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1. Mai: Im Visier der Autonomen: Neonazis und der Kapitalismus

Die Verfassungsschutzchefin Claudia Schmid befürchtet am 1. Mai Angriffe der Antifa auf Rechtsextreme und außerdem Randale durch unpolitische Kids.

Von Frank Jansen

Es klingt makaber, doch die Situation in Berlin vor dem 1. Mai ähnelt der bundesweiten Stimmung in der Wirtschaftskrise. Keiner weiß genau, was passieren wird, aber viele haben ein mulmiges Gefühl. Gibt es womöglich einen Zusammenhang zwischen beiden Phänomenen, verstärkt das geahnte oder gefühlte Wirtschaftsdesaster die Gefahr schwerer Krawalle in Berlin am Maifeiertag? Die Chefin des Verfassungsschutzes der Stadt, Claudia Schmid, ist skeptisch. „Die Wirtschaftskrise hat weder bei den Rechtsextremisten noch bei den Linksextremisten eine verstärkte Mobilisierung zum 1. Mai bewirkt“, sagt Schmid. Es gebe auch unabhängig vom Feiertag in beiden extremistischen Lagern keinen gesteigerten Zulauf. Problematisch könnte jedoch ein mögliches Aufeinandertreffen von Rechts- und Linksextremisten werden. Erstmals seit 2004 gibt es am 1. Mai wieder eine Veranstaltung der NPD in Berlin.

Vor fünf Jahren war die rechtsextreme Partei mit ihrem Anhang das letzte Mal am Maifeiertag in der Stadt aufmarschiert. Die Folgen: Radikale Linke blockierten die geplante Laufstrecke in Lichtenberg und Friedrichshain, geparkte Autos gingen in Flammen auf.

In diesem Jahr, sagt Schmid, sehe sie vor allem die Gefahr von Angriffen der Antifa-Szene auf die morgens ankommenden und abends wieder abreisenden Rechtsextremisten. Während der Kundgebung der NPD scheint jedoch das Risiko gesunken zu sein, dass es zu Ausschreitungen kommt. Die Partei wolle sich weitgehend auf eine Veranstaltung in ihrer gut zu schützenden Bundeszentrale in Köpenick beschränken, sagt Schmid. Sie bestätigt Informationen des Tagesspiegels, wonach der NPD-Vorständler Eckart Bräuniger am 23. April der Polizei schriftlich mitteilte, zur Kundgebung würden nur 200 Personen erwartet. Ursprünglich hatte die NPD von bis zu 1000 Teilnehmern gesprochen und wollte vom Mandrellaplatz aus, nahe der Zentrale, durch mehrere Straßen marschieren. Doch die Partei ist in Berlin nach internen Konflikten und dem Austritt von etwa 80 Mitgliedern stark geschwächt. Auch wenn viele Kritiker von Landeschef Jörg Hähnel die Partei verlassen haben, bleibt die Stimmung an der Basis gereizt. Und die NPD insgesamt hat die Schlammschlachten noch nicht verdaut, die sich der Flügel um den Vorsitzenden Udo Voigt und seine Kritiker vor dem Parteitag geliefert haben, der Anfang April in Berlin abgehalten wurde. Nicht gerade die optimalen Voraussetzungen, um die rechte Szene aus ganz Deutschland nach Berlin zu locken. Außerdem sind rechtsextreme Demonstrationen in weiteren Städten angemeldet, das Spektrum splittet sich auf.

Die Zahl der Teilnehmer der NPD-Kundgebung könnte allerdings steigen, meint Schmid, wenn die Neonazi-Demonstration in Hannover verboten bleibt. Bis zu 100 Neonazis aus Berlin und Brandenburg würden dann möglicherweise auf die Fahrt nach Niedersachsen verzichten und zur NPD-Zentrale kommen. Diese Rechtsextremisten zählt Schmid zum Spektrum der gewaltbereiten „freien Kräfte“, wie sich parteiungebundene Neonazis nennen. Dazu gehören auch die krawallgierigen Autonomen Nationalisten, die am 1. Mai 2008 in Hamburg heftig randalierten.

Auf der Gegenseite blasen radikale Linke zum Angriff, auf die Rechtsextremisten und den Kapitalismus überhaupt. „Nazis wegputzen!“ ruft ein Bündnis „Gemeinsam gegen Rechts“, an dem sich gewaltbereite Gruppierungen wie die „Antifaschistische Linke Berlin (ALB)“ beteiligen – im Einklang mit gemäßigten Linken wie den Jusos, Verdi, der DGB-Jugend und Parlamentariern von Grünen und Linkspartei. Härter noch klingt der Aufruf der ALB zur „Revolutionären Maidemo“, die um 18 Uhr in Kreuzberg beginnt: „Burn Capitalism, burn!“

Die Sprache der gewaltbereiten Linken sei, wie in den Jahren zuvor, „martialisch“, sagt Schmid. Sie verweist auf in Neukölln geklebte Plakate zum 1. Mai, die einen brennenden Polizisten zeigen. Doch die Verfassungsschützerin schränkt ein: Auch wenn die ALB den Kapitalismus in Flammen beschwört, seien die vielen Brandanschläge auf Fahrzeuge kein Vorspiel für den 1. Mai. „Das läuft parallel und nicht planmäßig“, betont Schmid, „und mit den Demonstrationen hat es nichts zu tun.“ Allerdings seien „Resonanzstraftaten“ während und nach der abendlichen, von den Autonomen dominierten „Revolutionären Demonstration“ nicht auszuschließen. Und das könnte bedeuten, dass wie bei den vielen Krawallen am 1. Mai seit den ersten schweren Ausschreitungen im Jahr 1987 auch wieder Autos angezündet werden.

Die mobilisierungsstarken Themen der etwa 1100 autonomen und sonst wie gewaltbereiten Linken in Berlin, sagt Schmid, seien allerdings weder das in der Szene umstrittene Abfackeln von Privat-Pkw noch die globale Wirtschaftskrise. Im Vordergrund stünden der Kampf gegen „Luxussanierung“ und „Gentrifizierung“ von Stadtvierteln, wie er in der „Freiraum-Kampagne“ und im März in den Angriffen auf Restaurants in Friedrichshain zum Ausdruck kam; hinzu kämen der Antifaschismus und die Anti-Militarismus-Kampagne. In diesen drei Punkten sei sich die oft zerstrittene Szene einig. Auf die Frage, ob die militanten Proteste gegen den Nato-Gipfel in Straßburg, mit weltweit übertragenen Bildern brennender Gebäude, gewaltbereite Linke in Berlin animieren, den 1. Mai ähnlich zu gestalten, möchte Schmid jedoch keine Prognose abgeben.

Die ebenfalls am 1. Mai geplante, um 13 Uhr in Kreuzberg startende „Revolutionäre Demonstration“ deutscher und türkischer Maoisten und anderer Kommunisten hält die Verfassungsschutzchefin für „wenig störanfällig“. Das gelte auch für den „Mayday“-Umzug, „der hat eher Spaß- und Volksfestcharakter“. Schmids größte Sorge gilt am 1. Mai nicht den Extremisten, sondern „unpolitischen Kids“, die das Demoszenario für eigene Randale nutzen wollten. Und am Abend zuvor, in der Walpurgisnacht, „geht das Risiko von den vielen Angetrunken aus, die mit Extremismus gar nichts im Sinn haben“, sagt die Chefin des Verfassungsschutzes.

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