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Ein Transparent an der Zille-Grundschule in Friedrichshain. Der Senat strich dort 2013 die Mittel für Sozialarbeit.

© Doris Spiekermann-Klaas

260 zusätzliche Stellen: Ein Sozialarbeiter für jede Berliner Schule

Bildungssenatorin Scheeres kann 20 Millionen Euro zusätzlich ausgeben. Doch die Probleme an den Schulen wachsen schneller als die Ressourcen.

Mobbing, Drogen und Gewalt, aber kein Sozialarbeiter, der sich kümmern kann: Dieses Szenario ist Realität an jeder dritten Berliner Schule – noch: Ab Sommer 2021 soll auch die letzte öffentliche Berliner Schule auf Unterstützung durch Sozialarbeiter rechnen können. Die entsprechenden 260 fehlenden Stellen hat Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) im Doppelhaushalt 2020/21 verankern lassen, womit sie die rot-rot-grüne Koalitionsvereinbarung von 2016 umsetzt.

„Es zeigt sich immer mehr, dass Sozialarbeiter aus den pädagogischen Teams der Schulen nicht mehr wegzudenken sind“, begründet Scheeres den Schritt, der sich im Haushalt mit rund 20 Millionen Euro niederschlägt, was einer Verdoppelung des bisherigen Betrages entspricht.

Die Senatorin betonte, dass der Einsatz der Sozialarbeiter „messbare Verbesserungen“ bringe – etwa bei der Bekämpfung von Schuldistanz oder Schulabbruch sowie bei der Verbesserung der Quote an Schülern, die es zum Mittleren Schulabschluss schafft.

In dieser vorerst letzten Ausbaustufe des Programms „Jugendsozialarbeit an Berliner Schulen“ profitieren nun auch die Gymnasien, die bisher am schlechtesten ausgestattet waren: Von 90 öffentliche Gymnasien hatten bisher fast 70 keinen Sozialarbeiter, der aus dem genannten Programm bezahlt wurde. Unter den 360 Grundschulen muss bisher jede zweite ohne Sozialarbeiter auskommen, unter den 122 Sekundarschulen sind es noch fast 40, und bei den Förderzentren warteten bisher zehn vergeblich auf diese professionelle Unterstützung.

Manche Schulen behelfen sich mit dem Bonusprogramm

Über 50 Schulen, die bis jetzt keinen oder jedenfalls zu wenig Sozialarbeiter beschäftigen konnten, haben die Möglichkeit genutzt, mit Geldern aus dem Brennpunktprogramm selbst die Stelle zu finanzieren. Künftig könnten sie diese so genannten Bonusgelder für andere Belange nutzen – es sei denn, sie brauchen einen zweiten oder sogar dritten Sozialarbeiter, um ihrer Probleme Herr zu werden.

Auch das könnte gut sein, denn nicht nur die Brennpunktschulen klagen über zunehmende Probleme mit verhaltensgestörten und psychisch kranken Kindern, die den Unterricht verunmöglichen und selbst in Kleinklassen nicht zu bändigen sind. Als zusätzliches Problem kommt hinzu, dass auf Bezirksebene Jugendhilfe und Schulamt meist in getrennten Händen liegen und mitunter nicht so kommunizieren, wie es für die Bewältigung der Schulprobleme nötig wäre – etwa bei der Bewilligung von therapeutischen Hilfen. Zudem handelt es sich immer um getrennte Budgets.

Ein Sozialarbeiter reicht oftmals nicht

„Die Problemlage in Zeiten der modernen Völkerwanderung ist evident“, sagt Paul A. Kleinert, der seit rund 20 Jahren für Sozialpädagogik und kulturelle Bildung an Neuköllner Brennpunktschulen zuständig ist. An der Neuköllner Röntgen-Sekundarschule hat er zusammen mit Schulleiter Detlef Pawollek belastbare Strukturen in der Sozialarbeit geschaffen – und muss doch mit ansehen, dass es nicht reicht: Die seit sechs Jahren bestehende Kleinklasse („Temporäre Lerngruppe“) für die schwierigsten Fälle musste jetzt aufgelöst werden.

Auf der Schul-Homepage heißt es zur Begründung, die „falsch verstandene und gehandhabte Inklusion“ habe dazu geführt, dass „Jugendliche in immer höherer Zahl mit hohen Defiziten an der Regelschule ankommen“. Dem stehe eine zu knappe Personalausstattung an therapeutisch ausgebildeten Fachkräften gegenüber.

Eltern verweigern Mitarbeit

Von 453 Schülern der Röntgen-Schule hätten 117 „Auffälligkeiten“, berichtet Kleinert. Erschwerend komme hinzu, dass vor allem unter den zugewanderten Eltern die Bereitschaft gering sei, ihre Kinder diagnostizieren zu lassen. Ohne Diagnose gibt es aber keinen Förderstatus und ohne Status keine zusätzliche sonderpädagogische Unterstützung. Diese Probleme mit oftmals nur einem Sozialarbeiter oder Sozialpädagogen lösen zu wollen, werde nicht funktionieren, steht für ihn daher fest.

Daher sei die flächendeckende Versorgung der Schulen mit Sozialarbeitern zwar der richtige Ansatz, aber „ohne flankierende strukturelle Maßnahmen nur ein Tropfen auf den heißen Stein“, bedauert Kleinert.

Die Forderung besteht seit Jahrzehnten

Die Diskussion um fehlende Sozialarbeiter zieht sich seit Jahrzehnten hin: Anders als etwa in skandinavischen Ländern gehören sie nicht zum festen und selbstverständlichen Personalstab an Schulen. Selbst Hauptschulen mussten bis 2006 darauf verzichten. Seit 2010 wurde auch die Forderung an Gymnasien lauter - allein schon wegen der (Cyber-)Mobbing-, Magersucht- und Drogenproblematik. Bis zur flächendeckenden Umsetzung hat es nochmals rund zehn Jahre gedauert. Auch die Grundschulen haben einen großen Bedarf: Hier gibt es bereits ein hohes Gewaltpotential.

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