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Mit polnischen und mit EU-Flaggen zieht fast eine Viertelmillion Menschen durch die polnische Hauptstadt Warschau.

© dpa

Update

240.000 demonstrieren in Warschau: Polnisches Massenbekenntnis zu Demokratie und Europa

Die Opposition macht mobil gegen die nationalkonservative Regierung. In Warschau demonstrierten am Samstag 240.0000 für einen EU-freundlichen Kurs.

Die Transparente erinnerten an den polnischen antikommunistischen Arbeitaufstand von 1980: „Freiheit, wir wollen Freiheit!“, „Lech Walesa – unser Held!“ und „PiS bedeutet Volksrepublik Polen bis“, hieß es 27 Jahre nach der demokratischen Wende auf den Plakaten Oppositioneller in Warschau. Mobilisiert vom „Komitee zur Verteidigung der Demokratie“ (KOD) marschierten am Samstag Zehntausende vom Sitz des Ministerrats zum Präsidentenpalast.

Ein breites Spektrum von links bis konservativ sowie viele bisher politisch nicht organisierte Bürger demonstrierten gegen den befürchteten Abbau der Demokratie und die Beschneidung der Macht des Verfassungsgerichts unter der nationalkonservativen Regierung der Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS). „Wir sind und bleiben in Europa“, lautete das Motto des vor allem gegen den PiS-Parteichef Jaroslaw Kaczynski gerichteten Protestmarsches. Auf einem Standbild wurde er als Strippenzieher von Regierungschefin Beata Szydlo und Staatspräsident Andrzej Duda gezeigt.

„Wir sind nicht hier, weil wir uns zusammen so toll fühlen, sondern weil es Polen schlecht geht“, sagte der rechtsliberale Ex-Präsident Bronislaw Komorowski zu Beginn der Demonstration. Und Oppositionsführer Grzegorz Schetyna von der Bürgerplattform (PO) erklärte: „Wir sind heute zusammen hier, um zu sagen, dass wir den Albtraum einer autoritären Regierung nicht zulassen.“ Und weiter sagte der Parteichef der im Oktober trotz wirtschaftlicher Erfolge klar abgewählten liberalen Regierungspartei: „Wir stehen erst am Anfang eines langen Marsches.“

Die Polizei wollte keine Schätzung abgeben

Weil die Marschstrecke in Warschau auch unter Touristen sehr beliebt ist, sah sich die Polizei eigenen Angaben zufolge nicht in der Lage, die Anzahl der Teilnehmer abzuschätzen. Auf dem Pilsudski-Platz seien am Ende des Marsches 45.000 Demonstranten gezählt worden, sagte ein Polizeisprecher. Die der PO nahestehende Warschauer Staatsregierung sprach hingegen von 240.000 Demonstranten. Am Sonntag entbrannte ein heftiger politischer Streit über diese Zahlen. „Ihr könnt acht Jahre weiterdemonstrieren, solange wir die Wahlversprechen halten, richtet uns nur das Volk“, höhnte der Regierungspolitiker Joachim Brudzinski im Radio. Umfragen zeigen in der Tat, dass die PiS trotz ihrer umstrittenen Regierungspolitik, die Brüssel bereits zur Einleitung der EU-Rechtsstaatlichkeitsprüfung veranlasst hat, immer noch die weitaus beliebteste Partei in Polen ist. Seit den Wahlen vor einem halben Jahr hat sie keine Stimmenprozente abgegeben. Gleichzeitig hat der Bürgeraktivist und KOD-Gründer Mateusz Kijowski jedoch Kaczynski in der Beliebtheitsskala bereits überrundet. Dies stellt einen Gegensatz zu Ungarn dar, wo auch sechs Jahre nach der Machtübernahme der national-konservativen Partei Fidesz keine öffentliche Persönlichkeit Regierungschef Viktor Orban in ähnlichen Umfragen nahekommt.

PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski regaierte gelassen

Kaczynski zeigte sich am Samstagabend unberührt von der Machtdemonstration der Opposition. Gleichgültigkeit habe die Menschen auf die Straße getrieben, sagte er in einem vom Staatsfernsehen übertragenen Internet-Chat. „Das macht mir keine Sorgen“, sagte er. „Die Proteste sind Zeichen einer Unzufriedenheit mit dem Wahlergebnis“, lautet seine Analyse. „Es gibt kein Risiko für die Demokratie in Polen, das sagen auch unsere Gesprächspartner aus der EU“, behauptete Kaczynski. Die Opposition solle sich besser damit abfinden, dass die Macht in einer Demokratie eben auch an den politischen Opponenten gehen könne. Auffallend war, dass das inzwischen völlig von der PiS kontrollierte Staatsfernsehen erstmals die ganze Demonstration zeigte, anstatt Aufnahmen zu wählen, die vorgaukeln, als hätten sich nur einhundert versammelt. Egal ob es 45.000 oder 240.000 Demonstranten waren, es war für alle augenscheinlich die größte Demonstration seit der Wende von 1989. Hintergrund dieser neuen Offenheit dürften innerparteiliche Auseinandersetzungen über das im Parlament gerade behandelte „Große Mediengesetz“ sein. Es will die Staatsmedien zu noch mehr Patriotismus verpflichten. Was dem ultrarechten Flügel der PiS vorschwebt, zeigten am Samstag die rund 2000 Gegendemonstranten des Marsches „Nur Mut, Polen!“. Mit Kirchengesang und Chorälen demonstrierten mit Kaczynski verbündete Rechtsextreme zusammen mit der Organisation „Rosenkranz-Kreuzzug für das Vaterland“ für den EU-Austritt Polens.

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