zum Hauptinhalt
Vor einem Jahr waren Gewerkschaften und Verbände Sturm gegen das Gesetz gelaufen.

© Paul Zinken/dpa

Update

315 Beschwerden gegen Berliner Behörden - 111 wegen Rassismus: Rassismus in der Polizei - nur wenige bestätigte Fälle

In fünf Fällen hat die Ombudsstelle des Landesantidiskriminierungsgesetzes eine Beschwerde als berechtigt anerkannt. Andere Bundesländer könnten Berlin folgen.

Knapp ein Jahr nach Inkrafttreten des umstrittenen Landesantidiskriminierungsgesetzes (LADG) in Berlin hat sich der Rassismusverdacht gegen Berlins Polizei bislang kaum in der Statistik niedergeschlagen. 50 Diskriminierungsbeschwerden sind bis Ende vergangener Woche eingelegt und bearbeitet worden – doch die Polizei und die LADG-Ombudsstelle gehen bei der Bewertung nicht immer überein.

„Bei der polizeilichen Beschwerdebearbeitung wurden bisher keine Vorwürfe als berechtigt eingestuft“, sagte ein Polizeisprecher. Am häufigsten war Polizisten Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft in 31 Fällen und wegen rassistischer Zuschreibung in 21 Fällen vorgeworfen worden. Mehrfachnennungen sind möglich. Doris Liebscher, Leiterin der Ombudsstelle bei der Justizverwaltung, sagte hingegen: Die Ombudsstelle habe entgegen der Entscheidung der Polizei in fünf Fällen die Diskriminierungsbeschwerde als berechtigt oder teilweise berechtigt anerkannt. In mindestens einem Fall davon ging es um Racial Profiling und in einen um rassistische Gewalt.

Zumeist stand Aussage gegen Aussage. Beschwerden hat sie zugestimmt, wenn die Aussagen der Betroffenen glaubwürdiger und mehr wahrscheinlicher erscheinen als die Darstellung der Polizisten. Es seien keine leichten Fälle, sagte Liebscher. In solchen Fällen gibt sie dann Handlungsempfehlungen ab. Eine Beanstandung - das schärfste Schwert der Ombudsstelle - hat sie bislang nicht vorgenommen. Vor Gericht haben Beschwerdeführer bislang noch keinen Schadenersatz gegen die Polizei erklagt.

Als Beispiel für solche Fälle nennt Liebscher etwa diesen Fall: Nach Beschwerden wegen Ruhestörung erleben Betroffene, dass Polizisten mit ihnen wenig freundlich umgehen und ihnen weniger Glauben schenken als anderen Es gehe nicht immer um ein gefestigtes rassistisches Weltbild bei Beamten oder vorsätzliche Diskriminierung, nötig sei aber Kompetenz im Umgang mit der vielfältigen Berliner Stadtgesellschaft, sagte Liebscher.

[Wenn Sie alle aktuellen Nachrichten live auf Ihr Handy haben wollen, empfehlen wir Ihnen unsere App, die Sie hier für Apple- und Android-Geräte herunterladen können.]

Beschwerden gab es auch gegen Bürgerämter oder die Berliner Verkehrsbetriebe. Bis Ende Mai waren es insgesamt 315 – davon allein 111 wegen rassistischer Diskriminierung. Zur Einschätzung liegen konkrete Zahlen nur für die Zeit bis Ende April vor. Bis dahin waren es 185 Beschwerden, 109 waren Ende April bearbeitet und abgeschlossen. Bei 21 Fällen hat die Ombudsstelle eine Diskriminierung bestätigt, bei 31 weiteren Fällen gingen die Experten von Diskriminierung aus, konnten das aber nicht abschließend aufklären, etwa weil die betroffenen Behörden dann bereits eingelenkt haben.

Nur im niedrigen und mittleren einstelligen Bereich liegt die Zahl der Diskrimierungsbeschwerden gegen die Polizei wegen des Lebensalters (ein Fall), Geschlechts, Religion, Behinderung, Sprache, sexueller oder geschlechtlicher Identität (jeweils zwei), chronischen Erkrankung (drei) sowie Weltanschauung und wegen des sozialen Status (je vier).

Aber wenn es so wenige Fälle sind – ist das LADG dann überhaupt nötig? Seit Inkrafttreten des LADG erlebten die Ombudstellen und andere Beratungsstellen einen massiven Anstieg von Beschwerden Rasssismuserfahrungen - mehr als sie erwartet hat. Es gehe nicht um einen pauschalen Rassismusvorwurf, sondern um eine professionelle Fehlerkultur, sagte Liebscher. Es sei wichtig, dass sich die Menschen ernst genommen fühlen, dass man sie ernst nimmt. Dafür seien sie dankbar - etwa für Entschuldigungsschreiben der BVG. Die gehe damit offensiver um als die Polizei.

Das Gesetz soll Klagen mit Beweiserleichterung möglich machen

Thilo Cablitz, Sprecher der Polizei, sagte, die Polizei habe kein Problem mit dem Gesetz. Das Vorgehen der Polizei müsse ohnehin überprüfbar sein. „Oft ist die Ermächtigungsgrundlage für den Einsatz da, aber die Motivation für eine Kontrolle ist entscheidend“, sagte er. Es sei wichtig, die Stimme der Betroffenen zu hören. Die Polizei müsse ihre Maßnahmen aber stärker erklären und empfundene Diskriminierung nicht gleich als Angriff verstehen. Es gehe ums Lernen, was als diskriminierend empfunden wird.

Das Antidiskriminierungsgesetz soll Menschen in Berlin vor Diskriminierung zum Beispiel wegen ihrer Hautfarbe, Herkunft, Sexualität oder Sozialstatus durch Behörden schützen. Es soll Klagen mit Beweiserleichterung möglich machen, wenn sich Menschen von Polizisten oder anderen Behördenvertretern diskriminierend behandelt fühlen. Zivilgerichte sollen das Land Berlin dann zu Schadenersatz verurteilen können. Dabei reicht eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, dass ein Vorfall wie von den Betroffenen geschildert, aus.

Vor einem Jahr waren Polizeigewerkschaften und Berufsverbände Sturm gelaufen gegen das Gesetz, mit dem Berlin Vorreiter in Deutschland ist. Der zentrale Vorwurf lautete: Damit werden Polizeibeamte unter Generalverdacht gestellt, Rassisten zu sein und Bürger zumeist aus rassistischen Gründen zu diskriminieren. Zudem war davor gewarnt worden, dass der Polizei die Arbeit erschwert und sie durch eine Flut von Beschwerde lahmgelegt würde.

Selbst Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik hatte gesagt: „Wir hätten das Gesetz nicht gebraucht.“ 2018 habe es 21 Beschwerden gegen Polizisten wegen Diskriminierung gegeben, 2019 waren es 14 – bei 750.000 Funkwageneinsätzen im Jahr.„Wir müssen immer rechtlich legitimiert handeln“, hatte Slowik erklärt. Beschwerden über diskriminierendes Verhalten seien auch bisher schon möglich gewesen.

Seehofer hatte gedroht, keine Hundertschaften mehr zu entsenden

Und Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) hatte sogar damit gedroht, für Einsätze in Berlin etwa bei Demonstrationen keine Hundertschaften zu entsenden. Der Fall des von US-Polizisten ermordeten George Floyd und die Bewegung „Black Lives Matter“ haben die Debatte um Rassismus in der Polizei noch befeuert.

Mehrere Bundesländer könnten nun dem Berliner Vorbild folgen. Das zeigt eine Umfrage des Mediendienstes Integration: Brandenburg, Hamburg, Hessen und Sachsen wollen demnach überprüfen, ob es gesetzliche Lücken beim Diskriminierungsschutz gibt und ob es dafür ein Gesetz braucht.

In Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg haben sich der Umfrage zufolge die neuen Koalitionen im Mai darauf geeinigt, ein LADG auf den Weg zu bringen. Auch die Regierung in Thüringen spreche sich für ein Gesetz aus, vor der Landtagswahl im Herbst werde aber nichts unternommen. In Berlin war es maßgeblich von den Grünen und ihrem Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) vorangetrieben worden

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false