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1981 kam Bisky nach Ost-Berlin und erlebte hier den Mauerfall. Heute zählt er zu den bekanntesten Malern seiner Generation.

© Doris Spiekermann-Klaas

Norbert Bisky zeigt Ausstellung zum Mauerfall: „Die Welt, aus der ich komme, ist verschwunden“

Viele Orte in seinem Heimatkiez erinnern den Maler Norbert Bisky an die bewegten 90er. Beim Spaziergang mischen sich die Zeiten wie auf seinen Gemälden.

„Wann, wenn nicht jetzt?", hatte sich Norbert Bisky gefragt und die Herausforderung angenommen: eine Doppelausstellung zum Thema 30 Jahre Mauerfall und Deutschlands aktueller Verfassung. Die eine findet in der Villa Schöningen direkt hinter der Glienicker Brücke statt, die andere in der St. Matthäus-Kirche am Kulturforum, beide in unmittelbarer Nähe der ehemaligen Grenze. Wer, wenn nicht er? – könnte man hinterherschicken. Denn der bekannteste figurative Maler seiner Generation vereint beides in sich: DDR-Vergangenheit und das Glück der Freiheit nach 1989.

Wie kein anderer hat der heute 49-Jährige es verstanden, die Ästhetik des sozialistischen Realismus in seine Bilder hinüberzuretten, sie gleichzeitig popkulturell aufzuladen und farblich hochzutreiben. Die sportiven DDR-Helden von einst machen bei ihm Party oder taumeln in die nächste Katastrophe.

Als Sohn des SED-Politikers und Linken-Mitbegründers Lothar Bisky, dabei als Vertreter der postmodernen Figuration international begehrt, ist er sozusagen Experte für deutsch-deutsche Befindlichkeit. „Die Welt, aus der ich komme, ist verschwunden“, konstatiert er knapp. „Ich habe erlebt, wie schnell so etwas gehen kann.“ Das Land, in dem er heute lebe, sei ein gutes, interessantes Land im Vergleich zu vielen anderen auf der Welt, fügt er hinzu.

In Friedrichshain fühlt er sich zu Hause

An diesem Morgen sieht Bisky vor allem erleichtert aus. Bis in die frühen Morgenstunden hat er am letzten Bild für die Ausstellung gemalt, sich gerade noch für ein paar Stunden hingelegt, während die Mitarbeiter in seinem Atelier das Werk verladen haben, damit es rechtzeitig zur Villa Schöningen gelangt.

Jetzt steht er putzmunter auf dem obersten Treppenabsatz zu seinem Atelier, zieht sich sofort seinen Parka an und wickelt den blau karierten Schal noch etwas fester um den Hals. Draußen nieselt es in bester Novembermanier. Auf dem Spaziergang durch seinen Friedrichshainer Kiez gerät er immer wieder ins Schwärmen, wie schön es hier vor allem im Sommer sei, wenn sich das Leben auf der Straße abspielt, die Wiese auf dem Boxhagener Platz nur so belagert ist

Dann geht es links raus aus der Toreinfahrt zu seinem Atelier. Seit 2003 hat er hier im Hinterhof sein Studio in einem Backsteinbau, der ursprünglich als Pferdestall diente. Über eine Rampe wurden die Tiere in die erste Etage geführt, wo heute noch Tröge und eiserne Ringe für das Geschirr von der ursprünglichen Nutzung zeugen.

Im Stock darüber, dem einstigen Heuboden, hat Bisky sein Atelier, das licht ist durch die im Dach eingelassenen Fenster. Es ist mittlerweile sein drittes Studio in Friedrichshain. Hier fühlt er sich zu Hause, inspiriert durch die ganz eigene Mixtur aus Menschen und Lokalitäten, animiert durch die Geschichte, die in den Gemäuern der Häuser steckt.

Friedrichshain zwischen zwei Diktaturen

„Das Quartier hat zwei Diktaturen hautnah erlebt“, erzählt er unterwegs. „Als Hochburg der KPD formierte sich hier starker Widerstand gegen die Nationalsozialisten, die Friedrichshain in Horst-Wessel-Stadt umbenannten." Der SA-Führer wurde wegen Mietstreitigkeiten eher versehentlich von einem Kommunisten erschossen, was die Nazis propagandistisch für sich nutzten. Eine komplizierte Geschichte, fügt Bisky hinzu und ist schon bei Nachkriegszeit und Wiederaufbau nach sozialistischem Ideal, als die Frankfurter Allee im Moskauer Zuckerbäckerstil neu erstand. Hier fand 1953 der Aufstand des 17. Juni statt.

Die letzte Straßenschlacht hat Bisky sogar selbst erlebt, als 1990 auf der Mainzer Straße drei Tage lang Ausnahmezustand herrschte. Damals wurde er Zeuge, wie Hausbesetzer eine Straßenbahn der Linie 13 aus den Schienen hoben und sie zur Barrikade gegen die Polizei umfunktionierten. Bisky faszinieren solche historischen Überlagerungen, sind sie doch auch in seinen eigenen Gemälden zu finden. Die gut gebauten Jünglinge – oft in Untersicht gemalt – könnten anders gekleidet statt Clubgängern stramme Pioniere sein.

Von seinem Atelier aus steuert der Künstler als erstes allerdings keine historische Stätte an, sondern einen Neuzugang im Kiez. In einer Baulücke in der Kinzigstraße ist hinter einer Backsteinmauer vor sieben Jahren ein buddhistischer Tempel gegründet worden, bestehend aus einer bunten Mischung kleinerer Gebäude. Durch das eiserne Tor ist ein Stupa zu erkennen, die buddhistische Pagode. Über dem Bürgersteig flattern bunte Gebetsfahnen.

„Ich wüsste zu gerne, was darauf steht“, sagt Bisky und erinnert sich an die Zeit seines Studiums generale Anfang der 90er Jahre an der Humboldt-Universität bei Rudolf Bahro, der unter anderem Gastredner zum Thema Buddhismus einlud. An für ihn wichtigen Tagen wählt Bisky den Weg von seiner nahegelegenen Wohnung zum Atelier am Tempel vorbei. Nicht getauft, wie es sich für einen kommunistischen Sprössling gehört, fühlt er sich dennoch von sakralen Räumen angezogen.

Der Künstler besucht gleichermaßen Kirchen und Moscheen, um die Atmosphäre aufzunehmen. Während eines mehrmonatigen Aufenthalts in Israel ging er immer wieder in Synagogen. Nur der buddhistische Tempel fehlt ihm noch in der Reihe, obwohl sich einer um die Ecke befindet.

Besetztes Haus und schicker Neubau - Beides habe seine Existenzberechtigung

Im Weitergehen macht Bisky auf ein Haus aufmerksam, in dem Waagen gebaut und repariert werden. „Solche Handwerksbetriebe gibt es hier immer weniger“, beobachtet er mit Bedauern und plädiert im gleichen Atemzug für Offenheit gegenüber Veränderung. Wer in der Stadt lebe, müsse sich dem Wandel stellen, findet der Künstler pragmatisch und macht als nächstes in der Scharnweberstraße vor einem besetzten Haus Halt, neben dem ein schicker Neubau steht. Beides habe seine Existenzberechtigung, sagt er.

Sein Herz gehört dennoch dem besetzten Haus, das er auch von innen von einer Party kennt. Hier herrsche der „gute Geist von Friedrichshain“. Amüsiert macht Bisky auf das Eisentor zwischen den beiden gegensätzlichen Gebäude aufmerksam. Bei genauerem Hinsehen ist darauf eine Handgranate zu erkennen. Trotzdem praktizieren die Bewohner friedliche Koexistenz.

Über den Boxhagener Platz, dem er auch ein Gemälde gewidmet hat, das sich heute in einer norwegischen Privatsammlung befindet, steuert der Künstler als nächstes das Restaurant „Datscha“ an, das für seine russische Küche bekannt ist. Bisky mag nicht nur das gute Essen hier, sondern auch die Inneneinrichtung. An den Wänden hängt ein Abzug von Rodtschenkos berühmter Fotografie einer Pilotin, außerdem die Reproduktion eines Gemäldes von Alexander Deinicka mit jungen sportiven Menschen, einem Hauptvertreter des sozialistischen Realismus.

Biskys Befreiungsschlag: An seine inneren Bilder zu zapfen

Hier ist Bisky ganz nah an den Quellen seiner eigenen Kunst. Gerne gibt er zum Besten, wie er über Umwege darauf kam. Als Student hatte er die Vision, ein typisch kalifornischer Maler zu werden mit mit viel Sonnenschein auf der Leinwand. Aber sein Lehrer Georg Baselitz riet ihm, seine inneren Bilder anzuzapfen, zu den Träumen und Albträumen vorzustoßen. Tatsächlich war es der Befreiungsschlag, plötzlich sprudelte es.

Nach einem heißen Tee geht es weiter Richtung Modersohn-Brücke, vorbei an dem RAW-Gelände. Verschmitzt erklärt Bisky, dass die drei Buchstaben nichts mit dem englischen „raw“ wie roh zu tun hätten, sondern die Abkürzung für Reichseisenbahnausbesserungswerke sind. Bisky hat sie noch im ursprünglichen Betrieb erlebt. Heute finden hier Konzerte, Trödelmärkte statt, Skater treffen sich in einer Halle, im Sommer herrscht im Biergarten Hochbetrieb.

Ob es damals zu Mauerzeiten auch schon die Modersohn-Brücke gab, da ist sich der 49-Jährige allerdings nicht so sicher. Heute ist sie in den Abendstunden ein Anziehungspunkt, denn von hier aus hat man Richtung Westen einen sensationellen Blick über die Gleise hinweg bis zum Alexanderplatz. Im Sommer trifft man sich bei mitgebrachtem Bier und Musik, um „den schönsten Sonnenuntergang Berlins“ genießen, begeistert sich Bisky.

An diesem grauen Novembertag braucht es viel Fantasie dafür, deshalb schlägt der Künstler etwas Reelles vor, einen Abstecher bei der „Schwäbischen Bäckerei“ in der Colbestraße. Wann immer er glaubt, sich belohnen zu dürfen, kauft er hier Pflaumenkuchen und beim Späti ein Bier.

Wir kaufen ein Stück und laufen die Boxhagener Straße zurück Richtung Studio. Keinen Kilometer weiter geradeaus würde man direkt auf das Berghain stoßen, wo im Erdgeschoss sein gewaltiges Gemälde „Vertigo“ hängt. Aber Bisky biegt ab zum Atelier, doch etwas müde. Den Kuchen hat er sich redlich verdient.

Doppelausstellung in der Villa Schöningen, bis 23. 2.. St.-Matthäus-Kirche, bis 16. 2. Eröffnung im Hora-Gottesdienst am 10. 11. (18 Uhr) mit Dialog-Kanzelrede von Pfarrer Hannes Langbein und der Autorin dieses Textes.

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