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Durchgepflügt. In vielen Regionen Ostdeutschlands haben die Anteile von Großinvestoren am Bauernland in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen, der Hektarpreis hat sich vervielfacht.

© Patrick Pleul/p-a/dpa

Bauern gegen Investoren: Der Kampf um Brandenburgs Boden

Mais statt Vieh, Investoren statt Familienbetriebe. Brandenburgs Landwirtschaftsflächen sind umkämpft, Bauern haben kaum Chancen gegen Unternehmen.

Man helfe sich gegenseitig in der Gemeinschaft, sagt Landwirt Marcel Schulz, zum Beispiel wenn mal einer den Trecker brauche. So mache man das auf dem Land. Und Marcel Schulz, der eigentlich anders heißt, aber anonym bleiben will, wollte immer Bauer werden, schon als Junge. Jetzt sieht er, wie Großinvestoren mit ihrem Geld das Land und das Landleben und wie die Konkurrenz um Ackerböden die Dörfer verändern.

Mit denen hier in seinem Brandenburger Dorf, die „an jemand Großen verpachten“, geht er aber anders um als gewohnt. Wenn die ihn mit seinem Trecker um Hilfe bitten, „dann kostet’s“.

In vielen Dörfern Ostdeutschlands herrschen längst Konkurrenzverhältnisse wie auf dem Berliner Wohnungsmarkt. Boden und Bauernland sind für große Unternehmen zu interessanten Investitionsobjekten geworden. Einer Statistik der Grünen zufolge, die auf behördlichen Daten beruht, hat sich der Hektarpreis für landwirtschaftlichen Boden von 2006 bis 2017 verfünffacht. Er liegt inzwischen bei mehr als 11.000 Euro. Das alles hängt mit der Zinspolitik der Banken spätestens seit der Finanzkrise und mit den Subventionen der Europäischen Union zusammen.

Das spüren vor allem Bauern wie Marcel Schulz, die ihre Höfe allein oder mit wenigen Mitarbeitern bewirtschaften. Deshalb kritisiert er die Entwicklung, statt wie andere zu schweigen. Im grauen Wollpulli und schwarzer Arbeitshose sitzt er in der Küche seines Elternhauses, trinkt Kaffee und macht nicht viele Worte. Großinvestoren hätten das Geld, um nicht bloß Felder und Wiesen, sondern ganze Betriebe zu kaufen, sagt er. Dann werde das Vieh abgeschafft und Mais angebaut, für Biogasanlagen. Schulz hingegen macht, wie er sagt, „konventionelle Landwirtschaft“. Er baut Getreide an – Wintergerste, Roggen, Weizen, Hafer.

Die landwirtschaftlichen Großunternehmen schwächen die Bauern, die ihre Höfe im Familienbesitz halten. Neugründer und Ökobauern haben es noch schwerer. Sie alle können in der Bieterkonkurrenz nicht mithalten. Marcel Schulz erzählt, im Dorf mit seinen 300 Einwohnern gebe es noch drei Landwirte. Er würde gern noch Felder dazukaufen. Das bringt neue Einkünfte und entschädigt für den ständig zunehmenden Zeitaufwand für die Bürokratie. Aber er könne nur zahlen, was er erwirtschaftet habe. Und: Er habe kaum eine Möglichkeit, noch ein paar Hektar zu kaufen.

Nur „wenn man sich kennt“, wenn ein paar Hektar gewissermaßen über den Gartenzaun zum Verkauf angeboten wurden und gar nicht auf den Markt kamen, habe ein Familienunternehmen wie das von Schulz eine Chance. Zu den Preisen der Böden, die die bundeseigene Bodenverwertungs- und Verwaltungs-GmbH aufruft, sagt Marcel Schulz vier Worte: „Das kann ick nich.“

In der Politik ist das Problem angekommen, aber nicht ansatzweise gelöst

Vor allem in Mecklenburg-Vorpommern und in Brandenburg haben die Anteile der Großinvestoren am Bauernland in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. In der Politik ist das Problem angekommen, aber nicht ansatzweise gelöst – im Moment könnte aber in Brandenburg der Punkt erreicht sein, an dem es angegangen wird. In Mecklenburg-Vorpommern dagegen verspricht Landwirtschaftsminister Till Backhaus seit Jahren ein „Agrarstrukturgesetz“. Es soll regeln, welche Flächen verkauft werden – und an wen.

Das Gesetz könnte festschreiben, dass größere Flächen nur an ortsansässige Bauern verkauft werden. In Brandenburg heißt es im Sondierungspapier für eine „Kenia“-Koalition von SPD, CDU und Grünen: „Die Sondierungsparteien beabsichtigen, ein Agrarstrukturgesetz zu erarbeiten, um den Erwerb von landwirtschaftlichen Flächen und Anteilen an Landwirtschaftsbetrieben durch außerlandwirtschaftliche Investoren zu erschweren.“ Grünen-Fraktionschef Axel Vogel sagt: „Wir wollen keine Holdings und Investoren, sondern regional verankerte Landwirtschaft – damit die Wertschöpfung in der Region bleibt.“

Es geht nicht nur um Besitzverhältnisse

Geplant ist offenbar auch, sogenannte share deals zu untersagen. Das sind Anteilsverkäufe zum Beispiel von GmbHs. Die Grünen sehen darin eine weitere Möglichkeit, Finanzinvestoren und große Agrarfirmen außen vor zu halten.

Es geht nicht allein um Besitzverhältnisse. Die Landverteilung wirkt sich auf den Ackerbau aus, den Umgang mit den Böden, auf die Arbeitsverhältnisse im Dorf. Marcel Schulz mag das Dorf, in dem er lebt. Auf den Vierseiten-Hof in Märkisch-Oderland der Familie ist er ein bisschen stolz. Das Wohnhaus sei wohl um 1880 gebaut worden, sagt er, es sei mal abgebrannt und in Teilen neu gebaut worden. Man sehe aber noch die alten Bodenfliesen. In einer Scheune, deren Mauern unten aus Feldsteinen bestehen, sind zwei große, moderne Traktoren und ein Mähdrescher untergestellt.

In der Scheune finde auch der Weihnachtsmarkt statt, im Dorf gebe es einen Kulturverein, er selbst sei auch bei der Feuerwehr aktiv. „Hier ist relativ viel los“, sagt er, ein bisschen Stolz auch auf das Dorf ist ihm anzumerken.

Als es brennt, ist Schulz da

Noch ein Beispiel, um klarzumachen, wie die Großbetriebe das Land verändern: Einige Kilometer weiter Richtung Oder befindet sich ein solches Unternehmen. Als es auf dessen Flächen brannte, waren Schulz und seine Kameraden die, die mit dem Löschen anfingen und eine Schneise schlugen, damit sich das Feuer nicht ausbreitete. „Als das erledigt war“, sagt Marcel Schulz, seien auch die Angestellten des Agrarinvestors erschienen.

Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt sind die Bundesländer, in denen Landwirte besonders heftig die Konkurrenz von großen Investoren spüren. In der nördlichen Hälfte Ostdeutschlands gab es mehr große Güter als im Süden. Zu DDR-Zeiten wurden daraus Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften (LPG). Mit dem Ende der DDR kamen Genossenschaften oder GmbHs als Nachfolger der Großbetriebe. Oder sogenannte „Wiedereinrichter“, zum Beispiel der Vater von Marcel Schulz, der Landwirtschaft wieder auf den Flächen betrieb, die seiner Familie einmal gehört hatten.

Die Politik ließ die LPG-Nachfolger machen – wohl auch, weil die neuen Genossenschaften und GmbHs jene mit Arbeit versorgten, die schon zuvor bei den LPGs angestellt waren. Eine Zeitlang galt die Groß-Genossenschaft in der LPG-Nachfolge als Brandenburger Weg in der Landwirtschaft: spezialisiert entweder auf Tier- oder Pflanzenproduktion und auf „Riesenstrukturen“, wie ein kritischer Beobachter sagt.

Kein ortsansässiger Bauer konnte mithalten

Und doch wurden die Großbetriebe zum Thema: weil Interessenvertreter der Landwirte Alarm schlugen. Weil Politiker, wie in Brandenburg, sich irgendwann zu fragen begannen, wie der Übergang vom Realsozialismus zur Marktwirtschaft gelaufen war. Denn als in der Finanzkrise der Boden zum gesuchten Investitionsobjekt wurde, bedeutete der Verkauf einer ganzen Genossenschaft oder einer GmbH: Hier wechseln richtig große Flächen auf einmal den Besitzer, hier geht es um wirklich viel Land. Kein ortsansässiger Bauer konnte mithalten, wenn finanzstarke Großunternehmen boten.

Der Brandenburger Landtag setzte vor fast zehn Jahren eine Enquetekommission zu diesem Thema ein. Die untersuchte vier Jahre lang die verschiedensten Übergänge, auch die Bodenpolitik. Ihr Ergebnis: „Kritisch“ sehe man „den in Brandenburg zunehmenden Ankauf von Land durch auswärtige außeragrarische Großinvestoren.“ Kritisch sehe man die Flächenvergabe durch die bundeseigene Bodenverwertungsgesellschaft – ihr warfen die Interessenvertreter der Landwirte vor, die Bodenpreise zu treiben.

Das Thünen-Institut für ländliche Räume in Braunschweig hat seit 2015 regelmäßig untersucht, wie überregionale Investoren in den Ländern aktiv sind. In der jüngsten Studie dazu heißt es, dass 16,7 Prozent der Agrarunternehmen fast 57 Prozent der Flächen bewirtschaften. Anders gesagt: Mehr als 80 Prozent der Landwirte bearbeiten gerade mal 43 Prozent der Flächen.

Untersucht wurden für die Studie auch die Übernahmen von Agrarbetrieben durch juristische Personen, also Genossenschaften und AG’s in den Jahren 2007 bis 2017. Das Ergebnis: „Im Vergleich der Länder hat Brandenburg die höchsten Anteile übernommener Unternehmen und Fläche zu verzeichnen, dicht gefolgt von Mecklenburg-Vorpommern.“

Schnelles Geld mit Energiepflanzen

Man könnte sagen: Hier haben Landesregierungen eine Agrarpolitik wie zu den Zeiten ostelbischer Junker gemacht. Beobachter vermuten, die Agrarminister hätten nach dem Ende der DDR deshalb auf „große Strukturen“ und Betriebe gesetzt, weil nur die auf dem Weltmarkt würden mithalten können. Der Brandenburger Grünen-Fraktionschef Axel Vogel forderte dennoch vor Jahren schon eine andere Bodenpolitik. 2013 kritisierte er, dass die Großbetriebe auf „Masse statt Klasse“ setzten, auf schnelles Geld mit Energiepflanzen und auf Niedriglöhne.

Vogel nahm eine Forderung des Brandenburger Bauernbunds auf. Dessen Geschäftsführer, der Landwirt Reinhard Jung, wirbt seit Langem für eine Agrarstruktur, die die kleinen Landwirte und die Familienbetriebe fördert: durch eine Grundstücksvergabe zum Beispiel vor allem an Bauern, die im nächstgelegenen Dorf leben. Das Bodenrecht solle zugunsten ortsansässiger Landwirte geändert werden, um „außerlandwirtschaftliche Kapitalanleger“ vom Landkauf auszuschließen.

Tatsächlich hat die Flächenvergabe an große Unternehmen in Brandenburg und anderswo eine bizarre Nebenwirkung. Die aus zwei großen Förderprogrammen geleisteten Zahlungen im Rahmen der europäischen Agrarpolitik nützen zumeist Betrieben, die gar nicht in Ostdeutschland ansässig sind.

Geld aus Brüssel fließt durch Brandenburg

Einer Aufstellung des Bauernbunds von 2014 zufolge bekam zum Beispiel die Lindhorst Holding mit neun Betrieben in Brandenburg 4,4 Millionen Euro an Direktzahlungen der EU. Der Hauptsitz von Lindhorst befindet sich in Winsen in Niedersachsen. Dort sind Steuern zu zahlen. Keiner der sieben größten Agrarinvestoren, die zwischen knapp einer Million und fünf Millionen Euro aus Brüssel bekommen, hat seinen Sitz in Ostdeutschland. Reinhard Jung sagt dazu, Geld aus Brüssel fließe durch Brandenburg und dann woanders hin. Die Brandenburger Grünen sehen das genauso kritisch. In ihrem Papier „Ein Agrarstrukturgesetz für Brandenburg“ heißt es dazu: „Je größer ein Betrieb ist, desto mehr Subventionen bekommt er. Der Zugriff auf Land wird mit Steuergeldern vergoldet.“

Reinhard Jung ist ein temperamentvoller Mann, die Freude an seinem Beruf und dem Leben auf dem Land ist ihm anzumerken. Mit dem Bauernbund, der sich als „konservativ“ und „heimatverbunden“ beschreibt, setzt er sich für eine Politik ein, die auch die Grünen richtig finden. Dazu gehört für ihn auch der Umgang mit dem Fördergeld der EU. Die Direktzahlungen sollten nur noch an Betriebe gehen, deren Eigentümer nicht weiter als zehn Kilometer entfernt wohnten, fordert er. „Das Eigentum und die Arbeit macht den Bauern aus“, sagt Jung. Wenn die Fördergelder so eingesetzt würden, dass sie den Bauern vor Ort nutzten, „dann haben wir einen lebendigen ländlichen Raum“.

Auch Marcel Schulz fände eine Förderung besser, die sich an der Art der Landwirtschaft orientiert. Was jetzt geregelt werden solle, sagt er aber noch, komme zehn bis 15 Jahre zu spät. Die Besitzverhältnisse werden sich so schnell nicht ändern. Viel Arbeit für einen Landwirtschaftsminister, der sich um die „Stärkung lokaler Strukturen“ – sprich der Dörfer und der Menschen auf dem Land – bemühen soll. So steht es im „Kenia“-Sondierungspapier. Das könnte der Landwirtschaft in Brandenburg eine neue Richtung weisen.

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