zum Hauptinhalt
Wolf Biermann wollte nie zu den Herrschenden gehören – und streckte ihnen die Zunge raus. In die DDR durfte er nach dem Konzert 1976 in Köln nicht mehr zurück.

© picture-alliance/ dpa

Autobiografie von Wolf Biermann - Ein Treffen: Der Unvermeidliche

Gedichte, Lieder, Freunde und Feinde – er hat von allem viel. Wolf Biermann blickt in der Autobiografie auf ein doppeldeutsches Leben zurück. Unterm Apfelbaum in seinem Garten bekennt er sich zu einer lebenslangen Furcht. Immerhin: „Ich hatte die Angst, nicht die Angst mich“.

Hätte seine Frau ihn nicht „im allerbesten Sinne terrorisiert“, wäre das Buch nicht entstanden. Dann hätte vielleicht „irgendein Idiot, der sich damit spreizen will“ das unwahrscheinliche, doppeldeutsche Leben des Wolf Biermann aufgeschrieben. Diese Vorstellung schreckte ihn auf. „Dann mache ich den Fehler lieber selber. Außerdem kann ich sowieso besser Deutsch.“

Es ist einer der heißesten Tage im unwahrscheinlich heißen September 2016. Da sitzt man also, vollgesogen mit der frischen Lektüre von 500 Seiten der Autobiografie „Warte nicht auf bessre Zeiten!“ des Künstlers Wolf Biermann. Man ist in Gedanken mit dem Sechsjährigen durch den Feuersturm in Hamburg gelaufen, ist verloren gegangen, wiedergefunden worden. Man hat mit ihm den Vater verloren, den Kommunismus gefunden, wurde bewundert und angefeindet und gebauchpinselt und verraten.

In seinem Hamburger Garten sitzt gegenüber der Autor, seinerseits erfüllt von der realen Version dieser bald 80 Jahre gelebten Lebens. Kann es das Buch mit dem Leben aufnehmen?

Obstbäume, je einer für die Kinder David und Lukas und für die Tochter Molly eine Pflaume. Im Leben von Biermann hat vieles gefruchtet. Zehn Kinder, an denen vier Frauen beteiligt waren, eines hat er angenommen. Gedichte, Lieder, Freunde und Feinde. Der Mann ufert tendenziell aus und selbstverständlich tragen die Bäume nun Früchte. Da ist Biermann, unter rotknackigen Äpfeln sitzend. Im 80. Jahr. Es ist die Zeit der Ernte.

500 Seiten deshalb, sagt Biermann, weil er Marcel Reich-Ranicki glaubt, der sagt, mehr Seiten dürfe kein Buch haben. Der Verlag bewirbt „einen der führenden Dissidenten der DDR“, als sei Dissidententum eine Disziplin gewesen wie Diskuswerfen. Aber das wird der Einzigartigkeit Biermanns natürlich nicht gerecht. Es wird einem Mann nicht gerecht, der am Ende einen Staat mit Dichtung sprengte. Biermann, der Unberechenbare. Biermann, der Zündler an der Gitarre. Biermann, der Unvermeidliche.

Der Schnauzbart hielt länger als der Kommunismus

Wie es zur Formung des Wolf Biermann kam, inwändig und auswändig, wie er zu seinen unverwechselbaren Kennzeichen gelangte, das steht im Buch. Den Kommunismus verpasste ihm seine Mutter, eine glühende Hamburger Genossin. Die erste Gitarre überreichte ihm ein Funktionär der Blockpartei NDPD 1950 bei einem Deutschlandtreffen der Jugend in Ost-Berlin. Das Wort „Liedermacher“ erfand er für sich selbst, weil Brecht sich „Stückeschreiber“ genannt hatte. Zum Schnauzbart riet früh Freundin Brigitt. Nur, dass am Ende der Schnauzbart länger hielt als der Kommunismus.

Biermann ist ja nicht einfach ein Abtrünniger, er war ja zuvor auch ein Glühender gewesen, beladen mit dem Verbindlichsten, was die Psychologie für einen Menschen zu bieten hat: dem frühen Auftrag der Mutter, seinen toten, in Auschwitz gemordeten Vater zu rächen und ein guter Kommunist zu werden. Den Kommunismus aufzubauen. Die Welt zu verbessern. „Ja, Mama. Ja.“

Aus der Reibung der Welt am Menschen Wolf ist dann Kunst geworden. Mit 16 Jahren wechselte er in das bessere Deutschland, die DDR. Ein paar Jahre lang ging das gut. Aber wenn Biermann sich mal wieder seinen Reim auf die Verhältnisse machte, reagierte die DDR mit dem Mittel der Diktaturen: beleidigtes Ein- und Ausreiseverbot. Dann 1965 das Berufsverbot, elf Jahre lang.

Das Finanzamt teilte bald mit, seine Steuerakte sei gelöscht. Er würde ja in der DDR keine Einnahmen mehr erzielen. Und auch das erfährt man im Detail: wie der Dichter immer feixend noch einen drauf setzte. Er schmuggelte seine Lieder in den Westen, wo sie gespielt wurden. Ein Totalverbot weckte das Interesse. Und wie sich immer alles drehte! „Der Knebel im Mund des Dichters wird zum Mikrofon“, erkannte Biermann. Die DDR mit ihrem Propagandaapparat funktionierte „wie eine Public-Relations Firma, und zwar kostenlos“. In den Jahren seien seine Einnahmen kontinuierlich gewachsen, sie kamen aus dem Westen und erreichten ihn über das Ost-Pendant der Gema. Einen Teil behielt der Staat. In der Chausseestraße saß der mit Berufsverbot Geadelte, zahlte seine 85 Mark Miete, und feixte.

Wenn man sich einen Wolf läuft, scheuert immer die gleiche Stelle

Die verlogene DDR verdiente ja noch Devisen an seinen verbotenen Stücken. Gespielt werden durften sie nicht, aber das Geld nahm der Staat gerne. Und damit das auch jeder mitbekam, dichtete Biermann neu und sang aus vollem Halse: „Ihr macht, was Ihr verhindern wollt: Ihr macht mich populär.“

Das Private war schon deshalb politisch, weil die Konzerte nun bei ihm in der Chausseestraße 131 stattfinden mussten, wo die Stasi mithörte und dem anfälligen Mann Mädchen ins Bett schickte. Margot Honecker persönlich habe zwei Stunden lang auf Biermanns abgewetzter Ledersesselkante gesessen, um den widerspenstigen Dichter für die DDR zu gewinnen. „Ach Wolf, wenn du weiter den falschen Weg gehst, werden wir Feinde. Aber wenn du den richtigen Weg gehst, mit uns, dann kannst du unser größter Dichter werden.“ In unbequemer Haltung, sagt Biermann, habe sie 1964 bei ihm schräg auf der Armlehne gehockt. Aber Biermann war immun. Unbequeme Haltungen nahm er selber ein. Er wollte ja nie zu den Herrschenden gehören. Er wollte die Herrschenden kritisieren. Biermann streckte allen die Zunge heraus.

Wenn man sich einen Wolf läuft, scheuert es an immer der gleichen Stelle. Wolf Biermann wurde die wundgescheuerte Stelle der DDR. Er war ein Freund des aufsässigen Robert Havemann, er nahm sich, was er wollte. Bis er 1976 ausgewiesen wurde. Nach einem Konzert in Köln durfte er nicht mehr zurück. Aber es war dann die DDR, die sich von den Folgen der massenhaften Proteste gegen seine Ausbürgerung nicht mehr erholte. Man hat sich auf die Lesart geeinigt, dass mit ihr der Anfang vom Ende begann. Die Szene blutete aus. Ausreiseanträge wurden gestellt. 1989 war Schluss.

Nie wäre das möglich gewesen ohne den immer neuen Biermann-Moment. Es ist ein dem Wesen nach tollkühner Augenblick, der in seinem Leben ständig wieder auftaucht: Biermann steht plötzlich auf und verkündet spontan eine brisante Wahrheit. Provokation. Und die Öffentlichkeit schaut gebannt zu, ob der Drahtseiltänzer fällt.

Der Biermann-Moment ist immer auch ein Vater-Moment

Er war 16, da protestierte er gegen die Demütigung eines Mädchens, das ihrem Glauben nicht abschwören wollte. Er haute Richard von Weizsäcker seine rechte und dem Lyriker Sascha Anderson seine linke Verfehlung um die Ohren. Und dann der Auftritt im Bundestag 2014. Vereinbart war, dass er sein Lied „Ermutigung“ spielt. Ein Lieblingslied der DDR-Häftlinge. Einladung von Norbert Lammert. Spontan, wirklich spontan, habe er sich für seine kleine Ansprache entschieden, die dieses Lied in den Zusammenhang stellte. Als er Gregor Gysi und Dieter Dehm, Letzterer hatte als Stasi-Informant Berichte über ihn geschrieben, als er sie da „in ihrem Tortenstück lümmeln sah“, da musste er ihnen die Meinung geigen. „Das ist kein Mut, das ist Verachtung“, sagt Biermann in seinem Garten unterm Apfelbaum. Biermann hatte es wieder getan.

Es gibt eine Szene in Biermanns Buch, mit der vieles beginnt. Sein Vater, der später in Auschwitz ermordet werden sollte, wurde 1939 der Vorbereitung zum Hochverrat angeklagt. Der Richter las vor. „Religion: keine.“ Da stand der Vater auf und rief: „Ich. Bin. Jude.“ Ein ganz unverlangtes, am Ende tödliches Bekenntnis. Warum nur hat er protestiert?  Es war sein Todesurteil. „Meine Mutter hat sich zeitlebens gefragt, wie ihr Leben weitergegangen wäre, wenn er diesen Satz nicht rausgehaun hätte“, schreibt Biermann.

Von da an liest man die Geschichte des Sohnes als ein ständiges Déjà-vu. Der Biermann-Moment scheint eine ewige Variation dieser Schlüsselszene zu sein: Er ist, ahnt man, somit immer auch ein Vater-Moment. Der Sohn geriet ebenfalls in Bedrängnis, wurde ausgewiesen, aber die Zeit der Todesurteile war Gott sei Dank vorbei.

Biermann hatte zuvor in seiner Hamburger Küche die Fotowand abgeschritten, über der Eckbank hängt ein Fotokabinett der Familie in Schwarz-Weiß. Da ist der Vater mit einer Zigarette im Mund. Dort ist Emma, die Mutter. Und dort, sagt Biermann, das ist sein Sohn, der partout Schuhmacher werden wollte. Nicht irgendeiner allerdings, weshalb er bei den Besten ihres Fachs in London und Wien gelernt habe. Er mache nun Schuhe, deren Rahmen er näht.

Trägt er, Biermann, nun etwa selber die Schuhe seines Sohnes?

Nein! Biermann, entgeistert, der ganz offensichtlich noch nie auf den Gedanken gekommen ist, blickt auf seine Zehen. Seine Schuhe, sagt er, kosteten 89 Euro und seien sehr schön.

Er war als eines der wenigen Arbeiterkinder in Hamburg auf das Gymnasium gegangen. Nicht um zu werden wie die anderen Gymnasiasten, sondern um zu lernen. Er ging in die DDR, nicht um zu werden, wie die Leute dort, sondern um ihnen zu zeigen, was er für richtigen Kommunismus hielt. Er folgte 2014 der Einladung in den Bundestag, nicht um geschmeichelt ein Lied im hohen Haus zu spielen, sondern um Gysi und Konsorten, Reste der „Drachenbrut“, eines auszuwischen.

Hatte er niemals Angst? „Fallen Sie mal nicht auf das Buch rein“, sagt Biermann.

Er hat 200 Tagebücher geschrieben - aber keines gelesen

In  Wahrheit habe er immer große Angst gehabt. „Der Unterschied ist nur, dass ich die Angst hatte und nicht die Angst mich.“

Biermann verstummt immer kurz nach solchen Bonmots, um sie wirken zu lassen. Eine Person reicht ihm  als Bühne. Er singt los, wenn ihm eine Ballade einfällt, er deklamiert, er intoniert, er schweift ab und kriegt wieder die Kurve. Aber wie kriegt so eine Person ein Buch zustande? 

„Ich kann natürlich gut erzählen, aber ich habe kein Maß“, sagt Biermann. „Welche wichtigen Dinge sind im Grunde nichtig? Welche Nichtigkeiten wichtig, um die Geschichte gut zu erzählen?“

Sein Maß heißt Pamela, die ihm vor bald 35 Jahren, da war sie 19 und er 27 Jahre älter, ein Gedicht zugesteckt hat. Ihre Silhouette scheint ab und an im Küchenfenster auf. 200 Tagebücher hat Biermann seit seinem siebten Lebensjahr geschrieben. Doch Biermann schrieb sein Buch aus dem Gedächtnis. „Wollen Sie die Wahrheit wissen? Ich habe die Tagebücher nicht gelesen. Keine Lust.“ Aber Pamela habe sie gelesen, genau wie die Berge an Stasiakten, und sie habe gelegentlich gesagt: „Woholf, das stimmt nicht, was du hier schreibst, in deinem Tagebuch steht das anders. Du hast es so oft erzählt, dass du es schon herumgedreht hast.“

Es sind ja Familiengeschichten, durch vielfaches Erzählen „fixiert unter dem Schädeldach“. Sie mussten jetzt fest vernietet werden mit der Geschichte des Landes. Und natürlich ist Biermann der Erste, der weiß, dass Dichtung auch Verdichtung heißt. Dass bei einer Verdichtung der Gegenwart Druck ausgeübt wird auf die Realität. Dass es möglich ist, dass die Realität unter dem Druck am Ende etwas verformt aussieht. „Warte nicht auf bessre Zeiten!“, das am heutigen Samstag erscheint, ist die erste Pressung.

Es war sein Verleger Christian  Seeger, der die literarische Gattung parat hatte: Das sei doch aber ein Schelmenroman! Biermann gingen die Augen auf. „Ich habe die Schraube locker gemacht in meinem Gehirn und gesehen: Der hat recht!“ Es ist die Geschichte eines jungen Menschen, „der mehr von unten kommt“, der inauguriert wird durch seine Lebensumstände, in dem Nest, in der er ausgebrütet wird. Von einem, der „auszieht in die Welt, auf die Fresse kriegt, der mit leichten Blessuren überlebt“. Da waren ja „Episode an Episode ungeheuerlicher Geschichten“.

Es gefällt dem Subjekt dieses Lebens, ein naiver Schelm gewesen zu sein. Er weiß ja, jedes Leben ist ein Roman. Und seines ist halt ein Schelmenroman.

Am Ende ist der Autor erwachsen, der Kommunismus endet im Rang eines „Kinderglaubens“. Darum geht es ja, sagt Biermann. Wie einer sich aus dem Kinderglauben, in dem er erzogen ist, mühsam herausarbeitet. „Und endlich ein Verräter wird, ein guter Renegat.“

Zur Startseite