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Die Grünauer Revierförsterin Ulrike Lucas vor geschlagenem Kiefernholz im Bohnsdorfer Wald.

© Stefan Jacobs

329.000 neue Bäume für Berlin: Wie die Forsten dem Klimawandel trotzen - und warum nicht alle Laubbäume gut sind

Mit mehreren hunderttausend neuen Ulmen, Eichen und anderen Laubbäumen wird der Berliner Wald für harte Zeiten fit gemacht. Kiefern müssen dafür weichen.

Die riesigen Reifen der Forstmaschine mit ihrem V-Profil haben sich tief in den Waldboden gedrückt. Mittendrin liegt ein plattgefahrener Ast, der mausetot aussieht. Aber das täuscht: An mehreren Stellen treibt er wieder aus, als wäre er unsterblich.

Ist er auch, zumindest fast. Es handelt sich nämlich um den Rest einer Spätblühenden Traubenkirsche, die in den Berliner Wäldern seit Jahrzehnten Probleme macht. Probleme, die sich seit der Rekordwärme der vergangenen drei Dürrejahre und der noch immer nicht gelinderten Trockenheit rapide verschärfen.

Probleme, für die an oberster Stelle jetzt Gunnar Heyne zuständig ist, der sich an diesem Tag den Wald bei Bohnsdorf im Berliner Südosten beguckt, während am anderen Ende der Leine Oscar witternd wartet. Heyne, zuvor verantwortlich für den Naturpark Dahme-Heideseen, leitet seit Jahresbeginn die Berliner Forsten. Oscar ist Heynes Beagle, den von der Leine zu lassen nicht nur ordnungswidrig wäre, sondern auch töricht: „Den würden wir nie wiedersehen.“

Aber das ist eine andere Geschichte. Hier geht es um die „Pflanzung von ca. 329.000 Forstpflanzen“, die die Forsten kürzlich ausgeschrieben haben. Einige dieser Forstpflanzen, die der Volksmund Bäume nennt, sollen auf den knapp zehn Hektar gepflanzt werden, die Revierförsterin Ulrike Lucas mit ihren Leuten im Winter durchforstet hat und die jetzt ein bisschen nach Truppenübungsplatz aussehen. Es ist eine von Dutzenden solcher Stellen in allen Wäldern der Stadt, die durch das 2012 begonnene Mischwaldprogramm fit gemacht werden sollen für harte Zeiten.

147 Jahre alte Kiefern

Etwa 1000 Kubikmeter Holz haben die Forstleute aus dem knapp zehn Hektar großen Streifen zwischen den Gärten von Bohnsdorf und der Trasse der Görlitzer Bahn geholt. 147 Jahre waren die Kiefern alt, deren Stämme sich Lkw-hoch am Wegesrand stapeln. Von weitem sieht das Holz nach einem Schatz aus, der da auf den hungrigen Baustoffmarkt wartet.

Gunnar Heyne - hier mit seinem Hund Oscar - ist seit Januar 2021 Leiter der Berliner Forsten.
Gunnar Heyne - hier mit seinem Hund Oscar - ist seit Januar 2021 Leiter der Berliner Forsten.

© Stefan Jacobs

Aber aus der Nähe sieht Gunnar Heyne den Schwamm, der sich von innen durchs Kernholz nagt, und winkt ab: „Als Sägeholz taugt das nicht mehr“, selbst für Spanplatten kaum; vermutlich lande es für wenig Geld in einer Papierfabrik. Die Kronen der gefällten Kiefern liegen wie Trümmer im Wald – zum Verdruss vor allem älterer Passanten, die sich unter einem Wald eher die früher üblichen Forstpflanzenplantagen vorstellen, die ordnungsliebende Menschen erfreuen, aber ökologisch wenig Wert haben.

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Je verrumpelter der Wald nach der Durchforstung aussieht, desto mehr Mails und Anrufe bekommt die Försterin. Skeptische, aber auch böse. Bei Kiefern bleibt besonders viel übrig, das man sinnvollerweise im Nährstoffkreislauf belässt – also an Ort und Stelle. Das bedeutet auch viele Anrufe. Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es von den Forsten zurück. Heyne erzählt, bei der Auswahl künftiger Revierleiterinnen und -leiter lasse er Bewerber eine anonymisierte Bürgerbeschwerde beantworten.

Spätblühende Traubenkirschen sind zäh: selbst ein abgebrochener kleiner Stamm treibt wieder aus.
Spätblühende Traubenkirschen sind zäh: selbst ein abgebrochener kleiner Stamm treibt wieder aus.

© Stefan Jacobs

Wobei die Durchforstung längst nicht alle Kiefern erwischt: Viele bleiben auch als Schattenspender für den Nachwuchs stehen. Der besteht hier vor allem aus 64 Jahre alten, aber unterm Kieferndach etwas spillrig geratenen Eichen und eben den Traubenkirschen, die vor ewigen Zeiten in guter Absicht in die Region gebracht wurden, aber vor allem Nachteile haben: Erst wachsen sie los wie verrückt, aber auf halbem Weg nach oben verbuschen sie und machen so viel Schatten, dass andere Baumarten fast keine Chance auf einen guten Start haben.

Ihr Laub verrottet zwar schnell und verbessert den Boden, aber es enthält Blausäure und wird deshalb von den Rehen verschmäht, die sich notgedrungen an den einheimischen Laubgehölzen sattfressen. Dafür schmecken die Traubenkirschen den Vögeln, die sie in Düngerkugeln verpackt immer weiter verteilen.

Auf zwei der zehn Hektar beseitigt die Försterin deshalb auch die Traubenkirschen und wird die Flächen einzäunen, damit die jetzt zur Pflanzung ausgeschriebenen Bäumchen die ersten Jahre überstehen. Auf den anderen acht Hektar sollen sich die schon vorhandenen, bisher dürren Bergahorne im neuen Licht gut entwickeln. Neu gepflanzt werden vor allem Ulmen und Eichen; in anderen Berliner Wäldern auch Buchen, Birken und Winterlinden sowie in kleinen Mengen Feldahorn, Weißdorn und Vogelkirsche.

Sämlinge von Eichen sind ein Glücksfall für den Berliner Wald - sofern sie die ersten Jahre überstehen.
Sämlinge von Eichen sind ein Glücksfall für den Berliner Wald - sofern sie die ersten Jahre überstehen.

© Stefan Jacobs

Gepflanzt werden ein- bis zweijährige Sämlinge, wurzelnackt und vielleicht 30 Zentimeter hoch, aber in jedem Fall zertifiziert. So will es nicht nur das Forstsaatgutvermehrungsgesetz, sondern auch der Verstand, weil beispielsweise ein Schnäppchen aus Schwaben hier an Trockenheit und Winterkälte scheitern würde. Die lokale Begrenzung reduziert auch das Bewerberfeld, das bis zum 16. Juni für die Herbstpflanzung – im Frühjahr wird angesichts des immer früher beginnenden Sommerwetters seit Jahren nicht mehr gepflanzt – mitbieten kann. Wie das Angebot ist, hat sich oft schon im Herbst davor ergeben.

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Denn feuchte Früchte wie Eicheln kann man nicht jahrelang aufbewahren. Und ohne Eicheln keine Eichen. Was die Baumschulen nicht liefern können, versuchen die Förster aus ihren eigenen Revieren zu gewinnen: „Wildlingswerbung“ heißt die Pflanzung selbst ausgesäter Bäumchen, die am ehesten bei Eichen und Buchen funktioniert.

Laubbäume schützen vor Waldbränden, kühlen die Luft und verdunsten zumindest im Winter nicht sämtliches Regenwasser. Deshalb das Mischwaldprogramm, das parallel zum regulären Betrieb der Forsten läuft. Der Berliner Wald macht also viel Arbeit und bringt wenig wirtschaftlichen Ertrag.

Wie wäre es, wenn man ihn einfach sich selbst überließe? „Dann bricht das System zusammen“, sagt Heyne. Der Wald in Deutschland sei „zu 100 Prozent Kulturlandschaft“. Was nicht lukrativ war, sei überwiegend „ausgepflegt“ worden, ein natürliches Gleichgewicht also nicht mehr vorhanden.

Als Förster muss man in Jahrhunderten denken

Hier, wo Beagle Oscar inzwischen zu Füßen des obersten Berliner Försters gähnt, hieße der Zusammenbruch, dass in ein paar Jahren sämtliche Kiefern hinfällig würden. Übrig blieben Traubenkirschen und Eichen, was nicht ganz schlecht wäre, aber eben auch wieder Monokultur. Deshalb ziehen die Forsten lieber ein paar zusätzliche Etagen ein in den Wald. Als Förster müsse man in Jahrhunderten denken, sagt Heyne, der weiß, wie schwierig das ist.

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Als sein Kollege hier vor 146 Jahren die Kiefernsetzlinge pflanzte, war selbst Bertha Benz noch zu Fuß unterwegs und Thomas Alva Edison tüftelte an den ersten Glühlampenfäden aus Pflanzenfasern. Heynes damaliger Kollege ahnte nicht nur nichts vom Klimawandel, sondern noch nicht einmal etwas von dem Dauerwaldvertrag, mit dem 1915 der kommunale Zweckverband von Groß-Berlin dem preußischen Staat den Wald abkaufte, um ihn dauerhaft vor allem zu Erholungszwecken zu sichern. Sonst wären die Kiefern auf dem Stapel vor Oscars Nase gar nicht erst so alt geworden.

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