zum Hauptinhalt
Wie ein vor Anker gegangenes Schiff liegt die Sacrower Heilandskirche am Havelufer. Am 21. Juli 1844 war sie geweiht worden.

© Thilo Rückeis

175 Jahre Sacrower Heilandskirche: Heiliger Hafen am Havelufer

Die Sacrower Heilandskirche feiert ihr 175. Kirchweihfest. Jahrzehntelang verfiel sie im Niemandsland. Auch der Tagesspiegel half bei ihrer Rettung.

So viele Paare hatte Pfarrer Gerhard Rütenik in der Sacrower Heilandskirche schon der Obhut Gottes anvertraut, aber diese eine Hochzeit war doch etwas Besonderes, die berührendste, die er dort erlebt hat: Der Bräutigam hoch in den Achtzigern, die kleine Treppe vor dem Gotteshaus bewältigte er nur mühsam, verweigerte aber trotz seines Gehstocks stolz jede Hilfe; die Braut nur wenige Jahre jünger und wie er fest entschlossen, endlich das nachzuholen, was die Zeitläufe ihnen vor über einem halben Jahrhundert verwehrt hatten, damals im Frühjahr 1945.

Die Trauung in der Heilandskirche war fest geplant, doch dann standen die Russen vor der Tür. Sie floh bis in den Schwarzwald, er selbst, ein junger, sehr jung aussehender Soldat konnte sich der Uniform entledigen, der Verschleppung entkommen. Mit dem Fahrrad folgte er der Braut, durchquerte unbehelligt die Besatzungszonen, bis in den Schwarzwald. Dort wurde geheiratet, nur standesamtlich, ohne den kirchlichen Segen, den das Paar nicht irgendwo empfangen wollte, sondern nur unter dem Sternenhimmel der Heilandskirche. Das war jahrzehntelang unmöglich, die Kirche lag im Sperrgebiet der Grenze zu West-Berlin, gegenüber von Schloss Glienicke, unerreichbar – und ohnehin fast eine Ruine. Aber nun sollte es sein, möglichst schnell, in so hohem Alter bleibt nicht mehr viel Zeit.

Eine der vielen Geschichten über die von Friedrich Wilhelm IV. in Auftrag gegebene und von Ludwig Persius gebaute Kirche, die Pfarrer Gerhard Rütenik zu erzählen weiß und gerade dieser Tage wohl besonders häufig erzählen darf, wird doch an diesem Sonntag wieder einmal Kirchweihfest gefeiert, ein ganz besonders: Genau 175 Jahre ist es her, dass „S. Ecclesiae sanctissimi Salvatoris in portu sacro“, die „Kirche des Heiligsten Erlösers zum Heiligen Hafen“ – so der korrekte Name – in Anwesenheit des Hofes geweiht wurde. Wobei darin ein kleines Wortspiel verborgen ist: Das „sacro“ scheint auf den Ortsnamen Sacrow zu verweisen, der aber gar nichts Heiliges an sich hat, slawischen Ursprungs ist und profan „hinterm Busch“ bedeutet.

Pfarrer Gerhard Rütenik kennt sich mit der Geschichte des Gotteshauses bestens aus.
Pfarrer Gerhard Rütenik kennt sich mit der Geschichte des Gotteshauses bestens aus.

© Thilo Rückeis

Noch so eine Geschichte, die Gerhard Rütenik, offiziell „Pfarrer i.R.“, aus seinem weitgefächerten Wissensvorrat über die Heilandskirche parat hat, dabei assistiert von Küsterin Regina Mollenhauer – zwei Kollegen, die offenkundig begeistert sind, von ihrer dem Jubiläum geschuldeten Aufgabe ebenso wie von dem am Havelufer einem Schiffe gleich vor Anker gegangenen Gotteshaus. Wobei Gerhard Rüteniks Ruhestand ohnehin relativ zu sein scheint, übernimmt er doch im Auftrag der Potsdamer Pfingstgemeinde, zu der die Heilandskirche gehört, regelmäßig Taufen und Trauungen, unterstützt so Gemeindepfarrer Stephan Krüger und hat auch für die heutige Feier einen Part übernommen. Und gerade was Trauungen und Taufen betrifft, da sei die Kirche sehr beliebt, davon gebe es pro Jahr durchschnittlich 70, in diesem Jahr seien es bereits 40, wie die Küsterin berichtet.

Der erste Blick des Besuchers: Hinauf zum Sternenhimmel

Doch da ist der Pfarrer schon wieder bei der nächsten Geschichte: „Weißt du, wie viel Sternlein stehen…“ An der Kirchendecke, vom Gewölbe über dem Altarraum mal abgesehen, sind es genau 2048. Die Zahl selbst ist belanglos, die Sternenfülle keineswegs. Unwillkürlich wende sich der Blick des Besuchers nach oben, dem Himmel, also sozusagen Gott zu, erklärt er. Und draußen die kleine Treppe hinunter zum Fluss, ja, die nahm der König, wenn er im Schiff kam, aber von dort wurde und wird auch das Wasser für Taufen geholt. Der Ort sei eben nicht nur ein schönes, idyllisch gelegenes Gebäude, sondern, wie vom König gewollt, eine „christliche Landmarke“, hinter allem stecke eine „theologische Grundidee“.

Selbstverständlich steckt dahinter auch viel Italien. Noch als Kronprinz war Friedrich Wilhelm IV. 1828 bis in die Toskana und nach Rom gereist, was seinen Traum vom „Preußischen Arkadien“ weiter beflügelte. Schon früh schwebte ihm für das vorübergehend kirchenlose Sacrow ein neues Gotteshaus vor, als König hatte er die Möglichkeit, Gut Sacrow zu erwerben und Persius mit dem Bau zu beauftragen. Erste Skizzen fertigte er selbst an – eine Kirche „in italienischem Stil mit einem Campanile daneben“, wie Persius im Bautagebuch notierte.

Rund 70 Trauungen und Taufen in der Heilandskirche organisiert Küsterin Regina Mollenhauer pro Jahr.
Rund 70 Trauungen und Taufen in der Heilandskirche organisiert Küsterin Regina Mollenhauer pro Jahr.

© Thilo Rückeis

Der sei keineswegs nur Vollzieher der königlichen Wünsche gewesen, man habe sich mit Ideen gegenseitig befruchtet, beschreibt Pfarrer Rütenik die Beziehung zwischen Bauherr und Baumeister. Ergebnis war ein Baukunstwerk, das mit seinen Säulenarkaden an eine dreischiffige Basilika erinnert, auf einer kleinen Landzunge gelegen, an einer Bucht, in der die Havelfischer bei Sturm Schutz suchten. Auch dies war eine sicher willkommene Symbolik für die auf einer technisch anspruchsvollen und teuren Pfahlgründung ruhenden Kirche – direkt am Ufer, teilweise ins Wasser ragend, woraus sich aparte Spiegelungen ergeben.

Für ein Jahrhundert war die Heilandskirche einer der idyllischsten Orte der Kulturlandschaft, die in den neunziger Jahren von der Unesco als Welterbe der „Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin“ geehrt wurde. Und sie wurde sogar am 27. August 1897 ein Ort der Technikgeschichte. Zwischen dem Campanile und der Matrosenstation Kongsnæs richteten die Physiker Adolf Slaby und Georg Graf von Arco die erste deutsche Antennenanlage für drahtlose Telegrafie ein, woran ein Relief am Turm erinnert.

Dieses Relief aus grünem Dolomit am Campanile der Heilandskirche zeigt Atlas mit der Weltkugel, umgeben von Blitzen und der Inschrift „An dieser Stätte errichteten 1897 Prof. Adolf Slaby und Graf von Arco die erste Deutsche Antennenanlage für drahtlosen Verkehr".
Dieses Relief aus grünem Dolomit am Campanile der Heilandskirche zeigt Atlas mit der Weltkugel, umgeben von Blitzen und der Inschrift „An dieser Stätte errichteten 1897 Prof. Adolf Slaby und Graf von Arco die erste Deutsche Antennenanlage für drahtlosen Verkehr".

© Thilo Rückeis

Ganz und gar nicht ruhmreich verliefen dagegen die Jahrzehnte nach dem Mauerbau. Schon in den letzten Kriegstagen hatte es Schäden gegeben, auf dem Boden unter dem landwärts gelegenen Arkadengang sieht man noch Spuren, offenbar war dort die Geschossgarbe aus einem Maschinengewehr abgeprallt. Mit der Grenzabriegelung am 13. August 1961 geriet die Kirche ins Niemandsland, die Mauer verlief unmittelbar davor. Weihnachten 1961 durfte die Gemeinde dort ein letztes Mal das Christfest feiern, dann war Schluss: Unbekannte hätten den Innenraum verwüstet, hieß es zur Begründung. Wahrscheinlich waren es die Grenztruppen selbst gewesen, die einen in ihren Augen neuralgischen Punkt der Grenzanlagen neutralisieren wollten. Als Tagesspiegel-Reporter Lothar Heinke kurz nach dem Mauerfall im Potsdamer Militärarchiv die „Operativen Tagesmeldungen“ des zuständigen Grenzregiments einsehen durfte, fehlten gerade die entscheidenden Seiten.

Während des Grenzregimes der DDR drohte die Heilandskirche zu verfallen. Eine Spende des West-Berliner Senats und der Pressestiftung Tagesspiegel von je einer halben Million D-Mark retteten das Baudenkmal. Die Aufnahme entstand 1986, also nach den damit bezahlten Reparaturen.
Während des Grenzregimes der DDR drohte die Heilandskirche zu verfallen. Eine Spende des West-Berliner Senats und der Pressestiftung Tagesspiegel von je einer halben Million D-Mark retteten das Baudenkmal. Die Aufnahme entstand 1986, also nach den damit bezahlten Reparaturen.

© Paul Glaser/dpa

In den folgenden Jahrzehnten verfiel die Kirche immer mehr. Zuletzt wies das Dach schwere Schäden auf, ein Einsturz schien, soweit man das vom Westufer aus beurteilen konnte, nicht ausgeschlossen. Schon gab es bei den Grenztruppen erste Überlegungen, das störende Gemäuer abzureißen, doch auch in der Gemeinde blieb man nicht tatenlos. Der pensionierte Pfarrer Joachim Strauss nutzte seine nun möglichen West-Besuche, um dort für Hilfe zu werben. Und er hatte Erfolg: Der Regierende Bürgermeister Richard von Weizsäcker sagte eine halbe Million D-Mark aus Senatsmitteln zu, eine weitere halbe Million Tagesspiegel-Verleger Franz Karl Maier aus der gemeinnützigen Pressestiftung Tagesspiegel. Ein Verhandlungsmarathon begann, eingebunden waren auch DDR-Devisenbeschaffer Alexander Schalck-Golodkowski und Brandenburgs späterer Ministerpräsident Manfred Stolpe, damals Konsistorialpräsident der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg. Die Gelder sollten direkt an die Evangelische Kirche fließen und zur Finanzierung der äußeren Reparaturen dienen. Im Juli 1984 gab es erste Bauvorbereitungen, als sie im Herbst begannen, war Maier kurz zuvor gestorben.

Die Rettung der zwölf Apostel

Damals wurden von Grenzsoldaten die zwölf aus Lindenholz geschnitzten Apostel des Bildhauers Jacob Alberty geborgen und der Kirche in Paaren/Gliem übergeben, die mittlerweile wieder zwischen den Oberfenstern über die Gemeinde wachen – sorgsam restauriert, was teilweise noch zu DDR-Zeiten geschah. Paarens Pfarrer Hartmut Kurschat muss ein pfiffiger Mann gewesen sein, wenn es um Mittelbeschaffung ging. Und es war viel zu tun, die Figuren waren in erbärmlichem Zustand, Teile fehlten, das Holz war stellenweise verfault. Zum Glück gab es die Vorbilder aus dem alten Berliner Dom, von Christian Daniel Rauch geschaffen, der sich an Apostelstatuetten aus St. Sebald in Nürnberg orientiert hatte.

Auch die aus Lindenholz geschnitzten Figuren der zwölf Apostel wurden restauriert und stehen wieder zwischen den Oberfenstern der Kirche.
Auch die aus Lindenholz geschnitzten Figuren der zwölf Apostel wurden restauriert und stehen wieder zwischen den Oberfenstern der Kirche.

© Thilo Rückeis

Die Kirche war also gerettet, besucht werden durfte sie nicht – bis zum 9. November 1989. Kurz nach dem Mauerfall setzten Bemühungen der Gemeinde ein, die Kirche zu Weihnachten wieder nutzen zu dürfen. Und so geschah es: Schutt wurde weggeräumt, eine Bauheizung aufgebaut, Stühle lieferte per Lkw der Tagesspiegel. Und wie beim letzten Gottesdienst 1961 hielt Pfarrer Joachim Strauss die Predigt, der unter anderem der Regierende Bürgermeister Walter Momper, Vorgänger Eberhard Diepgen und Richard von Weizsäcker lauschten. Es war so voll, dass der Gottesdienst per Lautsprecher nach draußen übertragen werden musste.

Wer damals dabei war, wird die Kirche heute kaum wiedererkennen. Der Turm sieht aus wie neu, muss erst wieder Patina ansetzen. Auch innen strahlt die Kirche im alten Glanz, einschließlich des Sternenhimmels. Jesus, der Weltenretter, blickt wieder gütig auf Gläubige wie weniger Gläubige hernieder. Schon seltsam, dass ausgerechnet sein Fresco das jahrzehntelange Vandalentum halbwegs unbeschadet überstanden hatte.

Und so wird das 175. Kirchweihfest gefeiert:

Das Fest beginnt um 12.15 Uhr – eigentlich schon um 11 Uhr mit einer Fahrradsternfahrt von Orten, die mit dem König und Persius verbunden sind: Friedenskirche, Bornstedter Kirche, Belvedere Pfingstberg, Glienicker Brücke (über Moorlake), Meierei (ab 11.55 Uhr), Krughorn (ab 12.15 Uhr). Auch auf dem Wassertaxi können Räder mitgenommen werden. Um 11 Uhr gibt es einen ShuttleBus ab Pfingstkirche, Gr. Weinmeisterstraße 49.

Nach der Begrüßung wird das Mitbringbüfett eröffnet. Wer keine Gelegenheit hat, etwas beizusteuern, wird von der Gemeinde eingeladen. Es folgen zwei Festvorträge von Pfarrer Gerhard Rütenik und dem Bauhistoriker Andreas Kitschke, der auch ein Buch und eine Broschüre über die Kirche verfasst hat. Als Kinderprogramm werden – passend zur Havel – kleine Schiffe gebastelt. Am Festgottesdienst um 15 Uhr nimmt auch Superintendentin Angelika Zädow teil. Danach geht es per Shuttlebus, Wassertaxi oder Rad zur Meierei am Jungfernsee, wo das Kirchweihfest ausklingt.

Die Sacrower Heilandskirche ist zwischen März und Oktober täglich geöffnet (außer montags), zwischen 11 und 15/16 Uhr, am Wochenende länger. Erreichbar ist sie per Rad oder Auto, mit der Potsdamer Buslinie 697 und per Wassertaxi.

Die Heilandskirche ist auch Thema in dem Buch von Jens Arndt: Gärtner führen keine Kriege. Preußens Arkadien und die deutsche Teilung. L&H Verlag, Berlin (derzeit vergriffen, die Neuauflage kommt Mitte August in den Handel).

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false