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Hier kann es nur schöner werden. Das frühere Industriegelände mit Öltanks.

© Werkbund Berlin / Erik-Jan Ouwerkerk

Exklusiv

"Werkbundstadt" in Berlin-Charlottenburg: Mustersiedlung könnte ohne den Werkbund entstehen

Der Verein Werkbund streitet mit Investoren um das Vorzeigeprojekt mit 1100 Wohnungen in Berlin-Charlottenburg – und denkt sogar an den Ausstieg.

Die Erwartungen sind gewaltig. Es geht um eine Mustersiedlung mit hohem städtebaulichen und architektonischem Anspruch. Rund 1100 Mietwohnungen in 30 Gebäuden sollen in der „Werkbundstadt Berlin“ in Charlottenburg entstehen. Ziel ist ein lebendiges Quartier, wie es seit Jahrzehnten nicht mehr gebaut wurde. Doch nun erwägt der Werkbund Berlin, sich aus seinem eigenen Vorzeigeprojekt zurückzuziehen. Das erfuhr der Tagesspiegel von mehreren Beteiligten.

Unterschiedliche Darstellungen gibt es zur Frage, ob die Würfel schon gefallen sind. Nach Kenntnis des Charlottenburg-Wilmersdorfer Baustadtrats Oliver Schruoffeneger (Grüne) hat der Werkbund seinen Rückzug angekündigt. Dies bestätigen die Mitinitiatorin des Projekts und Ex-Landesvorsitzende des Werkbunds, Claudia Kromrei, sowie die Eigentümer des Geländes am sogenannten Spreebord zwischen der Spree, dem Heizkraftwerk Charlottenburg und der Quedlinburger Straße.

Dagegen sagt der im vorigen Frühjahr neu gewählte Werkbund-Vorsitzende in Berlin, Uli Hellweg: „Es gibt noch keine definitive Entscheidung.“ Abgesehen davon will er die Entwicklung derzeit „nicht kommentieren“. Allerdings reagierte er auf die Nachfrage des Tagesspiegels mit einem Rundschreiben an den gesamten Landesverband. Darin kündigt Hellweg zum Stand der Dinge einen ausführlichen „Mitgliederbrief“ und für den 30. Oktober ein Mitgliederforum an.

32 Architekten sind beteiligt

Die Werkbundstadt soll von 32 Architekten gestaltet werden. Ursprünglich waren es 33, doch ein Büro macht nicht mehr mit. Das Grundstück war früher ein Öl-Tanklager. Heute gehört es einer Gesellschaft, in der drei Unternehmen zusammen als Investoren agieren.

Der gemeinnützige Deutsche Werkbund wurde 1907 gegründet und strebt ein „qualitätvolles Gestalten der humanen Umwelt“ an.. Zu den Mitgliedern gehören Architekten und Stadtplaner, Handwerker, Künstler, Wissenschaftler und Politiker. In den 1920er und 1930er Jahren entstanden Werkbundsiedlungen in Dresden, Stuttgart, Brünn, Breslau, Wien, Zürich und Prag. Das neue Berliner Stadtviertel sollte diese Tradition nach langer Pause fortführen.

Wer soll die Pläne überarbeiten?

Doch hinter den Kulissen kam es zum Streit, der sich laut Baustadtrat Schruoffeneger um die Überarbeitung der städtebaulichen Entwürfe dreht. Diese waren von den beteiligten Architekten zunächst ein Jahr lang gemeinsam und honorarfrei erarbeitet worden. Im Frühjahr 2016 stellte man das geplante Cityquartier mit „kurzen Wegen“, neuen Mobilitätskonzepten und anderen Ideen zur „Nachhaltigkeit“ vor. Wert legte der Werkbund auch auf eine ausgewogene soziale Mischung. 30 Prozent der Wohnungen würden nach dem „Berliner Modell“ der Mietpreisbindung unterliegen, hieß es. Auf Eigentumswohnungen wurde bewusst verzichtet.

Als es in diesem Sommer um die Weiterentwicklung der Pläne ging, konnten sich der Vorstand und ein Beirat des Werkbunds offenbar nicht mit den Grundstückseigentümern darauf einigen, wer damit beauftragt wird. Die Investoren nominierten zwei der bereits involvierten Architekten, nämlich Jan Kleihues aus Berlin und Christoph Ingenhoven aus Düsseldorf, und schlugen zusätzlich das bisher unbeteiligte Berliner Büro Grüntuch Ernst vor. „Gegen die vorgestellten Architekten ist nichts zu sagen“, findet Schruoffeneger. Vor rund zwei Wochen lud er zu einem „klärenden Gespräch“ ein, das ergebnislos blieb.

Der Werkbund habe darauf bestanden, den Zuschlag anderen, von ihm „gewählten Vertretern“ aus dem Kreis der Architekten zu geben, sagt der Stadtrat. Dabei geht es um den Hauptideengeber des Projekts, Paul Kahlfeldt, sowie Bernd Albers und Tobias Nöfer (alle aus Berlin). Noch hat Schruoffeneger die Hoffnung auf einen Kompromiss aber nicht aufgegeben.

So soll das neue Charlottenburger Stadtviertel nach den bisherigen Modellen aussehen.
So soll das neue Charlottenburger Stadtviertel nach den bisherigen Modellen aussehen.

© Werkbund Berlin

Notfalls machen der Bezirk und die Investoren alleine weiter

Jetzt betonen die Grundstückseigner in einer Erklärung, die mit dem Baustadtrat abgestimmt wurde und dem Tagesspiegel zuging: „In der Sache ändert sich nichts.“ Die Investoren und der Bezirk blieben sich einig darin, dass „ein urbanes, sozial und funktional gemischtes Quartier zum Wohnen und Arbeiten von herausragender gestalterischer Qualität entstehen soll“. Man wolle diese Ziele nicht infrage stellen – „auch dann nicht, wenn sich der Berliner Werkbund wie angekündigt aus der Ende 2017 schriftlich vereinbarten Zusammenarbeit zurückzieht“.

Das Bebauungsplanverfahren läuft demnach bereits. Gutachten zum Verkehr, zur Tragfähigkeit des Baugrunds und zu Altlasten lägen vor, heißt es. Auch die Frage, ob mit Lärmproblemen durch das benachbarte Kraftwerk zu rechnen ist, werde gerade geklärt. Man arbeite an „zukunftsweisenden“ Energie- und Mobilitätskonzepten und an der Idee eines „Sozial- Campus“. In Kooperation „mit einer Ordensgemeinschaft und Hilfsorganisationen“ solle das Zusammenleben älterer und junger Menschen zur „fruchtbaren Nachbarschaft“ entwickelt werden.

Mitinitiatorin warnt vor Bedeutungsverlust des Werkbunds

Die frühere Werkbund-Landeschefin Claudia Kromrei sagt, sie habe nichts mehr mit dem Vorhaben zu tun. Auf der Webseite des Projekts steht sie noch als Ansprechpartnerin, das ist aber veraltet. Kromrei würde es bedauern, wenn der Werkbund ohne eine weitere Beteiligung am Stadtviertel „wieder in der Bedeutungslosigkeit versinkt“ und „nur noch mit Diskussionsveranstaltungen auf sich aufmerksam macht“.

Das vorgesehene Baugelände liegt zwischen der Spree, dem Kraftwerk Charlottenburg und der Quedlinburger Straße.
Das vorgesehene Baugelände liegt zwischen der Spree, dem Kraftwerk Charlottenburg und der Quedlinburger Straße.

© Tsp/Bartel

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