zum Hauptinhalt
Hilft gegen Kater? Allan, Chef vom "Allan's Breakfast Club" mixt einen "Bloody Mary" in seinem Lokal in Rykestraße in Prenzlauer Berg.

© Thilo Rückeis

Anti-Kater-Cocktail: Sunday, Bloody Sunday

Wenn der Barkeeper guten Morgen wünscht: Ein "Boozy Brunch" vernebelt schon vormittags die Sinne.

Allan Bourbon, breites Kreuz, breites Lächeln und mit dem leutseligen Charme eines Australiers gesegnet, steht hinter dem Tresen und lässt den Cocktailshaker kreisen. So weit, so normal für einen Barmann. Bloß: Es ist Sonntagvormittag. Entschieden zu früh für einen Drink, möchte man meinen. Aber nicht zu früh für eine Bloody Mary. Es ist nie zu früh für eine Bloody Mary. „Die gehört zu einem australischen Brunch einfach dazu“, sagt der 42-Jährige und gießt die dunkelrote Flüssigkeit in zwei kleine Einmachgläser, die er mit Gurkenscheibe und Zitronenschnitte garniert.

Bourbon hat so ziemlich jeden Job in der Gastronomie gemacht. Angefangen in der Küche, war er erst Sommelier, arbeitete dann im Grill Royal an der Bar – sein erster Job in Germany, vor drei Jahren. Seit 2015 hat er mit Allans Breakfast Club (ABC) nun seinen eigenen Laden in der Rykestraße in Prenzlauer Berg. Und da er französische Wurzeln hat, sperrt er, wenn die letzten Eggs Benedict und Avocado Toasts gegessen sind, kurz zu und öffnet am frühen Abend erneut: als Weinbar. Wie praktisch. Die Trinker des Vorabends kann er am nächsten Morgen gleich wieder mit seiner Bloody Mary verarzten.

Um elf Uhr sind alle Plätze besetzt. Wenn Bourbon von Tisch zu Tisch geht, um die Bestellungen aufzunehmen, empfiehlt er stets seine Bloody Mary. „Probably the best in town“, steht auf einer Tafel vor seinem Laden. Die Beste, das wäre anmaßend, findet er. Die Expats muss er nicht lang überzeugen, da hat der Boozy Brunch Tradition. Mittlerweile trauen sich auch die Deutschen ran. Nach Craft Beer, Naturwein und Filterkaffee der nächste Getränketrend, den die vielen neuen „Berliners“ in die Stadt bringen.

Koriander, Limette, Knoblauch und Jalapeños kommen in den Tomatesaft

Die Bloody Mary gehört zu den sogenannten savoury drinks, den herzhaften Cocktails. In der angelsächsischen Welt sind sie Klassiker, in Deutschland bisher eher eine Rarität. In der Victoria Bar etwa, erzählt Stefan Weber, der dort in der monatlichen Schule der Trunkenheit unterrichtet, wird sie fast jeden Tag mal bestellt, ein Bestseller sei sie nicht. Doch seit sich die Barwelt der Küche annähert und Säfte selbst macht, viel Gemüse und Kräuter verwendet, steige das Interesse an den herzhaften Drinks.

Das sieht man in den vielen neuen Bars und Cafés, die sich auf den Wochenend-Brunch spezialisiert haben. Eine originelle Bloody Mary gehört da zum guten Ton. Im The Store Kitchen, unten im Soho House, mischen sie den Tomatensaft mit Tomatenpüree, schärfen die Sache mit selbst fermentiertem Chili und als Extra gibt es handgemörserten, grobkörnigen Pfeffer darüber.

Little Joy, eine mobile Küchencrew, die wie eine Rockband durch die Cafés und Kneipen tourt, mixt eine eigene Gewürzmischung und serviert den Drink mit selbsteingelegten Pickles. Im California Breakfast Slam, der auch als mobiles Konzept gestartet ist, seit zwei Jahren aber in einer alten Neuköllner Eckkneipe eine feste Bleibe hat, gibt es eine ganze Karte mit Frühstücksdrinks. Die ziemlich scharfe Bloody Mary bekommt man im Bierglas, als Upgrade kann man eine Scheibe krossen Speck am Spieß dazu bestellen. Im Halleschen Haus, einer Hochburg des Hipsterfrühstücks, kommen Koriander, Limette, Zwiebel, Knoblauch und geräucherte, marinierte Jalapeños in den Tomatensaft.

Es gibt wenige Drinks mit so vielen Varianten in aller Welt

Man kann die Sache aber noch viel weiter treiben. Mario Grünenfelder, als Berater für viele Barkonzepte in Berlin und anderswo verantwortlich, hat sich eine weiße Variante ausgedacht. Dazu passiert er frische Tomaten, lässt die Flüssigkeit durch ein Tuch abtropfen und mischt dieses klare Tomatenwasser mit Crème fraîche, weißem Pfeffer und Wodka.

Und das ist nur Berlin. Es gibt wenige Drinks mit so vielen Varianten in aller Welt. Aus Kanada stammt der Bloody Caesar, mit Clamato, einem Mix aus Tomatensaft und Venusmuschelbrühe. In Japan beliebt: der Bloody Tokyo mit Sake. In die Bloody Maria kommt Tequila, in den Bloody Scotsman Scotch, in die Bloody Fairy Absinth. In Eckkneipen aller Art gerade äußerst beliebt: der Mexikaner. Für diesen Kurzen, erdacht in St. Pauli, kippt man Korn in den Saft.

Die klassische Garnitur ist eine Stange Staudensellerie, aber darum, wer die schrägsten und meisten Beilagen auf das Glas stapeln kann, tobt in den sozialen Netzwerken ein Wettkampf. Allan Bourbon aus dem ABC hat’s lieber schlicht. Er optimiert das Grundrezept, mixt seine Bloody Mary mit Wodka, den er mit einer Infusion aus Rosmarin, Chili und Knoblauch aromatisiert. Ansonsten: wenig Eis, viel Zitrone und extrem viel Worcestershiresauce. Staudensellerie lässt er weg. „Mag ich nicht.“ Seine Variante ist extrem stark und sollte wohl Tote zum Leben erwecken können. Oder Halbtote gnädig in den Mittagsschlaf befördern.

Bloody Mary gibt es in vielen Varianten. Die klassische Garnitur ist eine Stange Staudensellerie.
Bloody Mary gibt es in vielen Varianten. Die klassische Garnitur ist eine Stange Staudensellerie.

© imago

Was gegen einen Kater hilft, war immer schon Stoff für Mythen

Wem es absurd vorkommt, schon morgens mit dem Trinken anzufangen, den mag ein Blick in die Geschichte der Cocktails überraschen. Die wurden im 18. Jahrhundert als Muntermacher nach dem Aufstehen erfunden. Auch, um den Kater zu vertreiben. Das jedenfalls hat der Cocktail-Historiker David Wondrich erforscht, der die Bloody Mary mit einem Teelöffel geriebenem Meerrettich empfiehlt.

Warum ihr der merkwürdige Ruf eines Kater-Killers vorauseilt, auch dafür hat Wondrich eine Theorie. Es hängt wohl mit dem Tomatensaft zusammen. Seit es Dosentomaten gibt – etwa seit 1900 – wurde ihr Saft getrunken, um dem Hangover den Garaus zu machen. Daraus entwickelte sich die Idee zum Tomatensaft. Während der Prohibition kursierte das Rezept des Tomato Juice Cocktails, in dem alle Bestandteile der Bloody Mary waren. Außer Alkohol. Wer heimlich eine Hausbar hatte, mogelte Gin hinein (diese Variante heißt heute Red Snapper). Wodka nämlich wurde erst in den 1930er Jahren durch die russischen Einwanderer in den USA bekannt. Heute gilt die Bloody Mary nach dem Martini als Nummer zwei im Ranking der meistgetrunkenen Cocktails.

Rollmops, Gurkenwasser, fette Salami – was gegen einen Kater hilft, war immer schon Stoff für Mythen. Auf die Hilfe der Wissenschaft kann der arme Zecher nicht hoffen. Denn die Vaisalgia, wie der Kater medizinisch heißt, ist weit schlechter erforscht als die Wirkung von Alkohol oder deren Langzeitfolgen, erklärt Manfred Singer von der Stiftung Biomedizinische Alkoholforschung. Die Gründe dafür sind mannigfaltig. Einerseits sind die Symptome komplex, andererseits wird er wohl nicht so richtig ernst genommen. Er geht ja eh vorbei. Irgendwann jedenfalls. Bis dahin quält er nicht nur den Trinker, sondern auch die Volkswirtschaft: 2000 Dollar Schaden pro Arbeitnehmer soll er in den USA jährlich anrichten. Immerhin eins ist widerlegt: Dass er eine Entzugserscheinung von Alkohol sei. Unsinn ist natürlich auch die Vorstellung, man könne die Folgen von Alkohol mit noch mehr Alkohol bekämpfen.

Wenn man das schon versuche, dann sollte man die Bloody Mary mit Rote-Bete-Saft trinken, empfehlen die Hemsley Schwestern, angesagte Kochbuchautorinnen. Als Blutreiniger helfe er dem Körper bei der Entgiftung. Die Säure des Tomatensafts dagegen würde den vom Alkohol übersäuerten Magen nur noch weiter strapazieren.

Felix Denk

Zur Startseite