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Die Sopranistin Simone Kermes im eidechsengrünen Kleid.

© Getty Images

26. Operngala für die Deutsche Aids-Stiftung: Mit Verve, Ironie und Spitzentönen

Bei der 26. Festlichen Operngala für die Deutsche Aids-Stiftung erklingen Mozart- und Verdi-Arien. Und ein Preisträger glaubt immer noch an Amerika.

Der Hausherr verliert keine Zeit, kommt umstandslos zum Wesentlichen: „Es macht mich sprachlos und zornig, wenn ich sehe, was in Deutschland passiert“, sagt Dietmar Schwarz, Intendant der Deutschen Oper Berlin, in seiner Begrüßungsrede zur 26. Festlichen Operngala für die Deutsche Aids-Stiftung. Vor Rechtspopulisten, Hate Speech und Politikern, die mit Lügen Wahlen gewinnen, hat er auch schon vergangenes Jahr gewarnt – es ist nicht besser geworden seither, siehe der Angriff auf die Synagoge in Halle, siehe die Drohungen, denen sich Theater in Deutschland von rechts zunehmend ausgesetzt sehen. „Das Theater als wertvolle Inspirationsquelle wird in seinen Grundfesten angegriffen“, sagt Schwarz.

An den eigentlichen Anlass des Abends, die auch in Deutschland nicht – und noch viel weniger in afrikanischen Ländern – besiegte Krankheit Aids, erinnern Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller und Gesundheitsminister Jens Spahn: Immer noch 2700 Neuinfektionen in Deutschland pro Jahr, in Berlin 340. „Das heißt, fast jeden Tag infiziert sich in Berlin ein Mensch mit HIV“, so Müller.

Spahn betont aber auch die Erfolge, die in jüngster Zeit gemacht werden konnten, etwa der jetzt in Apotheken und Drogerien erhältliche HIV-Schnelltest für zu Hause oder der – auf Initiative Spahns – auf zehn Euro gesunkene Preis für die Präexpositionsprophylaxe (PrEP), die die Verbreitung des Virus weiter eindämmt. Trotzdem: Aids ist weiterhin nicht heilbar, und weltweit leben 38 Millionen Menschen mit dem Virus.

Jamie Drummond, Mitbegründer der Kampagnenorganisation One und diesjähriger Preisträger des „World Without Aids Awards“, engagiert sich seit Jahrzehnten stark in außereuropäischen Ländern. 2001 gehörte er zu denjenigen, die den damaligen US-Präsidenten George W. Bush überzeugen konnten, die Aids- Initiative Pepfar ins Leben zu rufen. „Man kann also“, sagt er in seiner Dankesrede, „Amerikanern Fakten liefern, und sie treffen auf dieser Basis die richtigen Entscheidungen. Es ist tatsächlich möglich.“ Da hat er die Lacher auf seiner Seite.

Was natürlich auch Ziel von Max Raabe ist, der für den künstlerischen Teil des Abends wieder seine „Notwendigen Bemerkungen zu dramatischen Musikbeispielen“ beisteuert – in gewohnter Manier: formvollendet, mit distanzierter Höflichkeit und einer Mimik, die kein Lächeln je entstellt. Zum Glück macht er sich dieses Jahr lockerer, seine Ironie liegt stärker an der Oberfläche – es gab Auftritte, da musste man sie mit der Lupe suchen. Und so gibt es doch viele lustige Momente.

Don Giovanni wird zum „ergebnisorientierten“ Edelmann

Raabes langjähriges Rezept: Man nehme die wesentlichen Stränge einer Opernhandlung und reichere sie mit Begriffen an, die der Welt des Behörden-, PR- oder Managersprechs entnommen sind. Don Giovanni wird da schnell zu einem „ergebnisorientierten“ Edelmann, Osmin aus der „Entführung aus dem Serail“ zum Betriebsleiter eines Hotels an der türkischen Südküste.

Andrea Mastroni singt beide Mozart-Figuren, doch während er (im „La ci darem la mano“-Duett mit Kristina Mkhitaryan) noch einen betörenden Giovanni abgibt, setzt er Osmins Arie mit undefinierbarem Bassbariton-Gebrabbel in den Sand. Es bleibt musikalisch der einzige Schwachpunkt des Abends, auch das Orchester der Deutschen Oper Berlin findet unter Leitung von John Fiore nach dem Eröffnungsstück, der noch recht wackeligen Polonaise aus Tschaikowskys „Eugen Onegin“, schnell zusammen und einen beherzten Zugriff auf die Stücke.

Und Max Raabe lässt es sich natürlich nicht entgehen, Mozarts „Entführung“ mit den aktuellen Worten zu kommentieren: „Geht ein Reiseveranstalter pleite, haben die Pauschalurlauber das Nachsehen.“

Generell ist die sängerische Qualität – alle treten ohne Gage auf – hoch. Stefano La Colla schleudert als Enzo Grimaldi in Ponchiellis Oper „La Gioconda“ höchste Töne mit Zeus’scher Wucht in den Saal, Simone Piazzola dagegen schenkt dem Abend mit herrlich gleichmäßig strömendem Bariton einen stillen Höhepunkt in der Arie von Germont Vater aus Verdis „La traviata“.

Sopranistin Simone Kermes stielt allen die Show

Der Chor der Deutschen Oper (Leitung: Jeremy Bines) kommt in Verdis mitreißender „Rataplan“-Nummer mit Vasilisa Berzhanskaya als Preziosilla zu Wort – aus jener Oper „Die Macht des Schicksals“, die bekanntlich auch für das Haus an der Bismarckstraße zum Schicksalsstück geworden ist, provoziert doch seine Inszenierung, sei sie von Hans Neuenfels oder von Frank Castorf, regelmäßig Theaterskandale.

Allen die Show aber stiehlt Sopranistin Simone Kermes. Und das liegt nicht an ihrem ausladenden, echsengrünen Kostüm, sondern einfach daran, dass sie tut, was sie am besten kann: Den Klang durch den Körper strömen zu lassen und es auch zu zeigen, zu wippen, grooven, tanzen, ohne dass es je albern wirken würde. Und auf diese Weise erfrischend andere Zugänge zur klassischen Musik – in ihrem Fall heißt das meist: Barockmusik – zu ermöglichen.

Für die Operngala hat sie sich eine lange Bravourarie aus Riccardo Broschis „Artaserse“ ausgesucht, in der sich die abgedrehten Koloraturen und sphärischen Spitzentöne nur so tummeln. Wunderbaren Kontrapunkt dazu bildet Nino Machaidze mit einem verschattet-abgründig gesungenen „Lied an den Mond“ aus Dvobáks Wassernixen-Oper „Rusalka“ – mit der ein reizvoll osteuropäischer Ton ins ansonsten stark von Italienern dominierte Programm einfließt. Trocken kommentiert Raabe: „Es gibt nur ein Problem: Rusalka hat Schuppen.“

Spätes Highlight sind Stefano La Colla und Elena Stikhina mit dem ersten Duett von Cavaradossi und Tosca aus Puccinis gleichnamiger Oper, sie sendet ihm mit geschürzten Lippen Blicke, als wolle sie ihn gleich aufessen. Zum Finale wieder Simone Kermes, diesmal am Mikro, mit „Time To Say Goodbye“, dazu furchtloser Feuerwerkskitsch auf der Leinwand (Projektionen: Robert Nortik), der den Tanz in die Nacht einläutet.

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