zum Hauptinhalt
Die Linksfraktion in Lichtenberg lädt auf Flyern zu Vernetzungstreffen gegen den Bau eines Hochhauses ein. 

© privat

Update

100 Wohnungen, keine Parkplätze: Hochhausstreit zwischen linker Senatsverwaltung und linkem Bezirk

Die linke Senatsbauverwaltung beschließt den Bau von 100 Wohnungen, das linksgeführte Lichtenberg geht nun mit einer Resolution dagegen vor. 

Zwei Frauen klingeln bei Anika Schatte in der Salzmannstraße. „Hier soll ein Hochhaus gebaut werden, sind Sie dagegen?“ Die Frauen überreichen eine Unterschriftenliste, man wolle gegen das Projekt der städtischen Wohnungsbaugesellschaft Howoge vorgehen. Diese plant in der Salzmannstraße 35 ein 18-geschossiges Haus mit Kita und über 100 mietpreisgebundenen Wohnungen.

Der Bezirk Lichtenberg hatte den Bau des Hauses abgelehnt. Zwischen April und August 2019 gleich fünf Bauanfragen mit unterschiedlichen Breiten und Höhen. Begründung: Das Gebäude sei zu hoch, es füge sich nicht in die Nachbarschaft ein.

Doch die Howoge hat Widerspruch eingelegt – und damit ging das Verfahren an die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen, welche dem Bauprojekt zustimmte. Es ist gesetzlich geregelt, dass bei Bauprojekten ab einer Größe von 1500 Quadratmetern, deren Vorbescheidsantrag von einem Bezirksamt abgelehnt wird, das Widerspruchsverfahren unter Zuständigkeit der Senatsverwaltung läuft. „Das ist das gute Recht eines jeden, egal, ob Bürger*in oder Bauträger*in“, so die Senatsverwaltung.

Nun stehen sich die linksgeführte Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und der linksregierte Bezirk Lichtenberg gegenüber. „Ich bin gegen das Hochhaus“, sagte Bezirksbürgermeister Michael Grunst (Linke) dem Tagesspiegel. Er schließt sich damit Bezirksbaustadtrat Kevin Hönicke von der SPD an, der dies bereits im August öffentlich verkündet hatte.

Linksfraktion veranstaltet Vernetzungstreffen gegen das Hochhaus

Die Linke, im Bezirk die stärkste Fraktion, veranstaltet Vernetzungstreffen gegen den Bau des Hochhauses. Viele Anwohnerinnen und Anwohner schließen sich dem Protest an. Mehr als 100 Anwohner kamen zu dem Treffen am 15. September. Alle betonen, nicht komplett gegen eine Bebauung mit Wohnungen und Kita zu sein, aber sie stören sich an der Höhe und der Masse. All die neuen Mieterinnen und Mieter würden ja Autos mitbringen und vor Ort herrsche eh schon ein Verkehrschaos, da es sich um eine Einbahnstraße handelt, die Straßen sind eng.

„Wir würden ersticken, es wird dann einfach verkehrstechnisch zu voll. Es ist unverantwortlich, ein Hochhaus in dieser Größe dorthin zu bauen“, sagt Hannelore Rasper. Sie hat Briefe an den neuen Bausenator Sebastian Scheel (Linke) geschrieben. Bereits im Juli, da war der Nachfolger von Katrin Lompscher (Linke) noch Staatssekretär. Rasper erhielt keine Antworten auf ihre Schreiben. 

"Warum wird nur ökonomisch und ökologisch gedacht?", fragt eine Anwohnerin

266 Unterschriften gegen das Hochhaus will sie aus der Nachbarschaft gesammelt haben. „Es wird nicht danach geschaut, welche Probleme ein 18-Geschosser, eine Sporthalle und eine Kita für die umliegenden Bewohner mit sich bringen“, sagt Rasper, 73 Jahre alt und seit 40 Jahren mit ihrem Mann in der Salzmannstraße wohnhaft. „Warum wird nur ökonomisch und ökologisch gedacht, und sich nicht für die Wohnverhältnisse und die Lebensqualität der Bewohner eingesetzt?“ Sie fordert eine Bebauung mit lediglich vier oder fünf Geschossen, so, wie die umliegenden Häuser.

An dieser Stelle sollen 100 neue Wohnungen entstehen, viele Anwohner sind dagegen. 
An dieser Stelle sollen 100 neue Wohnungen entstehen, viele Anwohner sind dagegen. 

© privat

Da vor Ort nur Wohnnutzung infrage kommt, wird ohne Bebauungsplan und nach Paragraf 34 Baugesetzbuch geplant: Das Vorhaben muss sich hinsichtlich Art und Maß der Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche in die Umgebung einfügen. Das Bezirksamt Lichtenberg hatte den Bauvorbescheid daher abgelehnt, in der unmittelbaren Umgebungen würden sich keine Häuser von dieser Größe finden. 

[Wie es in dem Streit um das Hochhaus weitergeht und vieles mehr aus dem Bezirk Lichtenberg, berichten wir im Lichtenberg-Newsletter vom Tagesspiegel. Kostenlos unter leute.tagesspiegel.de]

Die Senatsverwaltung argumentierte jedoch, dass keine 140 Meter entfernt, gut sichtbar in der Dolgenseestraße, drei Hochhäuser mit ebenfalls 18 Stockwerken stehen. Eine Genehmigung könne nur dann abgelehnt werden, wenn das Rücksichtnahmegebot verletzt, spricht die Erschließung nicht gesichert oder das Ortsbild beeinträchtigt werde. Dafür sah die Oberste Bauaufsicht keine Anhaltspunkte. Die Senatsverwaltung betonte zudem, dass diese Behörde eigenständig arbeite und es keine Entscheidung der damaligen Senatorin Lompscher war.

Direkt hinter dem Sportplatz sind die 18-Geschosser in der Dolgenseestraße zu sehen. 
Direkt hinter dem Sportplatz sind die 18-Geschosser in der Dolgenseestraße zu sehen. 

© privat

Zu Fragen der Verkehrssituation wollte sich die Senatsverwaltung nicht äußern, diese müssten von der Howoge beantwortet werden. Die Wohnungsbaugesellschaft teilte auf Nachfrage mit, derartige Beschwerden über die Parkplatzsituation würde es bei nahezu jedem Neubauprojekt geben. „Aber aus der Erfahrung von über 4200 bereits fertiggestellten Wohnungen wissen wir, dass insbesondere bei Neubauprojekten mit einer so guten Verkehrsanbindung zur Bahn, viele Neumieter*innen auf ein Auto verzichten werden.“ Die nächste Bahnstation ist 500 Meter entfernt und Fahrradstellplätze sollen in hoher Zahl angeboten werden.

Noch kein Verkehrskonzept vorhanden

Ein Verkehrskonzept werde jedoch erst noch erarbeitet, schreibt die Howoge. Man sei ganz am Anfang der Planungen und werde Vorschläge unterbreiten, wie der anzunehmenden Zahl von neuen Autos auf dem Grundstück begegnet werden kann. Gespräche mit dem Bezirk habe es noch nicht gegeben, es habe auch noch niemand darum gebeten.

Zwischen dem Baugrundstück und den ebenfalls 18 Stockwerke hohen Häusern in der Dolgenseestraße befindet sich lediglich ein Sportplatz, daher fügt sich das Projekt für die Howoge in die Nachbarschaft ein. Man sei von dem Punkthochhaus überzeugt, sagte eine Sprecherin. „Die Höhenentwicklung ist unserer Auffassung nach sowohl ökonomisch als auch ökologisch sinnvoll und notwendig.“ 

Eine Kita müsse dringend gebaut werden, sagt die Howoge

Zudem soll auf dem 5400 Quadratmeter großem Grundstück noch eine Sporthalle entstehen, die der Bezirk dringend benötigt. Ebenso dringend müsse eine Kita entstehen. Neben der 500 Quadratmeter großen Kita sollen noch 460 Quadratmeter für Büroflächen bereitgestellt werden.

[Berliner Wohnungsmarktwahnsinn: Über alle wichtigen Entwicklungen informieren Sie Chefredakteur Lorenz Maroldt und sein Team morgens ab 6 Uhr im Tagesspiegel-Newsletter Checkpoint. Jetzt kostenlos anmelden: checkpoint.tagesspiegel.de]

Die Howoge hat das Areal 2017 von den Berliner Wasserbetrieben gekauft und vollständig beräumen lassen. Es befanden sich dort ein ehemaliges Pumpwerksgebäude sowie Büros und ein Haus mit vier Wohnungen. Die Howoge ist eine der größten Wohnungsbaugesellschaften in Berlin und setzt im Bezirk Lichtenberg die meisten Projekte um.

Baustadtrat will keinen Streit mit der Howoge

Baustadtrat Hönicke will auch keinen Streit mit der Howoge, die kommunale Wohnungsbaugesellschaft sei ein wichtiger Partner. Und klar, diese stünde unter Druck, Wohnungen zu schaffen. Rechtliche Schritte könne der Bezirk ohnehin nicht vornehmen, da eine Entscheidung der Senatsverwaltung zu akzeptieren sei. 

Auch Bezirksbürgermeister Grunst versteht die Howoge als Partner. Diese feierte am 14. September ihr 30-jähriges Bestehen. Eigentlich sollte es eine Podiumsdiskussion mit Bausenator Scheel, Howoge-Geschäftsführer Ulrich Schiller und Grunst geben - doch Grunst sagte kurzfristig ab. Die Howoge wollte sich auf Nachfrage nicht dazu äußern, Grunst ließ von seiner Pressestelle mitteilen, sein Fernbleiben habe keine inhaltlichen Gründe gehabt. Die konkreten Gründe wollte er auf Nachfrage nicht nennen. 

Baustadtrat von Lichtenberg: der SPD-Politiker Kevin Hönicke.
Baustadtrat von Lichtenberg: der SPD-Politiker Kevin Hönicke.

© SPD

Baustadtrat Hönicke hat einen Brief an Bausenator Scheel geschickt, um ihn davon zu überzeugen, dass eine so massive Bebauung nicht passend ist vor Ort. Weil die Straße für den Verkehr nicht bereit sei zum Beispiel. Eine Antwort gibt es noch nicht. Hönicke weiß auch, dass die Senatsverwaltung den Bauvorbescheid nicht einfach so zurücknehmen kann. Der Bezirk sei verpflichtet, die Baugenehmigung zu erteilen, sagt er selbst - und kündigte an, nun andere Dinge an dem Projekt zu finden, die nicht genehmigungsfähig sind.

Resolution gegen den Hochhausbau

Die Fraktionen der Linke und der SPD werden am Donnerstag, 17. September, eine Resolution gegen das Hochhaus in die Bezirksverordnetenversammlung (BVV) einbringen: "Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen und die Howoge werden eindringlich aufgefordert, hier von dem positiven Vorbescheid Abstand zu nehmen und das Bauvorhaben neu zu planen." Linke und SPD haben zusammen eine Mehrheit in der BVV. 

Grüne für Resolution aber für das Hochhaus

Auch die Bezirksgrünen kündigen an, die Resolution zu unterstützen - auch wenn man die angestrebte Bauhöhe eigentlich für nicht problematisch halte. "Hohes Bauen kann Flächenversiegelung minimieren und Platz für Stadtgrün lassen", so Philipp Ahrens, Vorsitzender der Grünen. Trotzdem rege die Resolution die wichtige Beteiligung der Anwohner an. 

CDU gegen die Resolution aber gegen das Hochhaus

Die CDU wird bei der Resolution wohl nicht mitmachen. Ein Vernetzungstreffen gegen den Wohnungsbau sei das Letzte, was der Bezirk brauche, findet Fraktionsvorsitzender Gregor Hoffmann. Die Linke würde populistisch agieren. Allerdings erachte man den Bau eines Achtzehngeschossers ohne ausreichende Anzahl an Stellflächen für nicht realistisch. „Die Senatseinmischung ohne Betrachtung der örtlichen Verkehrslage und Sozialinfrastruktur ist kritisch zu sehen.“ Es sei klar, dass die neuen Mieter Autos mitbringen würden, die Howoge solle sich um ein Verkehrskonzept bemühen. 

"Es ist ja zu vermuten, dass die neuen Mieter Autos mitbringen"

Im Oktober 2021 kann die Howoge mit dem Bau in der Salzmannstraße beginnen. Auch der Fraktionsvorsitzende der Lichtenberger Linken, Norman Wolf, will die Howoge überzeugen, ein niedrigeres Haus zu planen. Wolf befürchtet ebenfalls ein Verkehrschaos. „Es ist ja zu vermuten, dass die Leute, die dort hinziehen, auch Autos haben. Investoren sind nicht verpflichtet, Parkplätze mitzubauen.“ Zudem füge sich das Hochhaus eben nicht ein in die Wohnbebauung, weil überall nur 5-Geschosser stünden. Die Dolgenseestraße sei doch nicht unmittelbar daneben, und der Paragraf 34 Baugesetzbuch ohnehin Auslegungssache.

Anwohnerin Anika Schatte, 36, Sozialarbeiterin, schaut aus dem fünften Stock auf die Brache und die Hochhäuser in der Dolgenseestraße gleich dahinter. Klar, es werde Probleme mit den Stellplätzen geben, sagt sie. „Ich verstehe das alles, die Stadt soll grüner werden und alle sollen mehr Rad fahren. Aber die Leute bringen natürlich Autos mit, und da fragen wir uns, wo sollen die hin?“ 

Trotzdem hat sie die Liste gegen das Hochhaus nicht unterschrieben. Sozialer Wohnungsbau sei wichtig für die Stadt. „Früher waren die Leute froh, hier hinziehen zu können und nun sind sie gegen ein neues Wohnhaus.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false