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„Was haben die Politiker sich dabei gedacht?“: Alleinerziehende in der Coronakrise

Seit geraumer Zeit unterstützt Berlin Alleinerziehende mit Netzwerken. Kaum eine Gruppe trifft der Coronavirus-Ausnahmezustand so hart.

Und jetzt auch noch das. Alleinerziehende organisieren ihren Alltag perfekt, um Beruf und Familie zu vereinbaren, um Einkaufen, Haushalt und – verrückt! – vielleicht noch eine persönliche Verabredung hineinzuquetschen. Eine Kleinigkeit nur, ein hustendes Kind, eine verschobene Deadline, schon wackelt das fein geplante Wochengerüst.

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Für Alleinerziehende sind die Verbreitung des Coronavirus und die damit verbundenen Schließungen von Kitas und Schulen mehr als eine Herausforderung. Sie sind existenzbedrohend.

In rund 30 Prozent aller Berliner Familien werden Kinder von nur einem Elternteil großgezogen. Das sind deutlich mehr als im Bundesdurchschnitt. Obwohl Einelternfamilien einerseits Familien sind wie alle anderen, sind sie es andererseits nicht. Schon weil Arbeit und Sorgen, auf mehrere erwachsene Schultern verteilt, leichter wiegen.

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Deswegen steht an einem Montag im Januar, etwa eine Woche bevor es das Virus nach Europa schafft, Anett Dubsky mit einem Rollköfferchen auf Neuköllner Kopfsteinpflaster vor der katholischen Pfarrei St. Clara. Es ist kurz vor 13 Uhr, gleich trifft sie sich in einem Büroraum mit drei Frauen, die in unterschiedlichen Bezirken das tun, was Anett Dubsky, 48, selbst jahrelang in Marzahn gemacht hat. Netzwerken.

Jugendamt und Jobcenter riefen um Hilfe

Im Jahr 2011, Anett Dubsky war gerade aus der Elternzeit mit ihrer Tochter zurück, baute sie für das Jugendwerk Aufbau Ost (JAO) in Marzahn-Hellersdorf ein Netzwerk für Alleinerziehende auf. Weil in dem Bezirk besonders viele Alleinerziehende leben, von denen knapp die Hälfte langzeitarbeitslos ist, riefen unter anderen Jugendamt und Jobcenter irgendwann um Hilfe. Die Behörden waren kaum in der Lage, ausreichend Arbeit und Kinderbetreuung zu vermitteln. Im Gespräch entstand schließlich eine Idee. Wie wäre es, wenn wir alle im Bezirk vorhandenen Ressourcen bündeln, alle Unterstützungsangebote miteinander bekannt machen, kurzum: die Hilfe für Alleinerziehende besser koordinieren?

Marzahn-Hellersdorf richtete Beratungsstellen ein, neun im gesamten Bezirk. Die bearbeiten rund 1000 Anfragen pro Jahr und haben den Überblick, wem wo mit welchem Problem geholfen werden kann.

Im Nachhinein erzählt klingt das wie: gesagt, getan. Wie viel Arbeit dahintersteckte, zeigt sich jetzt anderswo in der Stadt.

Zeit für eine Grundsicherung

Denn nun hat Anett Dubsky von der Senatsverwaltung für Gesundheit, Pflege und Gleichstellung die Aufgabe bekommen, das Marzahn-Hellersdorfer Modell in allen anderen Bezirken zu etablieren. Sie sagt: „Die Situation der Alleinerziehenden in den Bezirken unterscheidet sich extrem.“ In einem gibt es viele Selbstständige, in einem anderen viele Arbeitslose, in einem dritten viele mit dem sogenannten Migrationshintergrund. Dazu kommt: „Wir haben von der Schulabbrecherin bis zur Professorin alles dabei, auch Frauen, die sich bewusst dafür entschieden haben, etwa per Samenspende.“ Was sie deswegen vor allem macht: reden und zuhören und reden und zuhören.

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Sie hat ihr Büro in diesen Rollkoffer verfrachtet, Laptop, Handy und ein dickes schwarzes Notizbuch, in dem sie in schön geschwungener Handschrift mit schwarzem Stift alles Wichtige notiert. Manchmal sitzt sie wochenlang nicht an ihrem Schreibtisch in Marzahn.

Aktuell natürlich auch nicht. Für Alleinerziehende sei die Situation rund um die Verbreitung des Coronavirus sehr dramatisch, sagt Anett Dubsky. Wäre jetzt nicht eigentlich die Zeit für eine Grundsicherung gekommen? Damit bestimmte Dinge auf jeden Fall gezahlt werden können, Mieten zum Beispiel.

Auch problematisch: Einsamkeit und Isolation

In der Pfarrei haben Margaretha Müller, Birte Driesner und Mareike Vorpahl an einem Tisch Platz genommen, die Koordinatorinnen für Neukölln, Lichtenberg und Mitte. Für alle anderen Bezirke ist das Interessensbekundungsverfahren gestartet: Bis Mitte April können sich Träger für die Koordinierungsstelle bewerben. In Neukölln ist sie beim Sozialdienst katholischer Frauen eingerichtet, in Lichtenberg beim Verein für aktive Vielfalt, in Mitte bei der Arbeiterwohlfahrt.

Es ist das erste Treffen im neuen Jahr, jede erzählt, wie weit ihr Netzwerk gediehen ist. Lichtenberg, zertifiziert als „familienfreundlicher Bezirk“ und regiert vom Sohn einer Alleinerziehenden, Bürgermeister Michael Grunst (Linke), denkt über viele neue Projekte nach; Neukölln hat in einem ersten Schritt evaluiert, was den Alleinerziehenden im Bezirk fehlt; Mitte festgestellt, dass die wichtigsten Themen, die Alleinerziehende beschäftigen, deckungsgleich sind mit den Ergebnissen der Studie „Was brauchen Alleinerziehende?“ der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie: Finanzen, Kinderbetreuung, Gesundheit, Wohnen. Als problematisch empfunden werden auch Einsamkeit und Isolation.

Wer ein Kind allein erzieht, der kann nur schlecht an Elternabenden teilnehmen, sollte am besten niemals krank sein – vor allem nicht lebensbedrohlich und spontan – und außerdem in der Lage, alle Probleme mit sich selbst zu besprechen. Was meinst du, sollte ein Arzt auf die Beule schauen? Alleinerziehende entscheiden allein. Schön, wenn man mal darüber reden kann. Oder zumindest weiß, wohin man müsste, damit man es könnte.

Immer auch Lobbyarbeit für Gleichstellung

Finanziert wird die Arbeit der Netzwerkerinnen vom Land Berlin. Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci erhofft sich davon, „dass Alleinerziehende in eine deutlich bessere Lebenssituation kommen“. Das Coronavirus macht jetzt alles erst mal schlimmer.

Was brauchen Alleinerziehende? Die Frage wäre leichter zu beantworten, handelte es sich um eine homogene Gruppe. Aber das ist ja nicht der Fall. Wenn Alleinerziehende eines gemeinsam haben, dann höchstens, dass ihnen eine Lobby fehlt. Es ist auch im Jahr 2020 in Deutschland nicht unwahrscheinlich, dass dies daran liegt, dass es meist die Mütter sind, bei denen die Kinder nach einer Trennung bleiben. Lobbyarbeit für Alleinerziehende ist immer auch Lobbyarbeit für Frauenrechte und für Gleichstellung.

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Wer ein Kind allein erzieht, arbeitet häufiger in Teilzeit (wenn überhaupt), verdient daher weniger und bekommt später weniger Rente. Dazu kommt, dass die Gehälter von Frauen ohnehin im Schnitt 21 Prozent geringer sind als die von Männern. Es ist daher nicht übertrieben zu sagen, dass wohl kaum eine Gruppe mehr von Armut bedroht ist als die Alleinerziehenden. Von rund 143 000 Alleinerziehenden in der Stadt sind Stand Januar 27 105 bei Jobcentern als Arbeitssuchende registriert, 24 091 von ihnen beziehen Hartz IV.

Multitaskingfähige Manager mit hoher Frustrationstoleranz

Wer ein Kind allein erzieht, muss nach einer Trennung möglicherweise eine gemeinsame Wohnung verlassen – und eine neue, bezahlbare finden. Idealerweise sogar im selben Kiez, damit dem Kind zusätzlich zur Trennung kein Schul- und somit Wechsel des sozialen Umfelds droht, dem Elternteil keine Suche nach einem neuen Kitaplatz, den es für Alleinerziehende nicht schneller oder leichter gibt.

Eine Wohnung muss oft zeitaufwendig gesucht werden, ein Vermieter sich unter 150 solventen Bewerbern dann auch für jemanden mit kleinem Kind oder gar mehreren kleinen Kindern und Teilzeitstelle entscheiden. Oder eben für eine Mutter im Hartz-IV-Bezug. In einigen Berliner Jobcentern kümmern sich mittlerweile spezielle Teams um Alleinerziehende. Die Mitarbeiter haben mehr Zeit und Ruhe, um die überwiegend weiblichen Kunden in Arbeit zu vermitteln. Gesetzt den Fall, alle familiären Probleme können überwunden werden; gesetzt den Fall, es findet sich ein flexibler Arbeitgeber; gesetzt den Fall, es gibt Betreuung für das Kind.

An den Problemen Alleinerziehender sei gut abzulesen, wo die Schwachstellen in Arbeitsmarkt-, Sozial- und Familienpolitik sind, schrieb 2017 die Bloggerin Susanne Triepel im Magazin „Edition F“. Wer multitaskingfähige Manager mit hoher Frustrationstoleranz und Fähigkeit zur Selbstmotivation suchte, der würde bei Alleinerziehenden fündig. Doch an strukturellen Ungerechtigkeiten verzweifeln sie gelegentlich trotzdem alle.

„Das Netzwerk kann auch das Selbstbewusstsein pushen“

„Es ist bemerkenswert, dass die Frauen schon gar nicht mehr sehen, was sie alles leisten“, sagt Anett Dubsky. „Das Netzwerk kann auch das Selbstbewusstsein pushen.“ Wenn sich nämlich durch Gespräche und Angebote plötzlich Möglichkeiten ergeben. Dann kann sich auch ein Netz wie eine warme Decke anfühlen. Und das geht so:

An einem Montag im Februar hat Margaretha Müller, seit Januar 2019 die Neuköllner Koordinatorin, zu einem Workshop für sogenannte „MultiplikatorInnen“ geladen, also für all jene, die sich im Bezirk um Alleinerziehende beziehungsweise Familien kümmern. Eine Mitarbeiterin des Jobcenters ist beispielsweise dabei, eine Stadtteilmutter, jemand vom Familienbildungszentrum, vom Familienhaus Neukölln Nord, von einer Schwangerschaftsberatung, von der Organisation Goldnetz, die Alleinerziehende bei der Suche nach einer Arbeit unterstützt, und einige mehr.

Müller, 61 Jahre alt, moderiert die Runde mit Schwung. Sie war mal Betriebsrätin in einer Druckerei in Süddeutschland. Als ihr eine Mitarbeiterin vorschlug, spaßeshalber eine Gehaltsauswertung nach Geschlecht zu machen, wurde sie angesichts der Ergebnisse zur Feministin. Die Themen Vereinbarkeit von Familie und Beruf und Entgelt(un)gleichheit ließen sie nicht mehr los. Beides betrifft Alleinerziehende besonders.

Einfach mal miteinander reden, es kann so einfach sein

„Ich bin großer Netzwerkfan“, sagt Margaretha Müller. Für sie bedeutet das, sich gegenseitig zu unterstützen und zu stärken. Sie sagt: „Alle Türen sind mir immer von Frauen geöffnet worden.“ Nun rüttelt sie selbst energisch an allen möglichen Klinken. Sie hat einen Newsletter aufgesetzt, den sie regelmäßig verschickt, kürzlich ging die Webseite der Neuköllner Koordinierungsstelle online. Weil die Sorgen Alleinerziehender im Ranking der Neuköllner Probleme nicht weit oben stehen, war es anfangs nicht leicht, bei Behörden und Ämtern Gehör zu finden. Jetzt hat sie es.

Flugs hatte sie sich mit der „Beauftragten für Chancengleichheit am Arbeitsmarkt“ beim Jobcenter geeinigt, ein niedrigschwelliges Angebot für Alleinerziehende zu starten, bei dem sie den Frauen überhaupt mal eröffnen, dass es eine Arbeitswelt gibt, deren Teil sie werden können. „Empowerment“, sagt Margaretha Müller entschlossen in die Runde.

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Die Schwangerschaftsberatung will nun ein Angebot für Single-Schwangere bieten. Kann ich mal jemanden zu euch ins Café schicken?, wird die Vertreterin vom Familienhaus Neukölln Nord gefragt. Brauchen wir eine eigene Beratung in Sachen Elterngeld für Alleinerziehende? Kann zu Berufsschulen bitte mal durchdringen, dass es Menschen gibt, die nur Teilzeit zur Verfügung stehen?

Einfach mal miteinander reden, alle an einen Tisch laden. Es kann so einfach sein. Zumindest dieser Teil.

Keine Zeit, sich um sich selbst zu kümmern

Denn dass man Unterstützung braucht, muss man sich eingestehen. Das ist nicht immer leicht in einer Gesellschaft, in der so etwas schnell mit Schwäche assoziiert wird. Es gibt Alleinerziehende, die mit dem wenigsten auszukommen versuchen – um bloß keine Sozialleistungen beantragen zu müssen.

Kein Wunder, dass Gesundheit ein Thema unter Alleinerziehenden ist. Wer keine Zeit hat, sich um sich selbst zu kümmern, wird irgendwann vehement darauf hingewiesen – durch Rückenschmerzen, Kopfschmerzen, Verspannungen. Krank ist man schließlich nicht immer erst mit fixer Diagnose. „Gesundheit hat viel mit dem persönlichen Empfinden zu tun und nicht nur mit der Feststellung, nicht krank zu sein“, heißt es in einer Broschüre vom Berliner Landesverband der alleinerziehenden Mütter und Väter (VAMV), der 2017/2018 eine Umfrage zu dem Thema durchgeführt hat, an der sich 202 Menschen beteiligten. 168 von ihnen sagten, dass sie zwar das Bedürfnis haben, sich zu bewegen oder zu entspannen, aber „neben Arbeit, Haushalt und Zeit für das Kind/die Kinder einfach die Zeit dafür fehlt“.

Seit einem halben Jahrhundert vertritt der Verband die Interessen der alleinerziehenden Mütter und Väter bundesweit, seit 1973 gibt es den Landesverband in Berlin. „Mittlerweile“, sagt dessen Geschäftsführerin Claudia Chmel, „ist das Thema in der Gesellschaft deutlich angekommen.“ Aber auch die Alleinerziehenden?

Kindergrundsicherung für jedes Kind in jeder Art von Familie

Um teilhaben zu können, sehen die sich oft mit bürokratischen Hürden konfrontiert. Die vielen – zum Glück vorhandenen – Angebote im Leistungsdschungel sind allein schwer zu durchdringen. Es gibt Kindergeld und Kinderzuschlag, Unterhaltsvorschuss für Kinder, für die sonst niemand Unterhalt zahlt, Wohngeld und Arbeitslosengeld. Ob jemand zum Beispiel Kinderzuschlag bekommen kann, richtet sich nach dem Elterneinkommen und den Wohnkosten. Natürlich wird immer irgendwo eine Leistung auf die andere angerechnet, umgerechnet, abgezogen. Zahlt etwa ein Vater Unterhalt für sein bei der Mutter lebendes Kind, wird das Kindergeld mit ihm geteilt. Zahlt stattdessen das Jugendamt einen Unterhaltsvorschuss, wird das Kindergeld darauf angerechnet. Einelternfamilien, deren Kinder durch Samenspende gezeugt wurden, haben keinen Anspruch auf Unterhalt.

Der Verband setzt sich auch aufgrund all dessen für eine monatliche Kindergrundsicherung ein, die jedem Kind in jeder Art von Familie zusteht. Genauso wie auch die Selbsthilfeinitiative Alleinerziehender Shia, seit 1990 verankert im Osten der Stadt.

Die beiden großen Verbände sind in die Netzwerkarbeit eingebunden. Martina Krause, seit 1999 Geschäftsführerin von Shia, ist davon überzeugt, dass es wichtig ist, vernetzt und kooperativ zu arbeiten, schon allein deshalb, damit Ratsuchende nicht im Kreis herumgeschickt werden, sondern zügig an die richtige Stelle verwiesen werden können.

„Allein“ suggeriert, dass etwas fehlt

Wie sinnvoll es ist, voneinander zu wissen und Ansprechpartner zu kennen, erklärt sie mit einem Beispiel: Einer geflüchteten Mutter mit Kind drohte der Vermieter mit Kündigung, weil keine Mietzahlungen mehr auf seinem Konto eingingen. Was geschehen war, ließ sich auf kurzem Dienstweg mit dem zuständigen Jobcenter klären. Nach dem Auszug des Vaters war die Familie keine Bedarfsgemeinschaft mehr gewesen – und das Jobcenter hatte die Mietzahlungen eingestellt.

„Auch wenn Einelternfamilien heute mehr auf Akzeptanz stoßen, wir machen uns nicht überflüssig“, sagt Martina Krause und ergänzt: „Es macht mich traurig und wütend, dass oft suggeriert wird, Einelternfamilien seien irgendwie defizitär. Diese Fremdwahrnehmung kann dann zur Eigenwahrnehmung werden.“

Auch einige Alleinerziehende wünschen sich ein „Rebranding“. Weil „allein“ immer suggeriert, dass etwas fehlt – wenn man doch so vielleicht ganz glücklich ist.

Birte Driesner, 26 Jahre alt und seit April 2019 Koordinatorin des Netzwerks in Lichtenberg, betont, wie wichtig es sei, nicht immer nur auf Probleme zu schauen. An einem Dienstag im März sitzt sie in großer Runde, um sich auf den neusten Stand bringen zu lassen, was die Arbeit der einzelnen Akteure im Bezirk angeht. Alle zwei Monate finden diese Treffen statt. Neben Marzahn-Hellersdorf leben im Bezirk Lichtenberg berlinweit die meisten Alleinerziehenden. Dem dringendem Bedarf all dieser Mütter und Väter nach flexibler Kinderbetreuung wird nun, so wird berichtet, in zehn Stadtteilen begegnet.

Kinderbetreuung hat unschätzbaren Wert

Wohin mit dem Kleinkind, wenn ein Termin beim Zahnarzt, Physiotherapeuten, Bürgeramt ansteht? Oder wenn man einfach mal alleine eine Tasse Kaffee trinken will? Der Bezirk hat das unkompliziert gelöst: Man gibt das Kind in die Obhut von Betreuern – die meisten angesiedelt in Familienzentren –, muss nichts nachweisen, keine Formulare ausfüllen, nichts zahlen und holt es anschließend wieder ab. Im Jahr 2018 wurden so insgesamt 369 Kinder im Bezirk über 3037 Stunden betreut.

Was banal klingt, hat unschätzbaren Wert. In Zeiten einer Corona-Pandemie allerdings eher symbolischen. Natürlich ist auch hier alles dicht.

„Es ist gut, die Alleinerziehenden mal in den Fokus zu rücken“, sagt Birte Driesner. Dann kann es sogar passieren, dass ein Angebot von ganz allein zu ihr findet. In Form eines Sportvereins zum Beispiel, der anfragt, was zu tun sei, damit auch Alleinerziehende sich fit halten können.

Das Netzwerk will Menschen „aufschließen“

„Das wichtigste Kriterium für eine Idee ist immer: passt sie wirklich zum Bedarf?“, sagt Birte Driesner. Den haben sie im vergangenen Jahr bei einem Aktionstag für Alleinerziehende ermittelt: An eine „Wunsch-Wäscheleine“ durfte jede und jeder einen Zettel klemmen.

„Es ist meine Hoffnung, dass wir durch das Netzwerk viele Menschen ,aufschließen‘, auch Arbeitgeber und Nachbarn“, hatte Anett Dubsky, die berlinweite Koordinatorin der Netzwerke, bei einem ersten Treffen gesagt und gelacht dabei, weil „aufschließen“ doch ein komisches Wort für das ist, was sie meint. Dabei passt keines besser.

Alleinerziehende erzählen von ihrem Alltag

Christina J., 37, eine sechsjährige Tochter

Als meine Tochter zwei Jahre alt war, haben mein Mann und ich uns getrennt. Das war für mich ziemlich traumatisch, denn wir waren zuvor sehr lange zusammen gewesen. Seither verbringt unsere Tochter jedes zweite Wochenende bei ihrem Vater und zwischendurch auch einen Nachmittag alle zwei Wochen. Anfangs waren diese Trennungen für mich schmerzhaft, mittlerweile freue ich mich meistens auf das freie Wochenende. Manchmal beneiden mich meine verheirateten Freundinnen sogar darum: Oh, du kannst ausschlafen und vielleicht sogar feiern gehen! Ja, aber ich würde jedes dieser Wochenenden gern gegen eine heile Familie tauschen – noch immer. Ein Kind allein großziehen ist eine Verpflichtung, die nie aufhört. Ich kann nicht schnell noch abends zum Sport oder spontan mal vor die Tür gehen. Es muss alles organisiert werden – oder man lässt es.

Alle machen ähnliche Erfahrungen

Über die Kita meiner Tochter habe ich andere Alleinerziehende kennengelernt und festgestellt: Wir alle machen ähnliche Erfahrungen. Wie das zum Beispiel ist, wenn man abends keine weitere erwachsene Person neben sich hat, mit der man mal über die Sorgen des Alltags sprechen kann. Oder wie anstrengend es sein kann, ein krankes Kind rund um die Uhr alleine zu betreuen, wenn niemand da ist, der mal eben für eine Stunde übernimmt. Mutter zu sein, finde ich wunderschön. Aber weil die Beziehung zu meiner Tochter sehr intensiv ist, mache ich mir auch viele Gedanken. Wenn sie zum Beispiel mit mir in einem Bett schlafen will, frage ich mich: Ist das okay? Ist das normal? Will sie das, oder will das in Wirklichkeit ich? Mein Ex-Mann hatte bereits zwei neue Beziehungen, ich eine, die ich meiner Tochter nicht offenbart habe. Ich möchte ihr Stabilität bieten. Aber sich parallel weiter zu entwickeln, ist ein Spagat.

Arbeitgeber schätzen Alleinerziehende nicht

Nachdem ich nun eine Weile selbstständig als Juristin gearbeitet habe, bin ich wieder auf der Suche nach einer Anstellung. Das ist auch der Grund, warum ich hier unter falschem Namen berichte. Meiner Erfahrung nach schätzen Arbeitgeber alleinerziehende Mütter nicht besonders. Ich würde es verschweigen und mich auf jeden Fall auf eine Vollzeitstelle bewerben. Teilzeit finde ich schwierig. Am Ende arbeiten die Frauen in kurzer Zeit effektiver und somit doch wie 100 Prozent, verdienen aber weniger und bekommen später eine geringere Rente. Dazu muss man sich doofe Sprüche von Kollegen anhören, wenn man loshetzt zur Kita – wo das Kind dann doch das letzte ist, was abgeholt wird. In alle Richtungen fühlt man sich schuldig.

Finanziell geht es uns gut. Der Vater meiner Tochter zahlt auch Unterhalt. Natürlich muss ich aufs Geld schauen, aber mit der Situation vieler Alleinerziehender ist das nicht zu vergleichen. Geld ist wichtig und hat auch viel mit Macht zu tun: Wer Geld verdient, ist nicht komplett mittellos, wenn er verlassen wird – oder sich trennen will. Ich bin ein Vorbild für meine Tochter, was ich alles geschafft habe seit der Trennung: zweites Staatsexamen gemacht, umgezogen, alles gemanagt und organisiert. Ich musste mich komplett neu definieren. Jetzt erlebt sie ihre Mutter als starke und unabhängige Frau.

Ana W., 39, ein siebenjähriger Sohn

Seit fünf Jahren versuche ich eigentlich nur, das Leben in den Griff zu kriegen. So lange bin ich alleinerziehend. Nach der Trennung vom Vater meines Sohnes, der seither verschwunden ist, musste ich umziehen. Jahrelang hatte ich in Friedrichshain gelebt, wie auch die meisten meiner Freunde. Eine neue, bezahlbare Wohnung fand ich nur in Wedding – weil eine gute Freundin mit mir eine WG gründete. Damals habe ich noch studiert, Osteuropastudien. Mit Ach und Krach habe ich meinen Master im vergangenen Jahr beendet. Das hat alles auch so lange gedauert, weil ich Seminare und Vorlesungen nur vormittags besuchen konnte, wenn mein Sohn in der Kita war. Meine Motivation, während ich die Masterarbeit geschrieben habe, war: eine bessere Zukunft für meinen Sohn. Ich dachte, ich finde anschließend einen Job, suche mir eine Wohnung … Leider stellt mich seit einem Jahr niemand ein, immer heißt es, ich sei unter- oder überqualifiziert.

Viele Freundschaften sind auf der Strecke geblieben

Nun ist meine Mitbewohnerin ausgezogen und ich werde wieder umziehen müssen, weil ich die Wohnung alleine nicht bezahlen kann. Von Friedrichshain nach Wedding zu ziehen, fühlte sich damals schon wie ein sozialer Abstieg an. Was, wenn ich jetzt nach Spandau oder Marzahn rausziehen muss? Fünf Jahre nach der Trennung weiß ich nicht, ob ich mich vom Aufprall erhole oder immer noch falle. Es ist schwierig, anzukommen, wenn die Wohnsituation so unsicher ist. Es sollte Wohnberechtigungsscheine nur für Alleinerziehende geben. Meine Eltern wohnen in Berlin und unterstützen mich manchmal. Doch viele Freundschaften sind durch meinen Wegzug auf der Strecke geblieben. Man schämt sich für seine Situation, zieht sich zurück und will seine Ruhe haben. Mein Sohn steckt das alles gut weg. Ich verheimliche aber auch nichts vor ihm. Während wir telefonieren, spielt er im Nebenzimmer. Er ist sehr optimistisch. Das lerne ich von ihm: Zuversicht haben. Andersherum sieht er, was er für eine starke Mama hat – und wird hoffentlich ein starkes Kind

Thorsten Claus, 42, eine zweijährige Tochter

Meine Frau leidet an einer nicht genau diagnostizierten psychischen Erkrankung, vermutlich ausgelöst durch die Geburt unsere Tochter. Verfolgungswahn, Paranoia, irgendwann ging es nicht mehr. Sie wurde ins Krankenhaus eingewiesen, als unsere Tochter knapp zehn Monate alt war. Die Kleine wurde hart abgestillt – und ich stand damals kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Bei einer Vater-Kind-Kur haben wir zwei uns etwas regeneriert.

Mittlerweile lebt meine Frau seit über einem Jahr bei ihren Eltern im Ausland. Seit Januar dieses Jahres habe ich das alleinige Sorgerecht. Kontakt gibt es nur sehr selten, da dieser sehr kräftezehrend ist. Das Leben geht weiter und ich muss lernen, die Tatsachen zu akzeptieren. Vorrangig ist jetzt ohnehin, dass ich für meine Tochter da bin. Von Anfang an hatten wir eine enge Verbindung: Sie hörte zum Beispiel sofort auf zu schreien, wenn ich sie auf meine Brust legte und ihr erstes Wort war Papa. Meiner Arbeit als Journalist kann ich derzeit nicht nachgehen. Leider greift in so einem Fall ja auch keine Berufsunfähigkeitsversicherung, so dass ich seit dem Ende der Elternzeit Arbeitslosengeld II bekomme.

Aber das hält mich natürlich nicht davon ab, wieder ein bisschen zu schreiben, wenn die Kleine schläft – oder mir neue Projekte zu überlegen.

#Hauptstadtpapa

Ich möchte bald unter dem Hashtag #Hauptstadtpapa zum Thema bloggen, tatsächlich habe ich schon einiges aufgeschrieben, was ich noch feinschleifen muss, bevor ich es online stelle. Das könnte vielleicht auch für andere alleinerziehende Väter interessant sein.

Ich habe mich zuvor schon zum Teil um den Haushalt gekümmert und meistens gekocht, aber was den Umgang mit einem Baby und Kleinkind angeht, habe ich trotz vier jüngerer Geschwister noch dazugelernt: Man muss nicht sofort zum Kinderarzt rennen, wenn sich irgendwo etwas rötet; Kinder fallen hin und sie weinen auch mal, beides ist nicht schlimm.

Ab Mai wird meine Tochter in die Kita gehen, dann kann ich mich hoffentlich wieder ums Geschäftliche kümmern und weitere Baustellen schließen. Das Sorgerecht zu bekommen, war der erste Schritt. Ein nächster wird die Scheidung sein. Und irgendwann habe ich dann auch wieder Zeit für mich.

Männer mit ähnlichen Problemen

Durch das „Haus des Säuglings“ beziehungsweise den Krisendienst, an die ich mich schon zuvor wegen meiner Frau gewandt hatte, bekam ich Kontakte zu Familienzentren. Bei einem Elterncafé lernte ich mal einen anderen alleinerziehenden Vater kennen. Es ist eine gute Erfahrung zu hören, dass es mehr Männer mit ähnlichen Problemen gibt. Auch von meinen Freunden und meiner Familie bin ich sehr unterstützt worden, vorübergehend wohnte ich mit meiner Tochter sogar wieder bei meinen Eltern in Nordrhein-Westfalen. Für meine Tochter schreibe ich seit ihrer Geburt eine Art Tagebuch. Vielleicht interessiert sie das später einmal. Zudem ist es vielleicht später ganz hilfreich, um ihr irgendwann die Sache mit ihrer Mutter zu erklären. Schade, dass diese vom Aufwachsen und der Entwicklung ihrer Tochter nichts mitbekommt. Nicht gesehen hat, wie sie ihre ersten Schritte gemacht hat, nicht gehört, wie sie immer mehr spricht. Das tut mir in der Seele weh, aber ich kann es nicht ändern.

Kim P.H., 42, eine achtjährige Tochter

Vor 19 Jahren bin ich aus Vietnam nach Deutschland gezogen, zunächst ins Saarland. Dort habe ich in einem Restaurant gearbeitet, der Vater meiner Tochter war mein Freund – und mein Chef. Ich war ziemlich von ihm abhängig, und weil ich das nicht mehr sein wollte, beschloss ich, nach Berlin zu ziehen. In Vietnam war ich Lehrerin an einer weiterführenden Schule gewesen und ich hoffte, dass mein Abschluss hier anerkannt werden würde. Leider klappte das nicht. Mein Umzug war bereits geplant, da erfuhr ich, dass ich in der sechsten Woche schwanger war. Dass ich trotzdem gegangen bin, kommt mir selber im Nachhinein mutig vor. Ich war also von Anfang an alleinerziehend, schon als meine Tochter noch in meinem Bauch war. Zum Glück war sie auch da schon lieb, hat sich gut entwickelt und nie Probleme bereitet.

Nebenher Deutsch lernen

Mein Freund hat die Vaterschaft anerkannt. Er zahlt Unterhalt – wenn auch nicht immer regelmäßig. Er hat immer gesagt, dass er Kontakt zu seiner Tochter wolle, aber ich glaube, er war nicht ganz ehrlich: Wenn er plant, uns zu besuchen, kommt jedes Mal etwas dazwischen. In Berlin lebte ich zunächst bei einem älteren vietnamesischen Bekannten. Einen Monat vor der Geburt meiner Tochter konnte ich in eine eigene Wohnung umziehen. Mein Plan war, mir einen Job in der Gastronomie zu suchen und nebenher Deutsch zu lernen und zu studieren. Das klappte nicht gut. Meine Tochter leidet an chronischem Asthma und an Neurodermitis, sie war und ist ziemlich oft krank. Dann muss ich mich natürlich um sie kümmern.

Weiterbildung zur Erzieherin

Ich habe eine Weiterbildung zur Erzieherin angefangen und als die Prüfung war, im Mai, hatte sie eine schwere Lungenentzündung. Die Prüfung wurde in den Winter verschoben. Ich hoffe, dass ich bestehen werde. In der Vergangenheit wurde mir schon gesagt, der Beruf passe zu mir, aber mein Deutsch sei noch zu schlecht. Mittlerweile habe auch ich gesundheitliche Probleme, vor allem Rücken- und Kopfschmerzen. Der Arzt konnte nichts finden und ich glaube, die Ursache ist psychisch. Vor unserem Gespräch habe ich eine Ibuprofen genommen – mein Kopf! Seit 2011, also seit der Geburt meiner Tochter, leben wir vom Jobcenter und in einer Eineinhalb-Zimmer-Wohnung. Finanziell kommen wir klar und wenn es doch mal eng wird, unterstützt mich eine liebe Freundin, die ich im Sprachkurs kennengelernt habe. Ja, es war mutig und anstrengend, schwanger und allein nach Berlin zu kommen. Aber ich bereue es nicht. Meine Tochter und ich sind ein gutes Team. Vieles ist leichter, seit sie älter ist. Ihre Lehrerin sagt mir immer: Sie haben eine tolle Tochter!

Julie K., 37, eine fünfjährige Tochter

Vom Vater meiner Tochter habe ich mich getrennt, als sie eineinhalb Jahre alt war. Wir haben als Familie nicht funktioniert. Da ich fest angestellt bin und meine Vermieterin sehr fair ist, kann ich unsere Drei-Zimmer-Wohnung auch alleine finanzieren. Mein Ex-Freund ist ausgezogen. Normalerweise holt er seine Tochter freitags von der Kita ab und übergibt sie mir am Samstagmittag. Ein Wochenende im Monat verbringt sie ganz bei ihm. Wir sind also weit entfernt von einer gerechten Aufteilung, den Alltagsstress und auch die damit verbundenen „Zoffthemen“, die habe ich. Er zahlt Unterhalt nach der Düsseldorfer Tabelle. Danach richtet sich die Höhe der Zahlung nach dem Alter des Kindes und dem Nettoeinkommen des Unterhaltspflichtigen. Ich finde, das greift zu kurz. Gehört nicht auch ein Preisschild an die Betreuungszeit? Die beinhaltet in meinem Fall eine reduzierte Arbeitszeit, also weniger Gehalt und später weniger Rente.

Abhängig von den Eltern

Wir haben gemeinsames Sorgerecht, aber wir leben es nicht. Und ist es nicht vor allem auch eine Pflicht, Verantwortung für das eigene Kind zu übernehmen? Für mich ist es sehr gewöhnungsbedürftig, dass ich mich nun als Erwachsene wieder so abhängig von meinen Eltern fühle. Geschäftsreisen sind zum Beispiel nur möglich, wenn sie aus Nordrhein-Westfalen kommen, um meine Tochter zu betreuen. Ich arbeite in Teilzeit, was sich ja nicht nur im Einkommen niederschlägt, sondern auch in beruflichen Perspektiven. Da bin ich faktisch ausgebremst. Diese Familie wünsche ich mir nicht zurück – und ich frage mich manchmal sogar, ob es überhaupt ein Mutter-Vater-Kind-Konstrukt sein muss. Denn: Wie soll ich bei all dem, was ich eh schon managen muss, noch eine Beziehung integrieren? Überhaupt jemanden kennenlernen? Ich habe tatsächlich mal jemanden in der Mittagspause gedatet.

Erziehungs- und Familienberatung im Jugendamt

Was mir über die Jahre sehr geholfen hat, ist die Erziehungs- und Familienberatung hier im Jugendamt, speziell die für mich zuständige, tolle Mitarbeiterin. Bei der war ich schon mit vielen Fragen, von Streitpunkten zwischen dem Vater und mir bis zu Erziehungsfragen. Man ist ja auch damit sehr allein, und ein konstruktiver Austausch hilft, um in dem Ganzen nicht irre zu werden. Das Schöne ist: Meine Tochter und ich haben eine enge Beziehung, unser Fundament ist sehr stark. Neulich morgens hörte ich, wie sie etwas suchte. Plötzlich stand sie mit einer selbst gemalten Schatzkarte in der Hand vor mir, umarmte mich und rief: „Ich hab den Schatz gefunden!“ Was bist du für ein tolles Kind, das denke ich jeden Abend, wenn ich ihr beim Einschlafen zusehe.

Jessica Schmidt, 42, eine sechsjährige Tochter

Seit einem Dreivierteljahr sind der Vater meiner Tochter und ich getrennt. Als alleinerziehend empfinde ich mich aber gar nicht. Das liegt zum einen daran, dass wir uns in Sachen Kinderbetreuung für das Wechselmodell entschieden haben, unser Kind also die Hälfte der Zeit bei mir, die andere Hälfte beim Vater verbringt. Es war uns wichtig, dass mein Ex-Partner nicht nur ein Wochenendpapa ist – und dass ich weiterhin meinen eigenen Laden führen kann. Wir kriegen das ganz gut hin. Allerdings bin ich auch ziemlich hinterher, dass alles klappt.  Es ist ein Klischee, aber Frauen haben einfach mehr auf dem Schirm, seien es Termine für Elternabende und andere Pflichtveranstaltungen. Ich kümmerte mich um eine gemeinsame Familien Termin-App und der Rest geht über Mail.

Die Bedürfnisse des Kindes

Eigentlich fände ich es richtig toll, wenn wir mehr kommunizieren und gemeinsame Zeit miteinander verbringen würden, vor allem für meine Tochter. Ich hoffe, das gelingt uns in der Zukunft. Natürlich ist es mir am Anfang auch nicht leichtgefallen, meine Tochter fünf Tage am Stück nicht zu sehen. Aber mittlerweile erledige ich in diesem Zeitraum alles Mögliche, vom Einkauf bis zum Arzttermin. Wenn meine Tochter dann bei mir ist, kann ich mich ganz ihr widmen, im Laden steht dann eine Aushilfe. Es geht bei dieser Aufteilung sowieso nicht um die eigenen Bedürfnisse, sondern um die des Kindes. Mit meiner Tochter bin ich darüber im Gespräch: Für sie ist die Situation okay. In unsere 100-Quadratmeter-Wohnung ist mittlerweile eine Mitbewohnerin eingezogen. Weil sie da ist, kann ich manchmal auch abends zum Sport gehen, wenn meine Tochter schläft. Sie passt auf. Hätte die Wohnung ein Zimmer mehr, hätte ich auch gern eine Mutter mit Kind reingenommen.

Anonym, 45, ein zehnjähriger Sohn, eine sechsjährige Tochter

Ich habe mich schon die gesamte Zeit alleinerziehend gefühlt, auch wenn ich es nicht war. Irgendwann stresste mich die Situation so dauerhaft, dass ich dachte, es sei entspannter für mich und die Kinder, wenn ich mich von meinem Mann trenne. Das habe ich vor gut einem Jahr getan. Seither bin ich tatsächlich alleinerziehend. Die große Überraschung für mich war: Es ist nicht entspannter, es ist nur anders. Aber ich gucke jetzt einfach, wie ich es hinkriege. Emotional bin ich in einer besseren Situation. Aber es fehlt einem als Alleinerziehender auch der Gegenpart, der sagt: Komm mal runter, jetzt bist du ungerecht, entspann dich, nimm dir mal eine Auszeit. Das Rollenverhältnis in unserer kleinen Familie hat sich trotzdem sehr verändert.

Einkommen bricht weg

Ich bin selbstständige Anwältin in meiner eigenen Kanzlei, ich arbeite etwa 35 Stunden in der Woche – also viel zu wenig – und muss drei Leute ernähren. Als Selbstständige weiß ich nie, was ich morgen verdiene. Wenn ich krank werde, was ich in der Vergangenheit war, kann mir von jetzt auf gleich das gesamte Einkommen wegbrechen. Nun, da Kita und Schule zu sind, werde ich meine Arbeitszeit auf drei Tage die Woche verkürzen. Das geht sogar, da auch in meiner Branche ein Auftragsrückgang zu verzeichnen sein wird und sich auch schon andeutet. Die Menschen haben schlicht andere Sorgen, als sich zu streiten. Insgesamt wird mich das finanziell an die Grenzen bringen. Mir fehlen wichtige Arbeitstage. Und trotzdem bin ich als Selbstständige mehr oder weniger abgeschnitten von sozialen Leistungen, weil ich nichts rückwirkend beantragen kann. Wenn ich zum Beispiel zwei schlechte Monate habe und denke, dass mir für diese Zeit soziale Leistungen zugestanden hätten, kann ich es nicht mehr beantragen. Beantrage ich es für die Zukunft, muss ich es komplett zurückzahlen, wenn deutlich bessere Monate kommen – und habe wichtige Arbeitszeit auf Antragsverfahren verschwendet.

Verantwortung für zwei Kinder

Ginge es nur um mich, könnte ich mit dieser Unsicherheit gut leben, die Selbstständigkeit mit sich bringt, aber ich bin verantwortlich für zwei Kinder. Gerade diese alleinige Verantwortung ohne doppelten Boden führt dann wieder dazu, dass ich zu Hause oft schlecht abschalten und nur Mama sein kann. Steuerlich sind Alleinerziehende, vor allem Selbstständige, schlechter gestellt als verheiratete Paare, die vom Ehegattensplitting profitieren können, die das Kindergeld nicht teilen müssen. Das strukturelle Problem sitzt tief. Für die Politik sind wir nicht mal eine Familie. Da kann man alleinerziehend mit fünf Kindern sein, es fehlt der zugehörige Mann. Es kann nicht sein, dass Alleinerziehende – ohne Ehepartner – steuerrechtlich einfach nicht in gleichem Umfang zählen! Eine hilfreiche Eigenschaft für Alleinerziehende ist Gelassenheit. Die fehlt mir aber zu oft. Man braucht ein Netzwerk. Und manchmal eine kompetente Person, die nicht mit einem befreundet oder verwandt ist, bei der man sich mal richtig auskotzen, alle Sorgen abladen kann, ohne das Gefühl, Rechenschaft zu schulden. Jemand, der dann sagt: Mensch, du machst das doch toll, und dass du die Nacht nicht geschlafen hast, merkt man gar nicht, denn du siehst super aus! Manchmal, wirklich nur manchmal, will ich nämlich nicht nur Anwältin und die Mama zweier wunderbarer Kinder sein, sondern auch mal selbst gesehen werden.

Anonym, 38, eine dreijährige Tochter

Es war eine Affäre mit Potenzial für mehr – nur dass der Mann sich dann doch gegen eine Beziehung und Vaterrolle entschieden hat. Da war ich im achten Monat schwanger. Lange hatte ich gedacht, dass ich keine Kinder kriegen könnte. Meine Tochter ist also das größte Geschenk der Welt für mich. Mindestens einmal am Tag bin ich bewusst sehr glücklich darüber, selbst wenn das ganze Alleinerziehen anstrengend und stressig ist, zumal ich keine Familie vor Ort habe. Der Vater meiner Tochter lebt in Niedersachsen, er zahlt Unterhalt. Ich glaube, dass es essenziell ist, zu wissen, wo man herkommt. Zu meiner Tochter sage ich immer: „Du und ich, wir sind die kleinste Form der Familie.“ Wie ich am besten mit der Situation umgehe, habe ich unter anderem bei der Familienberatung gelernt. Nicht bemitleiden, sondern sachlich erklären. „Dein Vater wohnt weit weg, er nimmt sich nicht die Zeit, dich zu sehen. Du kannst nichts dafür, du kannst aber auch nichts daran ändern.“ Ich glaube trotzdem, dass es für sie schmerzhaft sein wird, wenn ihr das alles richtig bewusst wird. Ich habe einen ganz gut bezahlten Job und kann viel von zu Hause aus arbeiten, sonst würde mein Alltag kaum funktionieren. Besonders jetzt.

Was haben die Politiker sich dabei gedacht?

Ich weiß nicht, was die Politiker sich dabei gedacht haben, wie eine Alleinerziehende das managen soll, wenn ihr Arbeitgeber nicht verständnisvoll ist und Arbeit mit Kind zu Hause genehmigt. Fünf Wochen Urlaub nehmen sind keine Option, die fehlen ja dann zur Kita-Schließzeit im Sommer und Herbst. Wenn ich beruflich unterwegs sein muss, was vorkommt, unterstützt mich mein Vater, der dann aus NRW anreist. Allerdings wird das alles immer langfristig geplant. Wenn etwas dazwischenkommt, bricht das System zusammen. Einerseits finde ich es schön, dass ich meine Tochter nie abgeben muss. Andererseits habe ich niemals Ruhe, bin für alles verantwortlich und muss alles entscheiden. Manchmal stört mich auch die Wahrnehmung der anderen. Im Urlaub auf Kreta fragte uns der Kellner jeden Abend erneut: Nur ihr beide? Ja, nur wir beide! Andere Mütter aus der Kita zögern, mir ihre Kinder nachmittags zum Spielen mitzugeben, weil sie denken, ich hätte eh alle Hände voll.

Mal eben Müll runterbringen? Da muss meine Tochter mitkommen. Genauso wie zum Einkaufen oder zum Reifendruckmessen. Oft bekommt sie von mir zu hören: „Im Moment nicht, gleich.“ Der Satz verursacht bei mir ein unglaublich schlechtes Gewissen.

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