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Römisches Lebensgefühl. Annette Schavan hat sich eine Vespa angeschafft. Manchmal fährt die Botschafterin mit dem Roller auch zum Petersplatz.

© Laurence Chaperon

Politik und Kirche: Merkels Frau in Rom

Ex-Bildungsministerin Annette Schavan vertritt Deutschland als Botschafterin beim Heiligen Stuhl. Die Vertraute der Kanzlerin sieht sich als Vermittlerin zwischen Politik und Religion. Ein Besuch.

Es ist der 3. Oktober, Tag der Deutschen Einheit. In Rom scheint die Sonne sommerlich heiß. Es gibt keine pöbelnde Pegida. Deutschland ist weit weg. Im weitläufigen Garten der Deutschen Botschaft beim Heiligen Stuhl treffen sich an diesem Mittag Diplomaten und Kardinäle, Wissenschaftlerinnen und Kulturschaffende, Priester, Nonnen und Mönche zum Smalltalk auf hohem Niveau. Der Vorsitzende der italienischen Bischofskonferenz ist da, sogar der geschasste Limburger Bischof und Neu-Römer Franz-Peter Tebartz-van Elst ist gekommen, braun gebrannt, mit Bart und gut gelaunt. Unter altehrwürdigen Zypressen und Pinien gibt es italienische Vorspeisen, Weißwürste und Weißbier. Die Band spielt Dixieland.

Annette Schavan hat eingeladen, die lang gediente CDU-Politikerin, die Merkel-Vertraute und Ex-Bundesbildungsministerin, die über fehlende Fußnoten in der Doktorarbeit gestolpert ist. Im Juni 2014 hielt Schavan ihre letzte Rede im Bundestag, zwei Wochen später zog sie nach Rom – als Vertreterin der Bundesrepublik beim Heiligen Stuhl. Sie ist jetzt 61 Jahre alt, sieht aus wie immer, mütterlich streng und ein bisschen rundlich, nur dass die Haare nicht mehr blond sind, sondern grau. Zur schwarzen Hose trägt sie einen dieser Longblazer, die Politikerinnen gerne tragen; zur Feier des Tages einen mit schwarz-beigen Streifen.

Irritationen und Aufbrüche sind ihre Thema

Europa steht in einer Bewährungsprobe, Menschen sind verunsichert, sagt sie und greift das Rednerpult im Garten mit beiden Händen. „Vielleicht auch deshalb, weil sie sich ihrer eigenen Quellen nicht mehr vergewissern?“ Für die rheinische Katholikin ist eine wichtige Quelle das Christentum – „eine Kraft zur Erneuerung aus der Liebe und Vergebung“. Wer davon überzeugt sei, könne Flüchtlingen mit Würde und Respekt begegnen. Wer davon überzeugt sei, könne „Irritationen als Chance zu neuer Stärke annehmen und Aufbrüche wagen“.

Das mit den „Irritationen“ hat Schavan nicht nur so dahin gesagt. „Irritationen“ und Aufbrüche sind ihr Thema: persönlich, politisch und kirchlich. Oft geht es dabei um Religion. Als baden-württembergische Kultusministerin irritierte sie viele mit ihrem Kopftuchverbot für Lehrerinnen. 2011 waren viele auch in ihrer eigenen Partei irritiert, als sie als Bundesbildungsministerin durchsetzte, dass Islamische Theologie an deutschen Universitäten Einzug hält.

Vor zwei Jahren kam ihre ganz persönliche Irritation dazu: Die Universität Düsseldorf entzog ihr den Doktortitel wegen „systematischer und vorsätzlicher Täuschung“. Sie trat von allen politischen Ämtern zurück. „Ich habe einen Prozess des Loslassens und Abschiednehmens hinter mir. Das gehört zu den anstrengendsten Prozessen, die man machen kann“, sagt sie heute. Man merkt: Der Sturz hat sie ins Innerste getroffen. Sie sagt: „Hätte ich nicht einen festen Glauben an Gott – ich weiß nicht, wie das ausgegangen wäre.“

Jeden Morgen liest sie den Pressespiegel

Die Politik treibt sie nach wie vor um, sie steht auch in engem Kontakt mit ihren früheren Kollegen. Viele kommen nach Rom zur Papstaudienz. Sie liest wie früher jeden Morgen den Pressespiegel. Aber um neun Uhr ist Schluss, da ist sie eisern, auch wenn sie sich über das Gelesene aufregt. Sie müsse sich ja keine Gedanken mehr machen, ob sie etwas kommentieren soll. Und wie oft spricht sie mit der Kanzlerin? „Botschafter schweigen in sechs Sprachen“, sagt Schavan und zwinkert einem zu, wie sie es tut, wenn sie nichts weiter sagen will.

Sie erzählt das alles am Tag nach dem Empfang. Der Garten ist aufgeräumt und strahlt frisch in der Vormittagssonne. Die Botschaftsresidenz wurde in den 1980er Jahren gebaut und erinnert mit ihren hohen Außenmauern aus terrakottafarbenen Ziegeln, den stilisierten Türmen und Zinnen an eine toskanische Burg. Schavan wohnt oben, unten empfängt sie Gäste, und noch eine Etage tiefer liegen die Kanzleiräume, wo 20 Mitarbeiter beschäftigt sind.

Im „Kardinalszimmer“ im Erdgeschoss dampfen zwei Tässchen Espresso. Über der beigen Sitzgruppe hängt eine romantische Flusslandschaft aus dem 19. Jahrhundert. Im Hintergrund thront die Engelsburg, vorne zieht gemächlich der Tiber dahin. „Der Vatikan denkt in langen Linien“, sagt Schavan, „das färbt ab.“ Manchmal möchte sie ihren Berliner Kollegen zurufen: Macht nicht so schnell, versucht doch erst mal zu verstehen!

„Die Botschafterin pflegt die diplomatischen Beziehungen der Bundesrepublik zum Heiligen Stuhl“, steht auf der Internetseite. Schavan vermittelt bei politischen und gesellschaftlichen Fragen, begleitet Gäste aus Deutschland in den Vatikan und organisiert Treffen des päpstlichen Außenministers mit Politikern in Berlin. Sie hat ihre Residenz zu einem Ort der Debatten gemacht, zu einem kleinen Thinktank. Wie verändern die Migrationsströme Deutschland und Europa? Wie können die Flüchtlinge integriert werden und welche Rolle spielen die Religionen dabei? Das sind Fragen, die Papst Franziskus ebenso umtreiben wie die Bundeskanzlerin und ihre Botschafterin.

Ihre Botschaftsvilla ist eine Art Thinktank

Regelmäßig lädt sie Gäste aus Politik, Kultur und Kirche zu „Abendgesprächen“ ein. Im hohen Empfangssaal mit den riesigen Gobelins aus dem 18. Jahrhundert diskutierten Kurienkardinal Walter Kasper und der islamische Theologe Mouhanad Khorchide über Barmherzigkeit. Erzbischof Georg Gänswein debattierte mit dem Publizisten Navid Kermani über Religion und Kultur. Kardinal Gerhard Ludwig Müller, der Chef der Glaubenskongregation, lotete mit dem Maler Michael Triegel die Grenzen von Theologie und Ästhetik aus. Schavan hat eingefädelt, dass Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe an der Jesuitenuniversität Gregoriana über Sterbehilfe spricht; bei Schavan kommen sich hochrangige Katholiken und Protestanten näher. Und auch Martin Schulz und Jean-Claude Juncker, EU-Parlamentspräsident der eine, EU-Kommissionspräsident der andere, verstanden sich auf ihrem Sofa prächtig.

„Und dann gibt es noch die klassische Übersetzungsarbeit“, sagt Schavan und erzählt von Franziskus und seinem Satz: „Diese Wirtschaft tötet.“ „Auf den Kapitalismus in Argentinien trifft das wohl zu“, sagt Schavan, „aber doch nicht für den schwäbischen Familienunternehmer!“ Also organisierte sie in Rom einen Kongress zur sozialen Marktwirtschaft. Kardinal Peter Turkson, Franziskus’ Minister für Gerechtigkeit und Frieden, hörte aufmerksam zu. Neulich sagte der Papst in einer Rede: „Wir müssen die soziale Marktwirtschaft stärken.“

In Schavans Garten plaudert es sich lockerer als zuhause

Schavan betet morgens und abends, sie war jahrelang im Zentralkomitee der deutschen Katholiken und hat sich mit ihrer Kirche angelegt, gern und oft mit Joseph Ratzinger. Als Botschafterin hält sie Kontakt zu den Liberalen und zu den Konservativen, zu Franziskus’ Freunden und zu seinen Gegnern. „Es werden alle eingeladen – von den Jesuiten bis zum Opus Dei. Als Botschafterin kann ich mich nicht auf eine Seite schlagen“, sagt sie.

Hier oben auf dem Hügel Parioli, zwischen Villen und Parks, unter dem tiefblauen Himmel des Südens, verblassen die Animositäten sowieso. Das schätzen auch die Politiker und Bischöfe aus Deutschland. Bei Schavan im Garten plaudert es sich lockerer als zu Hause, und der Kopf ist freier für neue Ideen. Auch Angela Merkel war schon zweimal hier, seitdem ihre Freundin Botschafterin ist.

„Schavan macht ihre Sache super“, sagt Bernd Hagenkord, der die deutsche Sektion bei Radio Vatikan leitet. „Und sie kriegt sie alle“, die wichtigen Gesprächspartner im Vatikan und die aus Deutschland. Denn alle wissen: Die Frau Botschafterin hat die Handynummer der Bundeskanzlerin.

Schavan ist überzeugt, dass Deutschland an den Veränderungen wachsen wird. Die Hysterie, von der sie im Pressespiegel liest, könne sie nicht recht nachvollziehen. Ja, es gebe welche in ihrer Generation, die hätten ein gutes Leben und wollten keine Veränderung. „Da sind vernünftige Leute drunter“, sagt Schavan. Darüber müsse man nicht schimpfen, man dürfe sich auch nicht treiben lassen von denen, die das politisch ausnutzten. Oft denke sie: Lasst doch mal die Luft raus!

Michelangelos "Mose" hat es ihr angetan

„Jetzt muss ich Ihnen noch was zeigen“, sagt Schavan. Sie holt einen Stadtplan von Rom, fährt mit dem Finger zum Kolosseum und ein Sträßchen hinauf zur Kirche San Pietro in Vincoli. Dort steht Michelangelos Mose: eine überlebensgroße Figur aus Marmor mit langem Bart und entschlossenem Gesichtsausdruck. Nach biblischer Überlieferung führte der Prophet Mose das Volk der Israeliten aus der ägyptischen Sklaverei und durch die Wüste ins verheißene Land Kanaa. Doch anstatt dankbar zu sein, fingen die Israeliten auf halbem Weg an zu murren. „Da sitzt der weise Führer, der sein Volk durch die Wüste bringt – und muss mit ansehen, wie dieses Volk ums goldene Kalb tanzt. Man sieht ihm das Entsetzen an, doch er bleibt äußerlich ganz ruhig“, interpretiert Schavan die Figur. Dieser Mose berührt sie, ihre Stimme wird weich. Michelangelos Statue ist das Stein gewordene Sinnbild eines politischen Führers und bündelt, was Schavan umtreibt: die Irritationen, die Bewährungsprobe, die Aufbrüche, der verkniffene Zorn übers undankbare Volk. Man könnte meinen, die Botschafterin rede auch von Merkel, wenn sie über Mose spricht. Und was kommt nach Rom? 2017 sind die drei Jahre um, die Botschafter üblicherweise hier bleiben. Und dann? Eine neue Aufgabe für die gefallene Ministerin? Schavan wird tatsächlich rot. „Die Bundestagswahl ist das entscheidende Datum“, murmelt sie, kichert und sagt dann schnell: „Jetzt müssen wir aber wirklich Schluss machen.“

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