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Joe Biden und Kamala Harris mit corona-konformer Begrüßung.

© picture alliance/Andrew Harnik/AP/dpa

Amerika hat gewählt: Das mächtigste Duo der Welt

Joe Biden allein kann es nicht schaffen, das Land zu einen. Kamala Harris auch nicht. Die USA brauchen sie jetzt als Team. Porträt eines gegensätzlichen Paares.

Am Vorabend seines größten Triumphs, wenige Stunden, bevor die US-Medien ihn zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklären, macht Joe Biden klar, was sich nun ändern soll. In seiner Rede, die eigentlich als Siegesansprache auf dem Parkplatz vor dem Kongresszentrum in seinem Heimatort Wilmington in Delaware am Freitagabend geplant war, benutzt er nicht ein einziges Mal das Wort „ich“. Stattdessen sagt er: „Wir werden dieses Rennen mit einer klaren Mehrheit und der Nation hinter uns gewinnen.“ Und: „Wir haben ein Mandat.“

„Wir“, das sind Kamala Harris und er, die 56-jährige schwarze Senatorin aus Kalifornien, mit der er als „running mate“ in die Schlacht gezogen ist. So oft sagt Biden „wir“ in diesen vielleicht zehn Minuten, dass wenig Zweifel daran bleibt, dass er sich nicht nur vom „Narzissten-in-Chief“, Donald Trump, unterscheiden will, sondern dass er ihre gemeinsame Präsidentschaftskandidatur, die eine historische war, als Auftakt für ein Miteinander der besonderen Art empfindet.

Ähnlich der Partnerschaft, die der erste schwarze Präsident Barack Obama und er acht Jahre lang im Weißen Haus hatten. Obama nennt seinen einstigen Vizepräsidenten heute „Freund“ und „Bruder“, und sagt, dass Biden ihn zu einem besseren Präsidenten gemacht habe.

Kann Harris Biden zu einem besseren Präsidenten machen?

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Zusammen stehen sie für einen großen Teil Amerikas: Er, der 77-jährige weiße Mann, geboren im „Rust Belt“-Staat Pennsylvania als Sohn eines Autohändlers und mit Jahrzehnten Washington-Erfahrung. Sie, die gut 20 Jahre jüngere Kalifornierin, Tochter einer aus Indien eingewanderten Brustkrebsspezialistin und eines aus Jamaika stammenden Wirtschaftsprofessors der Stanford University.

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Harris ergänzt Biden. Nicht nur politisch. Das hat viel mit ihrer Lebensfreude zu tun. Als Biden am Morgen des 11. August bei Kamala Harris anruft, um ihr nach langen Wochen seine Entscheidung mitzuteilen, tut er dies, so wird berichtet, mit den Worten: „Bist du bereit, mit der Arbeit anzufangen?“ Nach mehreren „Oh, mein Gott“-Ausrufen sagt sie: „Ich bin sowas von bereit, loszulegen.“

Mit ihr glaubte er wirklich, dass er es schaffen kann

Sie wollte dieses Amt unbedingt. Wie sehr, sah man in den Auftritten danach, als sie aus dem Strahlen gar nicht mehr herauskam. Ihre tiefe Freude war so ansteckend, dass man den Eindruck bekommen konnte, auch Biden sei wie ausgewechselt. Er wirkte sicherer, ruhiger. Als würde er nun selbst wieder daran glauben, mit seinem dritten Anlauf diesmal wirklich ins Weiße Haus einzuziehen.

Nun hat er es geschafft. Und will ein Präsident aller Amerikaner sein. Zumindest waren das seine ersten Worte, nachdem ihn der Sender CNN und die Nachrichtenagentur AP am Samstagmittag endlich zum President-elect, also zum gewählten, aber noch nicht vereidigten Präsidenten erklärt hatten. Kamala Harris kann ihm dabei helfen.

Die Hoffnung ist zurückgekehrt

Was das bewirken kann, ließ sich am Samstagmittag in Washington D.C. beobachten, als Menschen zu Tausenden auf den Straßen feierten. Seit Monaten lähmen die Folgen der „Black Lives Matter“-Proteste die gut zur Hälfte von Afroamerikanern bewohnte Stadt. Auf einmal ist Hoffnung zurückgekehrt, dass sich nun etwas ändern könnte.

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Wie viele schwarze Mädchen werden wohl in Zukunft erzählen, was ihnen der Moment bedeutete, als „eine wie sie“ ins Weiße Haus einzog? Wie viele junge Afroamerikaner, die immer wieder über Alltagsdiskriminierung und tiefverankerten Rassismus in der US-amerikanischen Gesellschaft klagen, werden sagen, dass sie an diesem Tag wieder Hoffnung schöpften – nach vier Jahren Wut und Verzweiflung?

Er hat gewonnen, weil er verzeihen kann

Als Joe Biden in den demokratischen Vorwahlen schwächelte, waren es die schwarzen Wähler in South Carolina, die ihn zum Sieg trugen. Er hat es ihnen vergolten, als er Kamala Harris an seine Seite holte. Nicht jeder hatte das nach dem Vorwahlkampf zwischen den beiden erwartet. Vielleicht hat sich Joe Biden den Triumph seines Lebens selbst ermöglicht, weil er verzeihen kann.

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Über die Auswahl der richtigen Vizepräsidentschaftskandidaten gibt es viele Theorien, eine davon lautet: Do no harm, richte keinen Schaden an. Wer an der Seite eines Präsidentschaftskandidaten in den US-Wahlkampf zieht, ist in der Regel weniger wichtig, als es das wochenlange aufregende Ratespiel um diese Personalie glauben macht. Wichtig ist, dass der oder die Betreffende nicht vom Kern der Kampagne ablenkt oder gar Probleme schafft – wie es nicht laufen sollte, hat Sarah Palin 2008 an der Seite von John McCain gezeigt.

Sie stellte ihn nicht in den Schatten

Dass sie keinen Schaden angerichtet hat, diese Mindestanforderung trifft auf Kamala Harris zu. Die Senatorin aus Kalifornien, die Barack Obama einmal als „bestaussehende Staatsanwältin Amerikas“ bezeichnet hatte, hat auch nicht, was manche befürchtet (oder gehofft?) hatten, den Hauptkandidaten in den Schatten gestellt, hat sich nicht als frischere Alternative inszeniert. Darauf wird das Biden-Team allerdings auch größten Wert gelegt haben.

Joe Biden und Kamala Harris stehen vor der größten Herausforderung ihres Lebens.
Joe Biden und Kamala Harris stehen vor der größten Herausforderung ihres Lebens.

© dpa

Als die für ihre Schlagfertigkeit bekannte ehemalige Staatsanwältin bei ihren Auftritten, die wie die Bidens coronabedingt nur im sehr kleinen Kreis und häufiger virtuell als in Person stattfinden konnten, keine großen Schlagzeilen provozierte, hieß es, sie sei eine Enttäuschung. Das Gegenteil ist wohl wahr. Und Kamala Harris hatte das verstanden.

Ungeheuerliche Selbstsicherheit

Vielleicht die größte Leistung war ihre Charme-Attacke in der Fernsehddebatte mit Mike Pence. Als der Vizepräsident, der an der Seite von Donald Trump vier weitere Jahre regieren wollte, sie mit Unterbrechungen aus dem Konzept zu bringen versucht, wendet sie sich ein ums andere Mal lächelnd an ihn und sagt immer wieder nur das: „Mr. Vice President, I am speaking.“ Jetzt spreche ich.

[Mehr zum Thema: Joe Biden und Kamala Harris - zwei, nach denen sich auch viele Deutsche sehnen]

Die ungeheuerliche Selbstsicherheit, das macht sie – die Tochter zweier Einwanderer – so besonders. Sie reagiert nicht genervt, sie zeigt keinen Ärger über sein rüpelhaftes Benehmen. Sie weiß, sie darf nicht in die Falle tappen und nachher als „angry black woman“ dastehen. Harris kennt den zugrundeliegenden Rassismus in der amerikanischen Gesellschaft genau, der etwa die ehemalige First Lady Michelle Obama tief verletzt hatte. Sie hat ihn selbst oft genug erlebt.

Das Rassismus-Thema als Waffe

Das Thema Rassismus weiß sie auch als Waffe zu nutzen. Zu spüren bekommen hat das ausgerechnet Joe Biden. In der TV-Debatte der demokratischen Präsidentschaftsbewerber warf sie dem damaligen Favoriten vor, in den 1970er Jahren gegen die Praxis gewesen zu sein, Kinder mit Bussen zu Schulen in anderen Bezirken zu fahren – was vor allem der Integration schwarzer Schüler in den USA dienen sollte. Dies sei eine Entscheidung gewesen, die ein kleines Mädchen in Kalifornien verletzt habe: „Dieses kleine Mädchen war ich“, sagte Harris.

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Man sah Biden an, wie sehr ihn diese Attacke verletzt hatte: Ausgerechnet sie, die enge Freundin seines verstorbenen Sohns Beau Biden, die es besser wissen musste, warf ihm, dem treuen Stellvertreter des ersten schwarzen Präsidenten Rassismus vor. Ungläubig starrte er sie an – und schaffte es nicht, sich zu verteidigen.

Genutzt hat es Kamala Harris nicht viel, vielleicht hat auch ihre Beliebtheit unter dieser Attacke gelitten, zumindest dümpelten ihre Umfragewerte im Vorwahlkampf weiter vor sich hin, im Dezember 2019 zog sie sich dann aus dem Rennen zurück.

Dass Biden ihr diesen Schlag verziehen hat, ist ein Zeichen seiner Stärke.

Sie ist so oft in ihrem Leben die Erste gewesen

Nun ziehen sie zusammen ins Weiße Haus ein: der bald 78-jährige Politikveteran, der durch seine Jahrzehnte im Kongress und acht Jahre Vizepräsidentschaft mehr über die Tücken von Washington weiß als die meisten anderen aktiven Politiker, und sie, die 56-Jährige, die erst seit 2017 im Senat sitzt, aber so oft in ihrem Leben die Erste gewesen ist.

Sie war die erste Frau an der Spitze der Bezirksstaatsanwaltschaft von San Francisco, die erste Justizministerin Kaliforniens, die erste schwarze Senatorin Kaliforniens in Washington. Nun ist sie die erste Vizepräsidentin, die erste Afroamerikanerin auf dieser Position und die erste mit indischen Wurzeln. Und: Sie hat nicht die schlechtesten Chancen, auch die erste Präsidentin zu werden.

Denn Joe Biden, der mit 29 Jahren einst der jüngste Senator im US-Kongress war, wird am 20. Januar 2021 der älteste Mensch sein, der auf den weißen Marmorstufen vor dem Kapitol des Weißen Hauses als Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt wird.

Kampf um die Seele der Nation

Als wahrscheinlich gilt, dass er, der sich selbst als Brückenbauer zur nächsten Generation bezeichnet hat, nur eine Amtszeit absolvieren wird. Dann wäre Harris in einer guten Startposition, um noch einmal Geschichte zu schreiben. Dazu passt, dass kurz nachdem Joe Biden am Freitagmorgen in Pennsylvania die Führung übernommen hatte, viele in Washington Tweets absetzten, die ungefähr so lauteten: Kamala Harris ist die erste weibliche Vice President-elect, also die erste gewählte Vizepräsidentin. Bidens Sieg ist auch ihr Sieg.

Von Anfang hat hat Biden in seiner Wahlkampagne gesagt, dass es dieses Mal um „die Seele der Nation“ gehe. Harris benutzt am Samstag genau diese Worte, als sie sich erstmals nach der Verkündung ihres Triumphs auf Twitter zu Wort meldet. „Bei dieser Wahl geht es um so viel mehr als um Joe Biden und mich. Es geht um die Seele Amerikas und unsere Bereitschaft, dafür zu kämpfen“, schreibt sie.

Kämpfen werden sie müssen. Denn der unterlegene Donald Trump macht nicht den Anschein, als ob er schnell aufgeben wolle. Und die vielen Millionen Wähler, die ihn im Amt bestätigen wollten, werden nicht einfach verschwinden oder bekehrt werden. Viele von ihnen lehnen das, was das liberale Washington in diesen Stunden feiert, aus vollem Herzen ab.

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Trotzdem ist sie auf einmal wieder da, die Idee, dass die Vereinigten Staaten wieder ein Vorbild für die Welt sein könnten.

Um aus dieser Hoffnung Realität zu machen, muss die Biden-Harris-Präsidentschaft allerdings erstmal ein Erfolg werden. Die Herausforderungen sind gigantisch, ohnehin schon, aber nach vier Jahren Trump und mitten in einer Pandemie scheinen sie übergroß. Biden und Harris – wenn dann können sie es nur gemeinsam schaffen.

Dass sie miteinander auskommen werden gilt als sicher. Über Biden sagt – außer die Anhänger von Donald Trump – eigentlich kaum einer etwas Böses. Kritik erschöpft sich darin, dass er zu lange rede, und auch nicht besonders gut. Dass er es allen recht machen wolle. Dass er zu emotional sei. Kritikpunkte, die andere wiederum zu seinem Vorteil auslegen.

Joe Biden ist vom Leben geprüft. Mit 29 hat er seine erste Frau und seine Tochter bei einem Autounfall verloren, den Amtseid als frisch gewählter Senator legte der Witwer am Krankenbett seiner zwei ebenfalls verletzten Söhne ab, vor fünf Jahren starb dann der Älteste, Beau Biden. Der nächste Präsident der USA hat einen Sinn für das Leiden anderer. Seine Empathiefähigkeit ist eines der meistgenannten Charaktermerkmale Bidens. Und dass er anständig sei, normal, nahbar.

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Das sagen Freunde von Kamala Harris auch über sie. Einer, der sie lange kennt, sagt, jeder wolle ihre beste Freundin sein, ihr Lachen sei so ansteckend.

In einem Video, das sich am Samstag rasch im Internet verbreitet, steht sie in einem Park in Laufkleidung. Sie war gerade joggen, als sie die Nachricht erreicht. Sie ruft Joe Biden an und sagt: „Wir haben es geschafft, wir haben es geschafft. Du bist der nächste Präsident der Vereinigten Staaten.“ Dann lacht sie so herzhaft ins Telefon, dass man sich gut vorstellen kann, wie Joe Biden am anderen Ende der Leitung mitlachen muss.

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