gibt es Freizeitangebote für alle Altersgruppen, vom Handarbeitskreis bis zum Gitarren-Workshop. Pankratyeva leitet den „Interkulturellen Treffpunkt“ und organisiert Sing- und Tanzabende. Anfangs war es schwierig, die Menschen aus Russland, Indonesien, Kurdistan, Moldawien und Deutschland füreinander zu interessieren, sagt die 55-Jährige. Aber mit der Zeit siegte ihr warmherziges Werben über alle Vorbehalte.

Peter Geue kennt das Viertel seit 43 Jahren. Der ehemalige Nachrichtentechniker schätzt, dass es in der Gropiusstadt immer etwas kühler war als an seinem Arbeitsplatz in Tempelhof. „Luft, Wasser, nach zehn Minuten Spaziergang ist man im Grünen – der Freizeitwert ist hoch“. Die vielen Familien aus arabischen und asiatischen Ländern empfindet Geue als Bereicherung, auch wenn einige ethnische Gruppen seiner Ansicht nach sehr isoliert leben. Das schlechte Image der Gropiusstadt, gespeist aus dem Buch von Christiane F., die hier als Jugendliche lebte, wirke bis heute nach. Auch die Suizide vom Dach des Ideal-Hochhauses, dem höchsten Wohnhaus Berlins, würden immer wieder zitiert. Mit der Realität habe das alles nichts zu tun. „Meine Frau und ich gehen zu allen Tag- und Nachtzeiten raus. Wir sind nie belästigt worden.“

Bildergalerie: Berlins Gropiusstadt

„In Gropiusstadt ist die Kriminalitätsrate niedriger ist als in den coolen Vierteln wie Kreuzberg oder Friedrichshain,“ sagt Jörg Stollmann, Architekturprofessor an der TU. Aber dennoch gibt es sogenannte „Angsträume“ in dunklen Grünanlagen. „Wir müssen es schaffen, dass es mehr Leben und Licht gibt.“ Stollmann hat mit seinen Studenten den Ortsteil analysiert und Ideen entwickelt, um das Viertel fit für die Zukunft zu machen. Zum Beispiel könnten sogenannte „Coworking-Büros“ eingerichtet werden, in denen Leute auch nachts arbeiten. Der Professor hat schon das Jahr 2020 im Blick. Dann richtet Berlin die Internationale Bauausstellung aus. Bis dahin könnte er aus Gropiusstadt ein städtebauliches Vorzeigeprojekt machen. „Wir sagen, was alles möglich ist. Ob es dann auch umgesetzt wird, ist Sache der Politik und der Gesellschaft“.

Konkreter ist das Projekt der Degewo, die 4500 Wohnungen im Quartier besitzt. Die städtische Wohnungsbaugesellschaft will 400 neue Wohnungen bauen und den Bestand sanieren. Bis 2016 sind für die energetische Sanierung und die Aufwertung des Umfeldes 100 Millionen Euro vorgesehen. So was lohnt sich nur, wenn man an die Zukunft glaubt.

In der Vergangenheit war nicht alles rosig. Gropiusstadt ist die älteste Berliner Trabantensiedlung, gebaut ab 1962. Ursprünglich sollten 14 500 Wohnungen entstehen, doch der Mauerbau zwang zur Verdichtung der Flächen und Erhöhung der Häuser. 50 000 Berliner sollten hier eine Bleibe finden, um die Wohnungsnot zu lindern. Erst 1975 war die Siedlung komplett fertig, aber schon damals begannen die sozialen Probleme. Nach der Wende verschärften sich Leerstand und Verwahrlosung, ab 2000 steuerten die beteiligten Wohnungsbaugesellschaften und der Bezirk aktiv dagegen. 2005 wurde ein präventives Quartiersmanagement eingerichtet, 2008 ein Bildungsverbund der Kitas und Schulen gegründet. Inzwischen ziehen wieder Mittelstandsfamilien ins Hochhausviertel und begünstigen die soziale Mischung.

„Wie immer?“, fragt Brisel Karademie. „Jaja“, antwortet Karl-Heinz Jung, 74, und setzt sich auf seinen Stammplatz vor den Kiosk. Die Kioskbesitzerin Karademie, in Gropiusstadt als „Bibi“ bekannt, bringt Jung seine Tasse Kaffee. Ihr Kiosk „Bibi’s Shop“ ist im Erdgeschoss des Ideal-Hochhauses, Berlins höchstem Wohnhaus. „Fährt man mit dem Aufzug, grüßen sich alle. Hier kennt jeder jeden“, sagt Karademie, während sie zwei Passanten zuwinkt. „Wenn man mal jemanden braucht, der einem schwere Sachen in die Wohnung trägt, kommt sofort einer und hilft“, sagt Jung, „wer anonym leben will, ist hier in Gropiusstadt falsch“

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