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Zupackend. Mats Ciupka, Zimmermann und „Häuserretter“.

© Austilat

Bedrohte Gebäude: Brandenburgs Häuserretter

Buchholz, Bruchhagen, Landin – Mats Ciupka steigt ungefragt auf Brandenburger Häuser, um sie vor dem Verfall zu bewahren. Er nimmt dafür in Kauf, für eine Nervensäge gehalten zu werden.

Von Andreas Austilat

Ein Rauschen kündigt ihn an, hüfthohes Gras wiegt sich in seinem Sog, dann ist der Zug nach Schwedt vorbei. Es ist wieder still am Bahnhof von Landin. So geht das alle halbe Stunde. Hier hält kein Zug, seit 20 Jahren nicht mehr, erinnert sich ein Nachbar. Er war noch Kind, als er in Landin das letzte Mal zustieg, das muss Anfang der 90er gewesen sein.

Zwei, drei Jahrzehnte können sehr lang werden für ein Gebäude, das niemand mehr zu brauchen scheint. Farbe blättert ab, Holz verwittert, Fenster springen. Doch der kleine Bahnhof hat durchgehalten, die vorbeirasenden Züge haben ihn nicht erschüttert – bis letzten Oktober Orkan Xavier auch durch die Uckermark stürmte und ein paar Schindeln mitnahm.

„Hat das Dach ein Loch, ist das Schicksal des Hauses bald besiegelt“, sagt Mats Ciupka. Er klingt ein wenig mürrisch, eigentlich hat er keine Zeit zum Reden. Er hat das Dach eines alten Bauernhauses zu decken, in Lüdersdorf, Kreis Barnim. Ciupka, 50 Jahre alt, dreiviertellange schwarze Cordhose, blaue Augen, deren Blick man für herausfordernd halten könnte, lebt seit 14 Jahren in der Region. Noch viel länger ist er Zimmermann.

„Hausfriedensbruch“, sagt die Ortsvorsteherin

Für manche seiner Nachbarn in den brandenburgischen Landkreisen Barnim, Uckermark und Märkisch-Oderland hingegen ist er die Nervensäge schlechthin.

Ciupka steigt ungefragt auf fremde Dächer, um verlorene Ziegel wieder zu ersetzen. Er tat das auf Guts- und Wohnhäusern, in Buchholz, in Bruchhagen und im vergangenen November auf dem Bahnhof von Landin, er tut das etwa ein Dutzend Mal im Jahr. Denn er ist der „Häuserretter“ wie es in roten Lettern auf seinem grünen Lastwagen mit dem „H“ auf dem Kennzeichen steht, „H“ für historisch.

„Hausfriedensbruch“, sagt Verena Siewert, die Ortsvorsteherin von Landin, nichts anderes sei das doch gewesen. Eigentlich finde sie das ja gut, dass der Bahnhof jetzt nicht weiter verfällt. Sie selbst habe sich auch dafür eingesetzt, dass wieder Züge halten würden. Vergeblich. Kann man nichts machen. Ihre Gemeinde habe kein Geld, die Station für einen anderen Zweck selbst zu übernehmen. Für welchen denn? Und wer sollte den Unterhalt bestreiten? Und was würden ihre Bürger sagen, wenn die wenigen Mittel der Gemeinde nicht in die Kita oder das Haus der freiwilligen Feuerwehr flössen, sondern in einen Bahnhof, den keiner mehr braucht?

Die Bahn braucht Zeit

Die Bahn versicherte ihrerseits, sie wäre selbst schon bald tätig geworden, wenn man ihr die Zeit gelassen hätte. Nun sind 20 Jahre eine Menge Zeit. Die Bahn will nun verkaufen. Nein, nicht in diesem Jahr, doch ganz bestimmt 2019.

Eigentum verpflichtet, sagt Ciupka über Einsätze wie den in Landin. Andernorts haben er und seine Mitstreiterin, die Berliner Architektin Kiri Westphal, Transparente aufgehängt. Eines kann man in Angermündes Puschkinallee sehen: „Welch Frevler hier auf Zerfall spekuliert, wird sicher bald stadtbekannt.“ So steht es rot auf weiß an der Fassade eines mächtigen Fachwerkhauses. Es gehörte einst einem Sirup-Fabrikanten. Seit zehn Jahren steht es leer, vor rund fünf Jahren hat es im Dachstuhl gebrannt. Verkohltes Gebälk liegt frei.

Baudenkmale brauchen Bewohner

„Rechtzeitig sehen, wenn ein Ziegel irgendwo schief liegt“, das hat Brandenburgs Landeskonservator Thomas Drachenberg jüngst gefordert. Bevor alles zu spät ist, bevor der Ruf nach der Abrissbirne kommt oder die Rechnung für die Sanierung ins Utopische steigt.

Drachenberg weiß, dass es beim Erhalt von Denkmalen vor allem um Zeit geht. Es sei vergleichsweise leicht, Geld für die Sanierung etwa des Brandenburger Doms zu bekommen, sehr viel schwerer jedoch, den laufenden Unterhalt zu stemmen. Ähnliches gilt für die vielen kleinen Baudenkmale im Land. Füllt sie keiner mit Leben, sind sie dem Verfall preisgegeben.

Doch selbst wenn jetzt niemand eine Idee hat, wie ein Bahnhof, ein Stall oder ein alter Herrensitz bewirtschaftet werden soll – in zehn Jahren könnte das ganz anders aussehen. Weshalb es den Versuch lohnt, ein für die Geschichte eines Ortes bedeutsames Gebäude für kommende Generationen zu sichern.

Wo der Hammer hängt

Ciupka denkt ähnlich. Und es reicht ihm nicht, zu sehen, wo der Ziegel schief liegt. Er will handeln, sagt er, hakt die Daumen in den schweren Gürtel, in dem auch der Hammer hängt und die Nageltasche. „Häuserretter“, der Schriftzug ist auch darauf eingestanzt.

Die ungeduldige Renitenz, die da mitschwingt, die ist ihm gewissermaßen angeboren. Ciupka, Jahrgang 1968, ging mit seinen Eltern von Berlin Anfang der 80er ins Wendland, als dort in der alten Bundesrepublik gegen das Atommüll-Endlager in Gorleben protestiert wurde. „Meine Mutter“, man hört ihm den Stolz an, „die wurde damals von Otto Schily verteidigt“, als man ihr Widerstand gegen die Staatsgewalt vorwarf.

Ciupka wurde vieles, war Buchautor, trat im Politkabarett auf, spielte mal im Fernsehen bei „Alarm für Cobra 11“ eine Rolle. Seine Erfüllung fand er im Beruf des Zimmermanns.

"Die neuen Häuser werden Sondermüll sein"

Der Chronist. Mathias Rohde kam als Forscher nach Lüdersdorf.
Der Chronist. Mathias Rohde kam als Forscher nach Lüdersdorf.

© Austilat

Er führt durch das Gebälk des Lüdersdorfer Bauernhauses, in dem er gerade arbeitet. Zeigt die mächtigen Balken, die sie erhalten konnten, und die neuen, die sie eingefügt haben. Hier arbeitet er ganz legal, für einen Bauherren, der sein Schwager ist, der lange gezögert hat, in ein Objekt wie dieses zu investieren, einen Hof, dessen Stall schon eingestürzt war und dessen Hauptgebäude ebenfalls vor dem Zusammenbruch stand.

Es handelt sich um ein sogenanntes Vorlaubenhaus. Der erste Stock stützt sich nach vorne raus auf eine Reihe Arkaden, die eine überdachte Vorfahrt bilden. Wagen konnten bei Regen trocken entladen werden. Seit vier Jahren arbeiten sie auf dem Vierseithof, nicht ununterbrochen, von dieser einen Baustelle könnte Ciupka nicht leben. Immer noch haben die Wände Löcher, hölzerne Stützen sehen aus wie bloße Rippen in einem offenen Brustkorb. Erst am Ende wird der Lehmbewurf aufgebracht, mit Kalk verputzt.

"Dieses Haus hat eine Seele"

Wird sicher schön, ginge aber auch schneller. Doch das ist für Ciupka keine Option, das bringt ihn in Rage. „Sondermüll“, sagt er, das sei es, was unsere Häuser in 50 Jahren sein werden, mit ihren Dämmstoffen und den Plastikfenstern. Nie würde er in so einer Schimmelhölle wohnen wollen, aber das müsse jeder für sich beantworten.

Häuser wie dieses hätten hingegen eine Seele, hätten etwas zu erzählen. Ciupka zeigt hölzerne Nägel, dort wurde einst der Tabak zum Trocknen aufgehängt, den hier niemand mehr erntet. Der Letzte, der hier wirtschaftete, war der Bauer Ernst Aue, der in der DDR denunziert, vor Gericht gestellt und enteignet wurde. Ist das Haus weg, erinnere nichts mehr an diese Geschichte.

In der Summe machten solche Häuser ein Dorf unverwechselbar, gäben ihm eine Identität. Vorlaubenhäuser, das war der vorherrschende Bautyp in den Bauerndörfern längs der unteren Oder. In Lüdersdorf habe es 1824 insgesamt 16 Stück gegeben, heute wären es mit dem hier noch zwei. In der gesamten Region sieht man sie nur noch selten.

Eine Zeitreise nach der Wende

Ciupka entdeckte diesen Teil Brandenburgs nach der Wende für sich. Das war wie eine Zeitreise zurück ins Wendland. Straßen mit Kopfsteinpflaster und Orte wie Lüdersdorf, die fand man im durchsanierten Westen nicht mehr. Keine Frage, es sei die Armut gewesen, weshalb vieles stehenblieb, für das im Westen kein Platz mehr war. Das weiß Ciupka auch. Und hält die DDR deshalb noch lange nicht für den besseren Denkmalpfleger. Tore seien in Fassaden gebrochen worden, wo keine Tore vorgesehen waren. Linoleum klebte auf Dielen, die darunter verrotteten. Und Herrenhäuser zerfielen, weil sie nach Adel aussahen.

Heute will man auch in der Uckermark etwas abhaben vom Wohlstand, will das auch zeigen. Will blaue Ziegel und mit Betonknochensteinen gepflasterte Seitenstreifen. Und kanadische Blockhäuser. Ob die nun in die Nachbarschaft passen oder nicht, ist denen, die sie schön finden und es sich leisten können, ziemlich egal.

Nur, wegen eines kanadischen Blockhauses kommt kein Tourist in die Region. Und die wachsende Zahl der Zuzügler aus Berlin, die kommen wegen des Buckelpflasters, die wollen auch keine Betonknochen. Die wollen Vorlaubenhäuser in Orten wie Lüdersdorf, die lassen sich von Ciupka alte Ställe herrichten, bis sie aussehen wie aus einer Ausgabe der „Landlust“.

Mathias Rohde bewohnt das zweite Lüdersdorfer Vorlaubenhaus. Er kam schon 1978 im Auftrag der Akademie der Wissenschaften aus Berlin nach Lüdersdorf, um alte Haus- und Siedlungsstrukturen zu erforschen. Rohde erwarb 1990 sein Haus, ebenfalls in traurigem Zustand.

"Hier war ich die Boulette"

Er erinnert sich, „für die Leute hier war ich lange die Bulette“, so habe man die Berliner genannt. Inzwischen seien eine ganze Menge mehr Buletten eingetroffen, unter ihnen viele Künstler, und das strahle aus. Peter Fox hat irgendwo in der Nähe ein Haus. In Stolzenhagen gibt es im Sommer ein Tanzfestival. Und in Brodowin, dem Ökodorf, da würden heute schon Preise aufgerufen, die kein Normalsterblicher mehr bezahlen könne. Rohde findet die Entwicklung trotzdem gut, würde sie doch die Region beleben, Cafés, Gasthäuser, Tanzfestivals, das wäre hier ansonsten kaum mehr vorstellbar.

Im nahen Greiffenberg, einem Ortsteil der ziemlich weitläufigen Stadt Angermünde, gibt es keine Gaststätte mehr. Mag sein, dass sich das ändert, die Greiffenberger sind gerade dabei, eine alte Mühle wiederaufzubauen, die vor zwölf Jahren eingestürzt war. Damit bekommt der Ort eine neue Touristenattraktion. Einen Verlust hingegen haben die Greiffenberger nicht verhindert.

Er wird wieder aufs Dach steigen

Stillgelegt. Der Bahnhof von Landin
Stillgelegt. Der Bahnhof von Landin

© Austilat

In der Breiten Straße 17 klafft eine große Lücke in der ansonsten geschlossenen Häuserreihe, beinahe wie ein ausgeschlagener Zahn sehe das aus, sagt Landeskonservator Drachenberg, um sich gleich wieder für das drastische Bild zu entschuldigen. Hier befand sich einst ein zweistöckiges repräsentatives Haus, bis ins 19. Jahrhundert Pferdewechsel der durchfahrenden Kutschen, Hotel und Gasthof. Nach dem Krieg begann der Niedergang, zuletzt stand das Haus lange leer. Zwar fand es einen Käufer, doch der hatte offenbar weder Geld noch Interesse noch eine Idee. Schließlich fürchteten die Nachbarn den Einsturz.

„Gefahr im Verzuge“, verfügte das Bauamt, das Haus wurde abgerissen. Ärgerlich daran war, dass die Sicherung nicht teurer gewesen wäre als der Abriss, sagt Drachenberg. Greiffenberg wurde ein Signal, „die Frage, die sich stellte, war, wie kriegen wir es hin, dass Landräte die Belange des Denkmalschutzes stärker gewichten“. Ein Instrument wurde geschaffen, seit Neuestem gibt es die Möglichkeit, dass sich das Land Brandenburg bei Sicherungsarbeiten an den Kosten beteiligt, statt wie bislang allein die Landkreise.

Seltsame Blicke von den Kollegen

Der dazugehörige Fonds ist mit einer Million Euro für dieses Jahr ausgestattet. „Doch es liegen bereits Anträge über fünf Millionen Euro vor.“ Immer wenn er mit Kollegen zusammentreffe, etwa aus Baden-Württemberg, spüre er deshalb seltsame Blicke. In Baden-Württemberg liege der Etat bei 34 Millionen Euro. Aber wichtiger als die bloße Summe ist ihm die Kontinuität über Haushaltsjahre hinaus, „um nicht Wassereimer in der Wüste auszuschütten, sondern einen feinen Wasserstrahl zu erzeugen“.

Das ist nicht sein einziges Problem. Drachenberg hofft auch auf eine bessere Personalausstattung des Landesdenkmalamtes. Auch damit sie Bauherren vor Ort besser beraten könnten. Vielleicht wird das ja helfen, den Schrecken zu lindern, den manche Uckermärker zum Ausdruck bringen, wenn sie das Wort Denkmalschutz hören. Und gar nicht erst versuchen, sich durch das Dickicht verschiedener Fördermöglichkeiten zu arbeiten.

In Greiffenberg ist es dafür zu spät

In Greiffenberg ist es dafür zu spät. Niemand wird die Chance bekommen, aus der alten Poststation etwas Neues zu entwickeln. Seit zwei Jahren wuchert dort Unkraut, trotz bester Lage, gleich gegenüber vom alten Marktplatz.

Damals hatten Ciupka und Kiri Westphal versucht, den Abriss zu verhindern, schließlich eines ihrer Plakate aufgehängt. „Schlaft schön ein und gute Nacht, wieder wurde ein Denkmal um die Ecke gebracht“, stand darauf. Es gab Greiffenberger, die reagierten beleidigt.

„Vielleicht waren wir zu konfrontativ“, sagt Ciupka heute. Es wird ihn nicht davon abhalten, auch in Zukunft an Wochenenden über Land zu fahren und Ausschau zu halten. Und wenn er einen Bauzaun sieht, „dann werde ich misstrauisch, gucke ich genauer hin“. Nicht auszuschließen, dass er wieder jemandem aufs Dach steigt.

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