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Bitte lächeln. Der Tyrannosaurus rex, einst vielleicht das gefährlichste Tier seiner Zeit, ist längt Pop.

© dpa

Ausstellungseröffnung im Naturkundemuseum: T-Rex Tristan: Entzauberung eines Mythos

Ab heute ist das Fossil eines Tyrannosaurus rex in Berlin zu sehen. Forscher ergründen mit CT-Scans und Gesteinsproben sein Leben. Über zwei, die es zum Beruf gemacht haben, ihren Kindheitstraum zu entzaubern.

Jeder ihrer Schritte hallt durch den großen Saal. Daniela Schwarz läuft vorbei an Regalen mit unzähligen Gläsern, in denen Fische, Reptilien und Frösche konserviert sind. Vorbei an Bao Bao, dem ausgestopften Panda. Es ist ein Montagmorgen im Dezember. Das Naturkundemuseum hat geschlossen. Und so betritt Daniela Schwarz die große Saurierhalle allein. Ihr Blick geht nach oben. In der Mitte der Halle steht das Skelett eines Brachiosaurus. Es ist das größte montierte Skelett der Welt, der charakteristische Hals des Pflanzenfressers reckt sich 13 Meter in die Höhe. „Das ist meine Lieblingszeit“, sagt Schwarz als sie davor steht. „In der Dämmerung wirken die Saurier noch plastischer, realer.“ In solchen Momenten spürt sie noch die Ehrfurcht von früher. Daniela Schwarz ist Paläontologin. Sie hat es zum Beruf gemacht, ihren Kindheitstraum zu entzaubern.

Denn Dinosaurier sind, lernt man sie erst einmal näher kennen, eigentlich gar nicht so furchteinflößend. Und Daniela Schwarz, 39 Jahre alt und Kuratorin für fossile Reptilien und Vögel am Berliner Naturkundemuseum, hat schon etliche Saurier untersucht. Pflanzenfresser wie den Langhals in der Halle hauptsächlich. Ihr neuester Forschungsgegenstand wirkt weitaus bedrohlicher. Er ist der gefährlichste unter den Dinosauriern, Schurke der Urzeit und mehrfach prämierter Hollywood-Star: der Tyrannosaurus rex.

Ab heute ist das Skelett von „Tristan“ für alle Besucher des Naturkundemuseums zu sehen. Schwarze versteinerte Knochen, die im Licht silbrig schimmern, zwölf Meter lang, mehr als drei Meter hoch, nach vorne gebeugt, riesige scharfe Zähne. Es ist eines der am besten erhaltenen Skelette eines T-Rex weltweit und außerdem das einzige in Europa. Von den etwa 320 Knochen, die ein Tyrannosaurus wohl hatte, sind fast 170 von Tristan gefunden worden.

Mindestens drei Jahre lang dürfen die Berliner Wissenschaftler nun daran forschen. Rund 50 Mitarbeiter haben mit dem Saurier zu tun, doch es gibt so viele Teams und Kooperationen, dass auch das Museum nicht weiß, wie viele genau. Saurierforschung ist Detektivarbeit. Kleinste Spuren in den Knochen können Hinweise darauf geben, wer Tristan wirklich war. Wie er gelebt hat, was er gefressen hat, ob er überhaupt ein Tristan oder nicht doch eine Isolde war. Und jede neue Erkenntnis wird dem Mythos T-Rex wieder ein bisschen von seiner Kraft nehmen.

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Keiner weiß das besser als Johannes Müller. Er ist Professor für Dinos an der Humboldt-Universität in Berlin. Aber weil das etwas flapsig klingt und mit Sauriern nicht zu spaßen ist, lautet sein korrekter Titel „Paläozoologe am Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung“. Müller sagt: „Dinosaurier fand ich als kleiner Junge schon super.“

Heute ist er 42 Jahre alt, trägt Jeans und Pulli. Sein Büro hat er in einem Nebengebäude des Naturkundemuseums, weit weg vom künftigen Star des Hauses. Der Weg zu dem alten Gebäude mit den hohen Holztüren führt vorbei an etlichen Baustellen. Aus dem Hauptgebäude musste er wegen der Umbauarbeiten ausziehen, und er ist ganz froh darum. „Hier hinten hat man seine Ruhe“, sagt er. Zumal nicht nur die Wissenschaftswelt gerade in heller Aufregung ist wegen des neuen T-Rex. Zur Enthüllung am Abend waren Botschafter und Politiker eingeladen.

Johannes Müller und Daniela Schwarz werden den T-Rex erforschen.
Wer ist Tristan? Johannes Müller und Daniela Schwarz werden den T-Rex erforschen. Auch wenn sie den Dicraeosaurus (hinten) eigentlich sympathischer finden.

© Mike Wolff

Auch der Dino-Prof wird sich Tristan noch einmal in Ruhe ansehen, aber Vorsicht, der Mann versteht es, Laien zu desillusionieren. „Tristan sah wahrscheinlich aus, wie ein riesiger Truthahn.“ Johannes Müller sagt das nicht leichtfertig. Auch ihm hat die Forschung lieb gewonnene Kindheitsfantasien von drachenartigen Riesenechsen zerschmettert. Aber es nutzt ja nichts. Neueste Ausgrabungen belegen, dass die meisten Saurier keine Schuppen hatten, wie die Reptilien, sondern Federn. „Wenn Sie sich Heiligabend die Weihnachtsgans angucken, den Schultergürtel, das Gabelbein – alles wie beim T-Rex.“ Nicht überzeugt? Müller steht von seinem Schreibtisch auf und läuft zu einer weißen Tafel. Mit Filzstift zeichnet er schematisch eine Art evolutionären Stammbaum auf: links die Krokodile, rechts das gemeine Haushuhn. Müller macht ein Kreuz an der Stelle, wo wohl der Tyrannosaurus aufgetaucht ist. „Der T-Rex ist mit dem Huhn sehr viel näher verwandt als mit dem Krokodil“, sagt er.

Jurassic Park war einer der erfolgreichsten Dino-Filme aller Zeiten. Mit der Realität hatte er allerdings wohl nur bedingt zu tun. Im Bild: Sam Neill als Dr. Alan Grant und Ariana Richards als Lex Murphy in einer Szene des Kinofilms "Jurassic Park 3D"
Jurassic Park war einer der erfolgreichsten Dino-Filme aller Zeiten. Mit der Realität hatte er allerdings wohl nur bedingt zu tun. Im Bild: Sam Neill als Dr. Alan Grant und Ariana Richards als Lex Murphy in einer Szene des Kinofilms "Jurassic Park 3D"

© picture alliance / dpa

Die Geschichte des Tyrannosaurus ist eine voller Missverständnisse. Das hat auch mit dem Kultstatus zu tun. Fest steht, dass er nicht das blutrünstige Monster war, das Jagd auf Babysaurier machte, wie es im Trickfilm „In einem Land vor unserer Zeit“ dargestellt wurde. Und wohl auch nicht so wütete wie in Spielbergs „Jurassic Park“. Überhaupt Jurassic Park. Müller sagt: „Der T-Rex lebte in der Kreidezeit vor etwa 66 Millionen Jahren. Nicht im Jura-Zeitalter“. Das endete schon gute 79 Millionen Jahre früher. Mit der Paläontologie sei es so eine Sache. „Es gibt Leute die erforschen Fische. Und dann gibt es Leute, die erforschen nur Weiße Haie.“ Will sagen: Manche Forscher zielen mehr auf die Sensation ab, denn auf wissenschaftliche Erkenntnisse. Und was ihn am meisten ärgert, es funktioniert: „Für gruselige Saurier bekommt man leichter Forschungsgeld.“

Er selbst hat auch schon Saurier ausgebuddelt. Es gibt Fotos von ihm, wie er mit Hut und Sonnenbrille in der Wüste hockt und versteinerte Knochen mit einer Art Pinsel freilegt. Zuletzt war er im Sudan unterwegs. Dort werden viele Fossilien vermutet und die Gegend ist bisher nicht gut erforscht. Das ausgeprägte Interesse an den Sauriern beschränkt sich ohnehin eher auf die sogenannte erste Welt. In vielen Staaten Afrikas gibt es zwar erfahrene Paläontologen, doch die nutzen ihr Wissen über die Erdzeitalter eher im Bergbau oder helfen dabei, Ölvorkommen zu erschließen. Müller dagegen weiß den Luxus durchaus zu schätzen, nur wegen des Erkenntnisgewinns forschen zu können. Er ist spezialisiert auf Kleinstfossilien und andere Hinweise, die ihm mehr über das Ökosystem der Urzeit verraten.

Der Hadrosaurier zum Beispiel, der auch Entenschnabelsaurier genannt wird und sich schon deshalb nicht für einen Actionfilm empfiehlt, lebte zur gleichen Zeit wie Tristan, gehörte vielleicht sogar zu seiner Beute. Von ihm sind sogenannte Trittsiegel, also Millionen Jahre alte Fußstapfen gefunden worden, und darin zertretene Eierschalen. „Das lässt auf ein sehr komplexes Sozialverhalten schließen“, sagt Müller. Die Hadrosaurier widmeten sich wohl gemeinsam der Brutpflege und lebten womöglich in Kolonien, wie heutige Albatrosse. Den Fußstapfen nach waren die Tiere in Herden unterwegs, große Fußstapfen am Rand, kleinere in der Mitte – so könnten sie ihre Jungen geschützt haben. Johannes Müller faszinieren solche Details. „Ein T-Rex ist dagegen vergleichsweise unhandlich“, sagt Müller. „Da steht man in der Wüste und dann muss man sich überlegen, wie man so einen Oberschenkelknochen auf den Pick-up kriegt.“

Doch seit der T-Rex Pop ist, hätten sich einige Kollegen darauf verlegt, möglichst spektakuläre Fossilien zu finden. „Dann heißt es: Wow, der ist aber groß und das war’s dann.“ Dabei verrate der Fundort mindestens ebenso viel über das Leben in der Urzeit, wie die Knochen selbst.

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In Berlin könnten nun Sensation und Forschung zusammenfinden. Tristan nämlich gehört dem in London lebenden 39-jährigen Investmentbanker Niels Nielsen. Er hat das Skelett dem Amerikaner Craig Pfister abgekauft, der es 2012 in Montana gefunden hat. Den Kaufpreis will Nielsen nicht verraten, das Fossil ist aber für rund zehn Millionen Euro versichert. Er hat es nach seinem Sohn benannt, der an diesem Mittwoch seinen sechsten Geburtstag feiert und sich für Saurier noch mit einem unverfälschten Blick begeistern kann. Dem Naturkundemuseum leiht Nielsen den Tyrannosaurus kostenlos aus – unter zwei Bedingungen: Er soll der Öffentlichkeit gezeigt und wissenschaftlich untersucht werden. Ein Team aus Berliner Wissenschaftlern war schon in Montana, um Gesteinsproben zu nehmen und Tristans damaligen Lebensraum zu erforschen.

Um seine neue Berliner Heimat wird sich Daniela Schwarz kümmern. Die Kuratorin muss sicherstellen, dass Tristan authentisch ausgestellt wird, ihr Spezialgebiet: Funktionsmorphologie. Die Paläontologin kann aus der Beschaffenheit der Knochen Schlüsse ziehen, wie ein Saurier aussah und wie er sich bewegte. Ob er aufrecht oder gebückt lief, schnell war oder langsam.

Die meiste Zeit verbringt sie am Computer. Schwarz hat ein winziges Büro ein paar Stockwerke über der Saurierhalle. Im Regal steht die Enzyklopädie der Dinosaurier, davor sind Spielzeugdinos aus Plastik aufgereiht. Auf ihrem Bildschirm ruft Schwarz einige CT-Scans auf, Saurierknochen im Querschnitt. „Man gleicht die Aufnahmen ab und kann zum Beispiel feststellen, welche Knochen hohl sind“, sagt Schwarz. Das ist wichtig, weil sich so etwa erklären lässt, wie die Tiere trotz ihrer Größe leicht genug blieben, um sich noch bewegen zu können. Auch Tristan ist so vermessen worden, seine Knochen wurden von Experten der Charité durchleuchtet. Seine Termine hatte er zwischen ganz normalen Patienten. Und auch bei ihm sind die Mediziner auf der Suche nach Krankheiten, wollen herausfinden, ob er vielleicht Arthrose oder Rheuma hatte, und Hinweise auf die Todesursache finden.

Aber wie sah er denn nun aus, dieser Tristan?

„Wir wissen, es war kein Jungtier“, sagt Schwarz. Ein T-Rex kommt mit etwa 14 Jahren in eine Art Pubertät und nimmt innerhalb weniger Jahre bis zu fünf Tonnen zu. Tristan war seiner Größe zufolge also geschlechtsreif und damit mindestens 17 Jahre alt und um die sechs Tonnen schwer. Viel älter als 30 Jahre wird ein Tyrannosaurus nicht. „Und er war in der Lage, zügig zu laufen“, sagt Schwarz. Also zumindest schneller als die Pflanzenfresser, die er jagte. Montana, wo er gefunden wurde, sah zu seinen Lebzeiten noch grundlegend anders aus. Klimatisch eher zu vergleichen mit dem heutigen Kenia, also ziemlich heiß. Doch es gab weder Savannen noch Wälder, eher eine offene Landschaft mit einzelnen Bäumen und Büschen. Ein Rätsel sind für Schwarz auch heute noch die kurzen, aber kräftigen Ärmchen, die jeder T-Rex hat. Vielleicht hielt er damit seine Beute fest, vielleicht aber auch nur die Partnerin bei der Paarung. Da es seit Neuestem Hinweise darauf gibt, dass der T-Rex ein Kannibale war, steht zu vermuten: beides.

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Und ziemlich schlau muss Tristan gewesen sein – für einen Saurier. Weil sein Schädel zu 98 Prozent und damit einmalig gut erhalten ist, lässt sich die Hirnkapsel untersuchen und darin war offenbar viel Platz. Der echte Kopf wäre für das Gestell im Naturkundemuseum zu schwer gewesen, also haben Wissenschaftler der Technischen Universität einen exakten Plastiknachbau mittels eines 3D-Druckers erstellt. Das Original wird dann in einer eigenen Vitrine ausgestellt. Jetzt ist er fertig, fehlende Knochen sind durch Nachbildungen aus Gips ersetzt.

Als Kuratorin gehört Daniela Schwarz zu den wenigen Museumsmitarbeitern, die Tristan schon fertig aufgebaut gesehen haben. Über Monate wurden die Fossilien präpariert und zusammengesetzt. Fotos waren jedem Fremden bis zur Eröffnung streng verboten.

Auch wenn sich in Berlin heute alle Augen auf Tristan richten, wird Daniela Schwarz ihrem Lieblingssaurier treu bleiben: dem vergleichsweise kleinen Dicraeosaurus, der ebenfalls im Naturkundemuseum steht. Da ist sie ganz wie ihre Tochter: „Die mag lieber die Pflanzenfresser, mein Sohn findet die Raubsaurier toller“, sagt Schwarz. Jungs eben. Wobei Dino-Professor Johannes Müller den langhalsigen Dicraeosaurus auch ganz sympathisch findet. „Ich stehe eher auf die Underdogs“, sagt er.

Aber was heißt das schon, Underdog? Seinerzeit war der T-Rex der König der Welt, das Reptil an der Spitze der Nahrungskette. Heute sind es die Säugetiere, sagt Müller. Und eines sei dabei unangefochten der Top-Prädator, wie das in der Fachsprache heißt. Überall wo es sich über die Jahrtausende niederließ, ging die Artenvielfalt rasant zurück. Heute ist es fast überall heimisch und kennt keine natürlichen Feinde. In ein paar Millionen Jahren wird es vielleicht ebenso mit Schaudern im Museum betrachtet werden können, wie der Tyrannosaurus heute. Sein Name: homo sapiens, der Mensch.

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