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Expressionistisch. Zum Jubiläum von „Das Kabinett des Dr. Caligari“ sollen Kulissen virtuell wiedererstehen.

©  Ullstein bild/Getty Images

100 Jahre Premiere von „Das Cabinet des Dr. Caligari“: Vom „verrückten Ding“ zum Welterfolg – wie die Musik den Film groß raus brachte

Die Premiere des Films „Das Cabinet des Dr. Caligari“ endete zunächst als Flop. Erst eine neue Musik brachte den Erfolg.

Manche Filme, die heute als Klassiker gelten, haben als ausgemachte Flops angefangen. „Metropolis“ von Fritz Lang trieb die Ufa durch explodierende Produktionskosten fast in den Ruin, die Premierenkritiken waren so lala, der Welterfolg kam erst später.

Sergej Eisensteins „Panzerkreuzer Potemkin“ hatte nach der Moskauer Premiere zwar wohlwollende Kritiken, aber kein großes Publikum gefunden. Sein Welterfolg startete erst nach der Premiere in Berlin und war zu nicht geringem Anteil der neu komponierten Musik von Edmund Meisel zu verdanken.

Einem weiteren Meilenstein der Filmgeschichte, Robert Wienes „Das Cabinet des Dr. Caligari“, dessen Premiere im Marmorhaus sich am 27. Februar zum 100. Mal jährt, war es ähnlich ergangen, und wieder spielte dabei die anfangs unpassende Musik eine Rolle.

Eine Art expressionistischer Psychothriller um das Doppelleben des Direktors einer Irrenanstalt, der als Dr. Caligari mit seinem Medium Cesare über die Jahrmärkte zieht und diesem zu morden befiehlt – doch als Begleitmusik ein bisschen Beethoven, Schubert, Rossini, Bellini, Donizetti, zum Schluss noch Paul Linckes „Frau Luna“? 

Das konnte nicht gut gehen, endete als „kompletter Durchfall. Das Publikum war stumm wie bei einem Begräbnis. Erst zum Schluss hat es gelacht. Als Paul Lincke gespielt wurde ...“ So hat es der Regisseur dem im „Mozartsaal“, dem heutigen „Metropol“ am Nollendorfplatz, wirkenden Filmkomponisten und Dirigenten Giuseppe Becce berichtet, mit dessen Hilfe der Film dann doch zum Erfolg wurde.

Ausstellung mit Virtual-Reality-Teil am Potsdamer Platz

Das anstehende Jubiläum wirft einige Schatten voraus. Vom Museum für Film und Fernsehen am Potsdamer Platz wurde für den 13. Februar die Sonderausstellung „Du musst Caligari werden! Das virtuelle Kabinett“ angekündigt.

Sie dreht sich um die verschiedenen Versuche, den in Weißensee gedrehten, nur ramponiert überlieferten Film zu rekonstruieren – die neueste Version wurde 2014 auf der Berlinale gezeigt.

Im Mittelpunkt der Ausstellung steht das Virtual-Reality-Projekt „Der Traum des Cesare“, bei dem der Zuschauer scheinbar selbst das Set des Films mit den gemalten Kulissen durchstreifen kann.

Filmbilder sind fast originalgetreu nachgestellt

Die digital aufpolierte Filmversion von 2014 dürfte den Originalbildern von 1920 weitgehend entsprechen. Die Rekonstruktion der erstmals im Mozartsaal gespielten Musik, die den Regisseur, seine Bühnenbildner Hermann Warm, Walter Reimann und Walter Röhrig und nicht zuletzt das Publikum überzeugte, ist da weitaus schwieriger, ja wohl unmöglich.

Versuche gibt es trotzdem, zwei werden zum Jubiläum von verschiedenen Stummfilmorchestern aufgeführt. Den Anfang macht am 4. Januar im Babylon am Rosa-Luxemburg-Platz das Babylon Orchester Berlin, weitere Aufführungen sollen am 11. und 24. Januar folgen.

Das ehemalige Stummfilmkino "Delphi" in Weißensee ist auch bekannt als Café "Moka Efti" in der TV-Serie "Babylon Berlin".
Das ehemalige Stummfilmkino "Delphi" in Weißensee ist auch bekannt als Café "Moka Efti" in der TV-Serie "Babylon Berlin".

© Thilo Rückeis

Giuseppe Becce – er stammte aus Italien, kam 1900 nach Berlin und ist auch hier 1973 gestorben – hatte Kompositionssammlungen, seine „Kinotheken“, herausgegeben und einige Stücke dem „Caligari“-Film zugeordnet. Aus solchen Stücken haben die beiden Orchesterleiter, der Pianist Hans Brandner und der Dirigent Marcelo Falcao, eine Filmpartitur zusammengestellt, ergänzt beispielsweise durch Schumann oder ein bisschen Johann Strauss – eine Annäherung an die Filmmusik Becces, dessen Musik zu 80 Prozent Verwendung gefunden habe.

Stummfilmkino „Delphi“ als Aufführungsort

Das zweite Projekt wird vom Metropolis Orchester Berlin vorangetrieben, als Aufführungsort hat man das ehemalige Stummfilmkino „Delphi“ in Weißensee, nahe dem Caligariplatz, gefunden, bekannt etwa als Cafe „Moka Efti“ in der TV-Serie „Babylon Berlin“.

Terminiert sind die Aufführungen noch nicht, als wahrscheinlich gilt der April. Dieses Projekt stützt sich auf eine Rekonstruktion des Films, der im Zusammenhang mit der Berlinale 1985 vorgestellt worden war. Der Musikwissenschaftler Lothar Prox und der Komponist Emil Gerhardt erstellten aus Originalfragmenten und Kinokompositionen Becces einen Soundtrack, der dem Original soweit wie möglich nahekommt.

Über die Vorgeschichte der ursprünglichen Becce-Komposition konnte sich Prox aus dem Tagesspiegel informieren. Um den Jahreswechsel 1968/69 hatte der langjährige Berlinale-Pressesprecher Hans Borgelt in der Zeitung eine zwölfteilige Serie über Giuseppe Becce veröffentlicht, Ergebnis langer Gespräche mit dem damals schon weitgehend vergessenen Filmkomponisten.

Anfangs wollte niemand den „verrückten“ Film

Nach Becces Erinnerungen hatte Produzent Erich Pommer erhebliche Probleme, für den avantgardistischen Film überhaupt ein Uraufführungskino zu finden. Auch das Marmorhaus habe abgelehnt, das „verrückte Ding“ zu spielen, sagte dann nur deshalb zu, weil ein anderer, dort geplanter Film nicht rechtzeitig fertig geworden war.

Die Premiere erfolgte dann holterdiepolter. Der Kapellmeister des Marmorhauses, ein Wiener namens Schimack, und dessen Direktor Goldschmidt hatten den Film erst am Tag vor der Premiere zu Gesicht bekommen, da war nur musikalische Improvisation möglich, von Beethoven bis Lincke, mit ernüchterndem Ergebnis. Nach wenigen Tagen zog Pommer den Film zurück.

Doch nun wurde Becce aktiv. Er war mit Regisseur Wiene befreundet, hatte sich zuvor beim Mozartsaal-Direktorium erfolglos für „Caligari“ eingesetzt, bestürmte seine Chefs und Pommer erneut, erhielt tatsächlich den Auftrag, eine eigene, dem Film adäquate Komposition zu schreiben.

Der Erfolg kam erst mit dem zweiten Premierenversuch

Vier Wochen arbeitete er daran, und so gab es bald nach dem Reinfall eine zweite Premiere – der Durchbruch. Becce war darauf nicht wenig stolz, wie er 1970 gegenüber einer italienischen Zeitung bekannte: „Ich konnte Wienes Film zu einem vollen Erfolg führen. Das war ein typisches Beispiel für den positiven oder negativen Einfluss der Musik auf das Schicksal eines Films.“

Umso überraschender, dass die Komposition als verschollen gilt. Schon in dem Aufsatz „Der künstlerische Spielfilm und seine Musik“ (1926) des Filmkomponisten Hans Erdmann bleibt das Werk unerwähnt, in seinem ein Jahr später erschienenen „Allgemeinen Handbuch der Filmmusik“ wird gar behauptet, „Caligari“ sei ohne Musik geblieben – was umso mehr erstaunt, als Giuseppe Becce an dem Buch mitgewirkt hatte.

In einem zur Berlinale 1985 veröffentlichen Beitrag erwähnt Lothar Prox, der die Musik damals zu rekonstruieren versuchte, eine im Archiv der Deutschen Kinemathek befindliche Bestätigung Becces, dass vier Nummern aus seinen „Kinotheken“ dem Film entstammten.

Angesichts dieser Widersprüche entschied sich Prox dafür, die „von Becce als authentisch ausgewiesenen Teile der Originalmusik zum Ausgangs- und Schwerpunkt einer ,Illustration‘ zu wählen und aus Gründen der Stileinheit mit weiteren Kinostücken des Komponisten zu verbinden“, die sich etwa in seinen „Kinothek“-Ausgaben fanden. Es musste dann noch Gerhardt als Arrangeur hinzugezogen werden, der auch kleinere Lücken mit Teilkompositionen zu schließen hatte. Eine Annäherung ans Original also auch hier, jene laut Borgelt „nahezu atonale oder auch ,verrückte‘ Musik“, aber eine offenbar gewissenhafte.

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