zum Hauptinhalt
Vehicle-in-the-Loop. Einer der neuen experimentellen Prüfstände des Versuchszentrums für Automobile in Wedding.

© TU Berlin/FG Kraftfahrzeuge

Autonome Autos: Crash auf Glatteis

Im neuen Kraftfahrzeugversuchszentrum Berlin werden Autos für das autonome Fahren getestet.

Das weißlackierte Auto ist komplett von blauen Maschinen umschlossen. Zumindest sieht das für einen Besucher am Fachgebiet Kraftfahrzeuge an der Gustav-Meyer-Allee so aus. Fachgebietsleiter Steffen Müller erklärt: „Das ist der neue Vehicle-in-the-Loop-Prüfstand, auf dem wir untersuchen können, wie autonome Systeme mit extremen Situationen zurecht kommen". Bekommt die Automatik etwa die Lage in den Griff, wenn die beiden rechten Räder des Fahrzeugs auf Glatteis rollen, während sich die beiden linken Räder auf trockener Fahrbahn befinden?

Natürlich lassen sich solche Gegebenheiten unter freiem Himmel zum Beispiel in Schweden testen. Nur erhöhen solche Reisen die Kosten eines Entwicklers erheblich. „Obendrein kann Glatteis sehr unterschiedlich ausfallen“, nennt Steffen Müller ein weiteres Manko. Im 3,2 Millionen Euro teuren, neuen ViL-Prüfstand dagegen können solche Situationen nicht nur sehr genau nachgestellt werden, sondern auch unter exakt den gleichen Bedingungen nach naturwissenschaftlich-technischen Kriterien wiederholt werden. Und das ist wichtig, wenn man die Reaktionen autonomer Systeme testen und ihre Grenzen erforschen will.

Das Auto auf dem Teststand befindet sich also aus guten Gründen inmitten der blauen Maschinen: „Das sind Motoren mit einer Nennleistung von jeweils 200 Kilowatt, die das Fahren simulieren, obwohl das Auto dabei gar nicht vorankommt“, erklärt Steffen Müller. Dazu erzeugen die Maschinen an den Achsen die gleichen Kräfte, wie sie auf der Straße wirken würden. Die Steuergeräte im Auto werden gleichzeitig mit Daten gefüttert, die bei den jeweiligen Bewegungen des Fahrzeugs in der Realität auch auftreten würden. Obwohl das Auto in einem geschlossenen Raum steht und nicht vom Fleck kommt, entspricht also alles einer echten Fahrt.

„Wir untersuchen mehr als nur das Fahrverhalten auf Glatteis“

Statt auf natürliches Glatteis zu warten, füttern die Forscherinnen und Forscher also nur das System mit den nötigen Daten. Wie verhält sich das Auto mit den rechten Rädern auf Glatteis und den linken auf trockener Fahrbahn? Was passiert, wenn die Vorderräder schon wieder auf der trockenen Fahrbahn rollen, während die Hinterräder noch auf einer Eisplatte unterwegs sind? Wie reagiert der Wagen, wenn das Eis noch ein wenig glatter ist? Immer wieder spielen die TU-Ingenieure und Ingenieurinnen diese Situationen auf dem Prüfstand durch. Bis sie schließlich wissen, wie das autonome System reagieren muss, um mit all diesen Situationen fertig zu werden.

„Natürlich untersuchen wir weit mehr als nur das Fahrverhalten auf Glatteis“, berichtet Steffen Müller. So wollen die Forscher wissen, wie ein Fahrzeug reagiert, das ohne Fahrer am Steuer nur mit Hilfe autonomer Systeme unterwegs ist, wenn sich plötzlich von der Seite ein anderer Wagen auf Kollisionskurs nähert und die Automatik das entsprechende Ausweichmanöver einleiten soll. Was passiert, wenn die Fahrbahn dann nass ist oder die Sommerhitze den Asphalt aufgeheizt hat? Kurz: Wie wird die Automatik mit allen denkbaren Verhältnissen fertig?

Um solche Situationen möglichst gut auf dem Prüfstand nachzubilden, kann eine Kamera im Fahrzeug auch auf einen Bildschirm gerichtet werden, der die Umgebung simuliert. So werden auch optische Eindrücke übermittelt. Außerdem arbeiten die Forscher daran, dem System auch die Reflexionen der Radarsignale zur Verfügung zu stellen, mit denen sich moderne Assistenzsysteme orientieren. „Mit unseren Untersuchungen wollen wir Fehler des autonomen Systems aufspüren, simulieren und schließlich beheben“, erklärt Steffen Müller ein wichtiges Ziel dieser Forschung. Daneben wollen die TU-Forscher auf dem neuen ViL-Prüfstand aber auch den Betrieb von Hybrid- und Elektrofahrzeugen testen.

Auch die Sicherheit der Mitfahrer steht im Fokus

Im Brennpunkt der Forschung steht auch die Sicherheit der Menschen, die in einem Auto mitfahren. Muss in einem autonomen Fahrzeug niemand mehr am Steuer sitzen, kann man auch die Sitze anders als gewohnt anordnen. So könnten sich die Passagiere gegenüber sitzen. Familien könnten sich auf längeren Fahrten mit Spielen unterhalten, für Dienstreisende böte das Fahrzeug Raum für Meetings. Die Sicherheit der Passagiere müsste gewährleistet sein, auch wenn bei einem Unfall mit einem Fahrzeug mit veränderter Sitzposition natürlich auch andere Kräfte auf die Mitfahrer wirken. Wie Sicherheitsgurte, Airbags oder Kopfstützen dann angepasst werden müssen, schauen sich Steffen Müller und seine Kollegen auf einer 75 Meter langen Crash-Anlage an. Mit Mess-Sensoren versehene Dummies auf den Sitzen zeigen, welche Schäden Frontalzusammenstöße oder etwa Auffahrunfälle verursachen.

Weitere Fragen untersuchen die TU-Forscher am Fahrsimulator. Dort sitzen Probanden und steuern einen Wagen, während sie Fahrgeräusche hören, von Bodenwellen geschüttelt werden und an den Pedalen und am Lenkrad die gleichen Kräfte wie bei echten Fahrten spüren. „Dabei interessiert uns auch die Frage, ob der Fahrer die Automatik in jeder Situation überstimmen können muss, so wie es heute Vorschrift ist“, überlegt Steffen Müller. „Oder wäre es manchmal nicht besser, sich auf die mit allen Wassern gewaschene und getestete Automatik zu verlassen?“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false