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Alternative Ressourcen: „Wir müssen weg von der Rohöl-Monokultur“

Ein „neues Öl“ wird es nicht geben. Doch woran arbeitet die Wissenschaft, um den Rohstoff zu ersetzen?

Was haben Plastikflaschen, Fahrradhelme, Zahnpasta, Farben, Notebooks, Autoarmaturen und Medikamente gemeinsam? Sie bestehen zu einem großen Prozentsatz aus sogenanntem schnittfesten Rohöl. Für die Herstellung dieser Produkte greift die Industrie auf einen ziemlich kleinen Baukasten aus Vorläufersubstanzen zurück, die unmittelbar aus der Erdölchemie stammen.

Im Jahr 2018 wurden allein in Deutschland 113 Millionen Tonnen Rohöl verbraucht, rund 1,25 Tonnen Erdöl pro Einwohner. Dabei verwenden wir laut Zahlen des Mineralölwirtschaftsverbandes nur rund 20 Prozent des Öls als Ausgangsbasis für Produkte der chemischen Industrie. Allein 60 Prozent des Öls verbrennen wir: In Form von Diesel, Benzin, Kerosin oder auch Flüssiggas. Weitere 20 Prozent nutzen wir zum Heizen.

Für die unterschiedlichen Anwendungen müssen unterschiedliche Lösungen gefunden werden

Nicht erst seit der Fridays for Future-Bewegung wird gefordert, den Verbrauch von fossilen Rohstoffen wie Erdöl, Erdgas oder Kohle zurückzufahren. Die Allgegenwertigkeit von Öl in unserem Alltag macht deutlich: Es wird nicht die eine Lösung für alle Anwendungen geben: „Wir müssen wegkommen von der Rohöl-Monokultur, mit der wir heute die Bedürfnisse nach Mobilität, Energie und chemischen Werkstoffen befriedigen“, so Reinhard Schomäcker, Professor für Reaktionstechnik an der TU Berlin: „Für die unterschiedlichen Anwendungen müssen unterschiedliche Lösungen gefunden werden. Energiewende und Rohstoffwende können nur zusammen gedacht werden.“

Hier ist vor allem die Wissenschaft gefordert, neue Energie- und Rohstoffquellen als Alternativen aufzuzeigen. Dementsprechend breit aufgestellt hat sich die Forschung an der TU Berlin: Von der Grundlagenforschung bis zur Anwendung haben sich viele Wissenschaftler*innen die Schonung der natürlichen Ressourcen auf die Fahnen geschrieben.

„Aus zehn bis 20 Bestandteilen des Rohöls stellt die Werkstoffchemie fast alle benötigten Kohlenwasserstoff-Materialien her“, weiß Reinhard Schomäcker. Diese durch andere, nicht Rohöl-basierte Substanzen – zum Beispiel Biomasse – zu ersetzen, „ist theoretisch möglich“, so der Forscher. Alle Produkte, die heute aus fossilen Rohstoffen hergestellt werden, lassen sich potenziell auch aus Biomasse herstellen.

Ein problem der Biomasse - sie ist nass

Letztlich war Rohöl vor vielen Jahren auch Biomasse. Die Frage ist nur, mit welchem Aufwand und damit auch zu welchen Kosten. „Wir arbeiten heute nicht zuletzt mit Erdöl, weil während der Jahrmillionen, in denen die Mineralisierung stattfand, bereits viele Bearbeitungsschritte vorweggenommen wurden: Ein Problem der Biomasse – sie ist nass. In den fossilen Rohstoffen wurde nicht nur das Wasser weitgehend entfernt, sondern auch sogenannte Hetero-Atome wie Stickstoff oder Schwefel. Das macht die Weiterverarbeitung deutlich einfacher als die von Biomasse.“

Genau hier setzt der Sonderforschungsbereich InPROMPT an, der bei Prof. Dr. Matthias Kraume, Fachgebiet Verfahrenstechnik, beheimatet ist: „Wir beschäftigen uns damit, wie langkettige Kohlenwasserstoffe aus Biomasse möglichst unmittelbar in gängige Prozessketten der chemischen Industrie eingebunden werden können, ohne diese vorab aufwändig um- und aufzuarbeiten. Dazu entwickeln wir flüssige Mehrphasensysteme von der Miniplant bis zur Ausarbeitung großtechnischer Prozesskonzepte.“

Neben den Ingenieuren sind auch die Mitarbeiter*innen von Reinhard Schomäcker an der Herstellung von sogenannten Plattformchemikalien – Vorläuferprodukten für die Chemie-Industrie – beteiligt. „Wir erforschen neben biobasierten Rohstoffen aber auch die oxidative Kopplung von Methan, einem reaktionsträgen Bestandteil von Erdgas, um daraus den wertvollen Grundstoff Ethylen herzustellen, der bislang aus Erdöl gewonnen werden muss“, so Reinhard Schomäcker.

Mobilität als wichtiger Faktor der Rohstoff- und Energiewende

Neben der chemischen Industrie ist Mobilität ein wichtiger Faktor der Rohstoff- und Energiewende. Elektromobilität benötigt vor allem saubere und effiziente Möglichkeiten zur Energiespeicherung und zur Energieumwandlung. „Erneuerbare Elektrizität aus Sonne oder Wind ist heute noch nicht grundlastfähig, kann die konstante Hauptlast des deutschen Elektrizitätsbedarfs aufgrund des schwankenden Anfalles und Verbrauchs nicht abdecken“, weiß Prof. Dr. Peter Strasser, Professor für Technische Chemie an der TU Berlin. „Wir benötigen zum einen effizientere Batterien, um die überschüssige Energie kurzfristig zu speichern.“ Für die langfristige Speicherung eignet sich die chemische Energiespeicherung in Form von flüssigen oder gasförmigen Molekülen.

Hochgehandelt wird in diesem Ansatz der Wasserstoff. Dabei wird Wasser mittels Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten. In einer gekoppelten Brennstoffzelle kann die elektrische Energie aus dem Wasserstoff durch eine direkte elektrochemische Umsetzung ohne Verbrennung wieder freigesetzt werden. Die Technologie existiert im Pilotanlagenmaßstab, aber: „Benötigt wird eine großformatige Wasserelektrolyse im Bereich von Gigawatt, kombiniert mit Brennstoffzelltechnologie“, erläutert Peter Strasser.

Der Wissenschaftler und sein Team befassen sich aktuell unter anderem mit dem Einsatz seltener Metalle im Rahmen dieser Technologien: „In den Wasserstoffbrennstoffzellen wird Platin als Katalysator eingesetzt, in den modernen Wasserelektrolyseuren Iridium - das seltenste Metall der Erde. Geht man von einer Installation von Wasserelektrolyseuren im Gigawatt-Bereich aus, könnte der Preis von Iridium explodieren. Im Rahmen unserer Forschung suchen wir nach Strategien, um den Einsatz dieser Metalle zu reduzieren oder ganz zu vermeiden und parallel die Effizienz der Prozesse zu optimieren.“

Biogas als Alternative?

Biogas-Anlagen sind ebenfalls in der Diskussion als Lieferanten regenerativer Energie und haben einen wesentlichen Vorteil: Ihre Substrate sind lagerfähig. „Dies ermöglicht eine von Umwelteinflüssen unabhängige grundlastfähige Energieproduktion“, so Matthias Kraume. Aktuell stellt Biomasse rund die Hälfte aller erneuerbaren Energien in Deutschland bereit. „Sinnvoll wäre es, die Erzeugung von Energie aus Biogas flexibel an die Wetterbedingungen anzupassen. Wir erforschen unter anderem, wie sich die hochsensible mikrobielle Lebensgemeinschaft der Biogasanlagen auf variable Produktionsbedingungen anpassen lässt“, so der Verfahrenstechniker.

Neue Forschungsergebnisse müssen sinnvoll in bestehende Strukturen eingebettet werden, wenn sie in die Anwendung gehen sollen. Diese Thematik der Energie- und Rohstoffwende bearbeiten die Wissenschaftler*innen des Energie- und Ressourcenmanagements der TU Berlin. „Im Rahmen des großen interdisziplinären Kopernikusprojektes Energiewende Navigationssystem (ENavi) geht es um die Auswirkungen der Energiewende auf die Gasversorgung. Wie kann man zum Beispiel Erdgas durch Biogas ersetzen, welchen Beitrag kann die bestehende Infrastruktur leisten oder welche neue wird benötigt?“, so Prof. Dr. Joachim Müller-Kirchenbauer von der TU Berlin. In einem zweiten Teilprojekt haben die Wissenschaftler*innen analysiert, wie die Energiewende die Struktur der Energiebranche verändert.

Katharina Jung

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