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Auch der Tagesspiegel ging am Berliner Olympiastadion mit an den Start - in einem Volvo PV 544 von 1963.

© Christian Bittmann/Auto Bild Klassik

12. Oldtimerrallye „Hamburg-Berlin Klassik“: Als Autos noch echte Handarbeit waren

170 historische Autos nahmen an der Oldtimerrallye von Berlin nach Hamburg teil. Das Tempo spielte keine Rolle, dafür Leidenschaft, Genauigkeit – und Glück.

Na bitte, geht doch: Eisprinzessin Katarina Witt und ihren Fahrer, SKH Prinz Leopold von Bayern, für seine Freunde Poldi, bereits am Olympiastadion geschlagen! Die erste „Geheime Wertungsprüfung“ der Rallye „Hamburg-Berlin Klassik“ zwar nicht im Zeitlimit absolviert, aber bei weitem schneller als das erlauchte Paar. „Die Königliche Familie lässt immer auf sich warten“, wird Katarina Witt am nächsten Tag ulken, als sie abfahrbereit neben ihrem BMW 328 von 1937 steht und ihr Fahrer, ein im Rennsport überaus erfahrener Mann, fehlt. Wie wahr!

Der Tagesspiegel war in einem Buckelvolvo von 1963 dabei

Dumm nur, dass die Prüfung am Stadion – verlangt waren 65 Meter in exakt acht Sekunden – so geheim war, dass wir, Rudolf Bögel, Journalist aus dem Münchner Raum, und hinterm Lenkrad bei dieser ersten Herausforderung ich vom Tagesspiegel, sie gar nicht bemerkt hatten. Erst am Abend, als die Ergebnisse des Tages bekannt wurden, registrierten wir den winzigen Etappentriumph. Er blieb eine Ausnahme, dies gleich vorweg. Und an unserem Wagen, einem hellblauen Volvo PV 544, besser bekannt als „Buckelvolvo“, hat es garantiert nicht gelegen.

Es hatte aber auch gleich ziemlich fies angefangen, jedenfalls für Rallyenovizen wie uns: Nach dem Start am Stadioneingang einmal halb um die Arena herum, zur Wertungsprüfung Nr. 1: die ersten 40 Meter in zehn Sekunden, danach 290 Meter in 51 Sekunden, schließlich 80 Meter in 18 Sekunden, dazwischen gleich zwei „geheime“ Wertungen, nur durch Schilder am Streckenrand angekündigt, nicht im Roadbook verzeichnet – und jede hundertstel Sekunde zählt. Wer denkt sich nur so was aus?

Und es wurde an den drei Tagen der vom Oldtimer-Magazin „Auto Bild Klassik“ zum zwölften Mal ausgerichteten Rallye, auf den exakt 717 Kilometern nach Hamburg, nicht leichter, sondern immer verzwickter, bei einer Prüfung auf abschüssiger Strecke sogar mit abgestelltem Motor. Und einmal waren gleich vier Zeitmessungen auf eine Strecke in Form einer 8 verteilt. Die zweite Hälfte haben wir uns gespart – nun ja, aus Versehen.

Im Mittelpunkt steht der Fahrspaß

Aber wer hier mit übertriebenem Ehrgeiz antritt, hat schon verloren. Klar, man sollte sich, wie es alle taten, sogar morgens beim Frühstück, das notwendige Durchschnittstempo für die Prüfungen ausrechnen – per Taschenrechner, Spezial-App oder, wenn man zu der auf analoge Hilfsmittel beschränkten „Sanduhrklasse“ gehören möchte, irgendwie sonst.

Ein Lindwurm aus historischem Blech, rund 170 Fahrzeuge, neben Oldtimern auch ein paar Youngtimer, wand sich bei der 12. Rallye "Hamburg-Berlin Klassik" durch die Dörfer und Kleinstädte.
Ein Lindwurm aus historischem Blech, rund 170 Fahrzeuge, neben Oldtimern auch ein paar Youngtimer, wand sich bei der 12. Rallye "Hamburg-Berlin Klassik" durch die Dörfer und Kleinstädte.

© Christian Bittmann/Auto Bild Klassik

Aber im Mittelpunkt solcher Oldtimer-Rallyes steht doch der Fahrspaß, das Vergnügen am authentischen, noch nicht durch zahllose digitale „Fahrassistenten“ verwässerten Erlebnis des motorisierten Reisens. Gut möglich auch, dass diesmal, im 30. Jahr des Mauerfalls, bei einigen Teams die Besinnung auf diesen Wendepunkt der deutschen Geschichte mit eine Rolle spielte, wie es sich Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller per Grußwort im Programmheft gewünscht hatte.

Heiligs Blechle! Zweiter Tag, beim Zwischenstopp in Dömitz.
Heiligs Blechle! Zweiter Tag, beim Zwischenstopp in Dömitz.

© Christian Bittmann/Auto Bild Klassik

Dafür war die Strecke mit ihren Zwischenzielen Liebenberg in Brandenburg, Göhren-Lebbin und Dömitz in Mecklenburg-Vorpommern sowie Wolfsburg und Adendorf in Niedersachsen hochgeeignet: Immer wieder ging es hin und her über die ehemalige innerdeutsche Grenze, und selbst die aus Österreich, der Schweiz, den Niederlanden, Tschechien, ja vielleicht sogar die wenigen aus China stammenden Teilnehmer hätten leicht bestimmen können, ob sie nun durch die alte Bundesrepublik oder die ehemalige DDR fuhren. Die Spuren der Vergangenheit sind noch deutlich zu erkennen, am Zustand der Dörfer, an der Altersstruktur der Bewohner, an was auch immer.

Ja, aber auch am Enthusiasmus der Zuschauer am Rande der offensichtlich bestens bekanntgemachten Strecke. Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern lagen da eindeutig vorn. Allen Großstadt-Automobilisten, gebeutelt von emotional geführten Debatten um Dieselskandal, Klimawandel, Tempo-30-Zonen und fahrradgerechte Innenstädte, sei also zur Kur ihres attackierten Selbstbewusstseins die Teilnahme an solch einer Rallye empfohlen. Hier, in den Kleinstädten und Dörfern der Mark und der Mecklenburgischen Seenplatte, sind sie noch willkommen, gerade in Fahrzeugen, die allen modernen Emissionsgrenzwerten spotten.

Für den Oldtimer-Freund gab es jede Menge Fotomotive, zum Beispiel einen Talbot London 90AV von 1933.
Für den Oldtimer-Freund gab es jede Menge Fotomotive, zum Beispiel einen Talbot London 90AV von 1933.

© Andreas Conrad

Schon in der Havelstadt Zehdenick wurde der weit auseinander gezogene Lindwurm aus historischem Blech, fast 170 Fahrzeuge lang, darunter auch ein paar Youngtimer, mit großen Hallo und touristischem Info-Material empfangen. Sogar die Polizei spielte mit und stempelte freudestrahlend die Bordkarten zwecks Durchfahrtskontrolle ab.

Später in den Dörfern hatten sich ganze Nachbarschaften mit Stühlen Logenplätze geschaffen, versorgt mit belegten Broten und kalten Getränken, die Kameras und Smartphones schussbereit, jubelnd und winkend – für manches orientierungsschwache Team ein lebendes Navi. Gebrechliche schwenkten zur Not ihre Gehhilfen, Kindergartengruppen eigens mit bunten Grüßen bemalte Stoffbahnen. Und wer selbst einen Oldtimer besaß, sei es ein Trabbi oder ein Ford Mustang, hatte ihn stolz am Streckenrand postiert.

In vielen Orten war die Rallye wohl die auf unzähligen Fotos nachwirkende Sensation des Jahres. Was bekamen sie dort am Streckenrand nicht auch alles zu sehen: sekundenkurz sogar Prominente, die sich sonst nie in ihr Dorf verirren, die Kati Witt eben mit ihrem Prinz Poldi, die VfL-Legende Grafite, passenderweise in einem „Samba Bus“ VW T1, die Rennfahrer-Legende Hans-Joachim „Strietzel“ Stuck in einem Porsche 911 Carrera Clubsport von 1985 und auf der letzten Teiletappe sogar Nico Rosberg in einem Chevrolet Corvette von 1965 – für manche Teams ein Spezialvergnügen.

Wann hat man schon mal Gelegenheit, einen Formel-1-Weltmeister zu überholen. Rosberg nämlich hielt sich stur an jedes Tempolimit. Wäre doch zu peinlich, wenn gerade er ein Ticket kassierte. Und um Geschwindigkeit geht es ja nicht bei solch einer Rallye.

Der älteste Wagen stammte aus dem Jahr 1924

Aber die eigentlichen Stars dieser drei Tage waren doch die Autos, die Porsches, Aston Martins, Austin Healys, Volkswagen, Mercedes und wie sie alle hießen – in ihrem Klassikerdesign nicht zu übersehen und erst recht oft nicht zu überhören. Die höchsten Dezibel-Werte dürfte der älteste Wagen, ein Cunningham V5 Special Roadster von 1924, erzielt haben, der auch schon mal angeschoben werden musste, in der Geräuschentwicklung dicht gefolgt von einem auf Rennwagen getrimmten Porsche 356 C von 1963, die verschlafene Einheimische aus den Betten fallen ließen.

Unserem Buckelvolvo schien das zu gefallen, über die drei Tage wurde er immer lauter, röhrte mit Lust, ließ schon mal Fehlzündungen knallen wie ein hochmotorisierter Sportwagen. Irgendwas am Auspuff musste sich gelockert haben. Kleinigkeit, hinterher leicht zu beheben.

Auch Katarina Witt und Prinz Leopold von Bayern fuhren mit, in einem BMW 328 von 1937.
Auch Katarina Witt und Prinz Leopold von Bayern fuhren mit, in einem BMW 328 von 1937.

© Mike Wolff

Auch dieser etwas gemütlich wirkende Wagen wurde mit viel wohlwollendem Beifall empfangen, für rund 15.000 Euro ist ein gut erhaltenes Exemplar schon zu haben. Mit seinem dem US-Design der späten vierziger Jahren entlehnten Aussehen kam er optisch freilich nicht ganz an den zweiten, von Volvo Cars Deutschland auf die Strecke geschickten Wagen heran, einen P1800 S von 1965, der Coupé-Version des legendären „Schneewittchensargs“.

Die ersten Dreipunktgurte gab es bei Volvo

Und dabei war der „Buckelvolvo“ sicherheitstechnisch ein revolutionäres Auto, vor 60 Jahren wie auch der P 121 Amazon vorne mit Dreipunktgurten ausgestattet – das bot damals weltweit kein anderer Hersteller. Ein schwedischer Ingenieur namens Nils Bohlin, von Saabs Flugzeugabteilung zu Volvos Automobilen gewechselt, hatte ihn erfunden. Leider noch kein Automatikgurt, sondern mit einer recht umständlichen Technik aus Schlaufen und Ösen zu verstellen – mancher Fahrer oder Beifahrer dürfte wie wir heute darauf verzichtet haben.

Auch ein Triumph TR3A von 1959 und schräg daneben ein Volvo P1800 S von 1965 lockten Blicke an.
Auch ein Triumph TR3A von 1959 und schräg daneben ein Volvo P1800 S von 1965 lockten Blicke an.

© Andreas Conrad

Aber korrekt angeschnallt oder auch nicht: Solch ein historisches Gefährt ist schon ein Erlebnis, die in Schwedisch gehaltene Beschriftung auf dem Armaturenbrett wäre als Authentizitätsgipfel gar nicht nötig gewesen. Das riesige Lenkrad, der endlos lange Schalthebel, der Fußschalter fürs Fernlicht links neben der Kupplung, die spartanische Instrumentierung, der im untersten Bereich hin- und hertanzende, so für die Wertungsprüfungen kaum zu gebrauchende Tacho genügten. Servolenkung, Bremskraftverstärker? Überflüssiger Luxus, hier ist noch Muskelkraft gefordert.

Aber trotz seiner nur 75 PS zog der in den sechziger Jahren auf richtig harten Rallyes erfolgreiche Wagen besonders in den ersten drei Gängen so spurtstark an, als ginge es auf dieser Spaßrallye eben doch ums Tempo. Und er hat nicht mal geölt, die abends unter den Motor geschobene Folie blieb blitzsauber, anders als in der letzten Nacht beim Mercedes-Nachbarn, der dazu reichlich Wasser verlor. Ein robustes, zuverlässiges und überraschend leicht handhabbares Auto also, dieser Uralt-Volvo. Nur an heißen Tagen im Stau stehen, das mag er gar nicht, dann steigt die Motortemperatur bis knapp vor den Anschlag - aber eben nur knapp, sofern man die Heizung anstellt. Dann kocht nur der Fahrer.

Ob wohl auch Schwedens König Carl Gustav schon in solch einem Buckelvolvo gefahren ist? An der jährlich von Volvo auf Gotland ausgerichteten Oldtimer-Rallye nimmt er regelmäßig teil, besucht vorher das Firmenmuseum in Göteburg, darf sich einen Wagen aussuchen.

Solche Anekdoten hört man viele auf Rallyes wie dieser, meist selbsterlebte, automobile Alltagsdramen mit den historischen oder auch noch nicht so historischen Traumwagen. Von dem 40 Jahre alten MG B etwa, der bei der letzten größeren Fahrt plötzlich kurz vor der Heimat stehenblieb, nach kurzer Bedenkpause wieder ansprang, scheinbar von geheimnisvoller Selbstheilungskraft, dann aber plötzlich hinterm Lenkrad zarte Qualmschwaden aufsteigen ließ. Oder von dem Porsche, der mit zu viel Konservierungsmittel behandelt worden war, das sich bei heißem Motor verflüssigte, auf den Krümmer tropfte und entflammte. Nicht mal die Feuerwehr konnten noch was machen.

Nur Platz 137? Na, macht nichts

Solche PS-Geschichten verbinden, leicht kommt man da abends beim Treffen nach der Tagesetappe ins Gespräch. Über ihre Autos haben Oldtimerfans – ähnlich wie Hundebesitzer über ihre bellenden Freunde – immer was zu erzählen. Und wenn sie privat, wie Katarina Witt, gar keinen Oldtimer fahren, dann eben über den Verlauf des Tages auf dieser, ihrer siebten Rallye zwischen Hamburg und Berlin. Die Wertungsprüfungen? „Na ja, wir kommen immer an.“ Auch für sie überwiegt der Spaß, andererseits, sie und ihr Renn-Prinz seien ja Athleten – will heißen: auf Siegen gepolt. Und trotz der Schlappe am Olympiastadion fiel ihr Ergebnis durchaus ehrenvoll aus: 93. Platz.

Wir im Buckelvolvo mussten uns mit dem 137. begnügen. Nur am Abschlussabend in der ehemaligen Fischauktionshalle am Hamburger Fischmarkt gab es eine kleine Genugtuung: Nach all der Preisen lief ein Film über die vergangenen drei Tage, und was war da zu sehen? Auch Katarina Witt und ihr Prinz hatten die Prüfung mit der vertrackten 8 abgekürzt und so glatt versemmelt.

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