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Bauarbeiter errichten Gebäude im Berliner Stadtteil Wilmersdorf.

© Foto: Jan Woitas/zb/dpa

12.500 neue Wohnungen pro Jahr: Was passieren muss, damit Berlin das Mietenproblem in den Griff bekommt

Der Senat hätte mehr Optionen im Kampf gegen die Wohnungsnot, findet der Vorsitzende des Vereins "Neue Wege für Berlin". Ein Gastbeitrag.

Heiko Kretschmer ist Vorsitzender des im Juni gegründeten Vereins "Neue Wege für Berlin", ein Zusammenschluss von Personen aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft, die sich für den Neubau von Wohnungen in Berlin einsetzen. Kretschmer ist außerdem Mitglied der SPD und Mitglied im erweiterten Präsidium des Wirtschaftsforums der SPD.

Aktuell passiert Großartiges in Berlin. Berlin verändert sich. Berlin wandelt sich von einer deutschen Großstadt zu einer europäischen Metropole. Die Metropole, die sich viele in Berlin immer erträumt haben. Quasi unbemerkt fand im Jahr 2005 die Trendwende statt. Seitdem steigen die Beschäftigten- und Studierendenzahlen Jahr für Jahr um je 2,5 Prozent. Jedes Jahr nimmt die Zahl der Einwohner um 1,5 Prozent zu. Inzwischen wird dieses Wachstum überwiegend vom internationalen Fachkräfte-Zuzug getragen. Nahezu zu gleichen Teilen stammen die Neubürger aus der EU oder aus dem Nicht-EU Ausland.

Gerade die jungen, oft hochqualifizierten Fachkräfte entscheiden sich bewusst für Berlin. Für sie ist es nicht allein der Arbeitsplatz, der sie ihren Lebensmittelpunkt verlagern lässt. Viele von ihnen - egal ob Polen, Ungarn, Ukrainer, Russen oder Chinesen – wollen in Berlin, der Stadt der Freiheit und der Demokratie, der Metropole der Vielfalt leben. So ist es beispielweise kein Zufall, dass sich die Open Society Foundation von George Soros für Berlin als Standort entschieden hat, als in Budapest eine freiheitliche Arbeit nicht mehr möglich war. Berlin ist ein Bekenntnis für Weltoffenheit und für eine freie, liberale Demokratie – in einer Welt, in der dieses nicht mehr selbstverständlich ist.

Berlin wird die Vier-Millionen-Einwohnermarke 2026 oder 2027 überschreiten

Auch aus diesem Grund erlebt Berlin ein nachhaltiges, stabiles Wachstum. Schon heute lässt sich feststellen, dass alle Bevölkerungsprognosen der letzten Jahre übertroffen wurden. Wer diese Entwicklung realistisch betrachtet, muss damit rechnen, dass wir die Vier-Millionen-Einwohnermarke im Jahre 2026 oder 2027 überschreiten werden.

Darüber kann Berlin sich freuen, darüber können die Berlinerinnen und Berliner sich freuen. Aber wie so oft, es gibt auch eine Kehrseite dieser Medaille. Viel zu lange wurde in der Berliner Politik nicht erkannt, dass dieses eine langfristige und tiefgreifende Veränderung für Berlin darstellt. Viel zu lang wurde am Gesundschrumpfen der Stadt festgehalten („Arm, aber sexy“). Bis es nicht mehr anders ging: Heute leidet Berlin unter fehlenden Wohnungsangeboten und fehlender Infrastruktur.

Die Fahrgastzahlen von BVG und S-Bahn explodieren förmlich. Die Touristenzahlen stellen immer neue Rekorde auf. Es fehlen zigtausende bezahlbare Wohnungen. Es treffen zu wenig und technisch zu schlecht ausgestattete Verwaltungsmitarbeiter auf eine größer werdende Kundschaft, die immer digitaler und agiler arbeiten will. Die Aufzählung ließe sich fortsetzen. Das schafft Frust und - wie die jüngsten Zahlen aus Brandenburg belegen – vergrößert eine die Abwanderungen aus Berlin in den brandenburgischen Speckgürtel erheblich.

Übrigens: Jeder Einwohner, der aus Berlin abwandert oder gar nicht erst in die Stadt zieht, dürfte das Land Berlin mindestens 17.000 Euro an Steuereinnahmen kosten. Das ist viel Geld. Geld, das richtig investiert, die meisten Probleme in Berlin lösen könnte: Kita-Plätze, Schulen, Ausbau von Tram und U-Bahn, vor allem aber der Bau bezahlbarer Wohnungen.

Berlin braucht neue Stadtquartiere. Die Flächen dafür gibt es

Wohnen ist ein soziales Grundrecht. Wenn es aber keine bezahlbaren Wohnungen mehr im Markt gibt, können weder Enteignungen noch ein Mietendeckel den aus dem Gleichgewicht geratenen Markt wieder in Balance bringen. Dazu bedarf es eines ausreichenden Angebots bezahlbarer Wohnungen. Darum müssen in den nächsten acht Jahren in Berlin mindestens 100.000 geförderte und preisgebundene, also bezahlbare Wohnungen entstehen.

Dies erfordert mehr als nur Wohnraumverdichtungen. Es erfordert neue, zukunftsfähige, klimaneutrale Stadtquartiere. Berlin bietet hier enorme Flächenpotentiale wie kaum eine andere Metropole in der Welt. Auch die Ideen dafür liegen auf dem Tisch, von der Bürgerstadt Buch bis zur Teilbebauung des Tempelhofer Feldes. Bezahlbares Wohnen setzt aber auch eine aktive Grundstückspolitik voraus.

Hamburg macht es vor: Wer die Spekulation mit Grundstücken eindämmt, der kann aktiv auswählen, welche landeseigenen oder privaten Wohnungsgesellschaften, welche Genossenschaften, aber auch welche selbstorganisierten Wohnprojekte zum Zuge kommen. Und mittels landeseigener Grundstücke lässt sich die Preisbindung des Neubaus auch relativ effektiv durchsetzen. Wenn die Förderung des bezahlbaren Wohnraums mit einer aktiven Grundstückspolitik kombiniert wird, kann der Markt wieder ins Gleichgewicht kommen.

Das neue Berlin sollte nicht allein ein Projekt für jüngere, gutverdienende Hippster sein

Es ist die Pflicht der Berliner Politik dieses Gleichgewicht durch den erforderlichen Neubau von bezahlbaren Wohnungen wiederherzustellen, um damit das Grundrecht auf Wohnen und einen gerechten Zugang zum Wohnungsmarkt für die  gesamte Berliner Stadtgesellschaft zu ermöglichen. Nur wenn der Polizist, die Krankenschwester, der Bauarbeiter, der Lagerarbeiter, der Paketbote und die Einzelhandelskaufrau in der Lage sind, bezahlbare Wohnungen in Berlin zu finden, löst die Metropol-Werdung Berlins keine Ablehnungen und Sorgen bei den Berlinern mit mittleren Einkommen aus.

Nur dann können wir verhindern, dass die Metropole Berlin ein Projekt allein für hippe, meist jüngere, gutverdienende Schichten wird. Das Zusammenleben in der Metropole Berlin und an erster Stelle das bezahlbare Wohnen muss daher die Top-Priorität des Senats darstellen.

Der Senat muss die Kompetenzen in der Wohnungspolitik bei sich bündeln

Darum muss der Senat auch, soweit möglich, die Kompetenzen bei sich bündeln und Neubau als seine politische Aufgabe verstehen. Er muss den Bezirken das erforderliche Personal für Genehmigungen stellen. Er sollte mindestens acht Jahre lang ein Programm von 5.000 Sozialwohnungen und 7.500 geförderten bezahlbaren Wohnungen garantieren, auch um dem Baugewerbe die Gewissheit zu geben, dass sich die Investition in die erforderlichen Kapazitäten lohnen.

Das Geld für ein solches Programm (ca. 350 bis 400 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich) ist vorhanden. Und es wäre gut investiert in die Zukunft der Stadt, in die Menschen und in den sozialen Frieden.

Berlin ist aktuell die vielleicht spannendste Stadt in Europa.

Berlin kann Zeichen setzen, wie Zusammenleben in Europa funktionieren kann oder wie grüne, klimafreundliche Stadtquartiere der Zukunft aussehen. Berlin kann eine Metropole mit zukunftsfähigen Mobilitätskonzepten werden. Das setzt voraus, dass wir endlich offen darüber reden, welche Veränderungen auf uns zukommen und wie wir diese Veränderungen gestalten können und wollen. Die Kleinstaaterei der Bezirke löst keine Probleme. Menschen ziehen nach Pankow oder Neukölln, weil sie in Berlin leben wollen. Darum müssen wir diese Debatte gemeinsam in ganz Berlin führen. Nur so können wir Ängste nehmen, politische Gestaltungsspielräume gewinnen und eben Neue Wege für Berlin gehen.

Heiko Kretschmer

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