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Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat derzeit den Vorsitz in der OSZE.

© Ute Grabowsky / photothek.net

OSZE-Ministerrat in Hamburg: Steinmeiers letzter großer Gipfel

Außenminister Frank-Walter Steinmeier trifft heute in Hamburg die Amtskollegen der OSZE-Staaten. Dort geht es auch um sein außenpolitisches Vermächtnis.

Einen Gipfel dieser Größe hat es in Deutschland schon lange nicht mehr gegeben. In Hamburg werden am 8. und 9. Dezember die Außenminister der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) erwartet. 46 Minister und sieben Regierungsvertreter im Ministerrang haben ihr Kommen zugesagt, darunter US-Außenminister John Kerry und sein russischer Amtskollege Sergej Lawrow. Der Ministerrat gilt als wichtigstes Treffen und praktisch als Abschluss des deutschen Vorsitz-Jahres in der OSZE. Für den Gastgeber, Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD), der im Februar für das Amt des Bundespräsidenten kandidiert, ist es zugleich wohl der letzte große Gipfel.

Als Steinmeier sich für eine Bewerbung um den OSZE-Vorsitz entschied, war die Freude im Auswärtigen Amt keineswegs ungetrübt. Von einer Situation, in der man nur verlieren könne, war hinter den Kulissen die Rede. Denn die Deutschen übernahmen die Führung der OSZE ausgerechnet in einer Zeit, in der die Organisation vor der größten Herausforderung ihrer Geschichte stand. Die Annexion der Krim durch Russland und Moskaus Intervention in der Ostukraine haben die europäische Sicherheitsarchitektur tief erschüttert. Eine Waffenruhe im Donbass, die von Dauer wäre, gibt es bis heute nicht.

Die Deutschen hatten bei der Bewerbung um den Vorsitz vor zwei Jahren nicht damit gerechnet, dass der Krieg in der Ukraine auch 2016 das bestimmende Thema sein würde. „Wir hätten damals nicht gedacht, dass so viele Kapazitäten in das Krisenmanagement gehen“, sagt Gernot Erler (SPD), Sonderbeauftragter der Bundesregierung für den deutschen OSZE-Vorsitz. „Zugleich wurde Russland ein immer schwierigerer Partner.“

Fast alle OSZE-Staaten schicken Minister nach Hamburg

Auf der anderen Seite ist gerade durch den Ukraine-Konflikt das Interesse der OSZE-Mitglieder an der Organisation gestiegen, die aus der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (KSZE) hervorgegangen war und ein Relikt des Kalten Krieges ist. Dass fast alle 57 Mitgliedstaaten einen Minister nach Hamburg schicken, gilt im Auswärtigen Amt schon als kleiner Erfolg. Denn die OSZE hat jahrelang ein Schattendasein geführt. Nach dem Ende des Kalten Krieges schien sie in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden, auch und gerade in den westlichen Staaten wurde die Organisation kaum noch ernst genommen. Selbst aus Deutschland kam zum jährlichen Ministerrat nicht mehr der Außenminister, sondern nur ein Vertreter.

Erst nach der Zäsur durch die russische Intervention in der Ukraine erinnerten sich europäische Diplomaten an die OSZE, die sich der Sicherheit und dem Frieden in Europa verschrieben hatte. Die 57 Staaten beschlossen, eine Beobachtermission in den Donbass zu entsenden, die die Einhaltung der Waffenruhe und den Abzug schwerer Waffen überwachen sollte. Heute sind fast 700 Beobachter in der Ukraine im Einsatz.

OSZE als Forum des Dialogs mit Russland

Die Mission ist die einzige unabhängige Instanz, die Einschätzungen aus dem Kampfgebiet liefert. Zugleich war es das erste Mal in der Geschichte der OSZE, dass eine Mission in einen noch andauernden Krieg geschickt wurde. Die unbewaffneten Beobachter haben nur begrenzt Einblick in die Lage vor Ort, immer wieder wird ihnen vor allem im Separatistengebiet der Zugang verwehrt. Eine andere, kleine Mission beobachtet zwei Grenzübergänge zwischen der Ukraine und Russland. Und schließlich vermittelt die OSZE Gespräche in der sogenannten trilateralen Kontaktgruppe, dem einzigen Gremium, in dem Vertreter der Ukraine, Russlands und der Separatisten an einem Tisch sitzen. Erler betont, dass die OSZE derzeit eines der ganz wenigen Foren für einen Dialog mit Moskau sei, weil der Nato-Russland-Rat lange Zeit nicht tagte und Moskau auch in den G 8 nicht mehr mit am Tisch sitzt. „Wir haben die OSZE als Dialogplattform genutzt“, sagt Erler. „Es ist uns gelungen, ins Gespräch zu kommen.“

„Dialog erneuern, Vertrauen neu aufbauen, Sicherheit wiederherstellen“ – unter dieses Motto hat das Auswärtige Amt das deutsche Vorsitzjahr gestellt. Steinmeier ging es nicht nur um eine Stärkung des Multilateralismus. Er wollte an die Tradition der sozialdemokratischen Ostpolitik anknüpfen. In einer Rede vor dem Bundestag zum OSZE-Vorsitz beschwor er das „große Erbe“ von Willy Brandt, Egon Bahr und Helmut Schmidt. Wenn selbst mit der Sowjetunion ein Dialog möglich war, warum nicht auch mit dem Russland von Wladimir Putin?

Tatsächlich stand das Thema Ukraine praktisch jede Woche auf der Tagesordnung der OSZE-Botschafter in Wien. Doch der Dialog wurde nicht selten zur Konfrontation, die Positionen Russlands und anderer Staaten prallten aufeinander. Dabei hatten die westlichen Staaten bereits das unausgesprochene Zugeständnis gemacht, den Konflikt nicht als Krieg zwischen der Ukraine und Russland zu behandeln, obwohl es keine Zweifel an der russischen Rolle im Donbass gibt. „Konstruktive Mehrdeutigkeit“ heißt diese Taktik seit Henry Kissinger.

Moskau hat praktisch Vetorecht in der OSZE

Zusätzlich erschwert wird die Arbeit der OSZE dadurch, dass Entscheidungen nur im Konsens getroffen werden können, was Moskau faktisch ein Vetorecht gibt. Wie mühsam das sein kann, zeigte die Vorbereitung eines OSZE-Treffens zum Thema Menschenrechte in Warschau. Diplomaten erinnern sich, dass selbst das Absegnen einer Tagesordnung fast gescheitert wäre, weil Russland Vorbehalte hatte. Die OSZE sei derzeit nicht wirklich handlungsfähig, weil sie vor allem durch Russland blockiert werde, sagt Stefan Meister, Programmleiter für Russland und Osteuropa bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik.

Dass ein großes Land wie Deutschland den OSZE-Vorsitz übernahm, galt als wichtiges Signal innerhalb der Organisation. „Es wurden enorme Erwartungen geweckt, die am Ende nicht erfüllt wurden und gar nicht erfüllt werden konnten“, sagt Meister. „Die OSZE entspricht den Anforderungen an sie nicht mehr, sie muss dringend reformiert werden.“ Derzeit seien ihre Möglichkeiten so begrenzt, dass sie über das reine Konfliktmanagement nicht hinauskomme. Von Konfliktlösung könne keine Rede sein. Als Negativbeispiel gelten die Vermittlungsbemühungen der OSZE im Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien um Berg-Karabach. Seit mehr als zwei Jahrzehnten verhandelt die sogenannte Minsk-Gruppe mit beiden Seiten, doch Fortschritte gibt es nicht. „Das untergräbt die Glaubwürdigkeit der OSZE“, warnt Meister. „Dialog darf nicht zum Selbstzweck werden.“

Trotz aller Schwierigkeiten sieht Erler durchaus Erfolge des deutschen Vorsitz- Jahres. „Es ist gelungen, den Ukraine- Konflikt einzuhegen.“ Eine Ausweitung der Kämpfe sei vermieden worden. Auch im Karabach-Konflikt gebe es nun „substanzielle Verhandlungen“.

In Hamburg politische Erklärung geplant

In Hamburg soll eine politische Erklärung verabschiedet werden, die eine Stärkung der Organisation zum Ziel hat: Die OSZE soll schon frühzeitig auf entstehende Konflikte reagieren und sie dauerhaft beilegen können. Eine solche politische Erklärung habe es seit 2002 nicht gegeben, betont Erler. Auch die von Steinmeier ins Spiel gebrachte Initiative für Rüstungskontrolle wollen die Deutschen in Hamburg zur Sprache bringen. Mit 13 weiteren Staaten in Europa hat sich Deutschland in einer „Gruppe der Gleichgesinnten“ schon verständigt. Im Auswärtigen Amt hofft man, dass die Österreicher, an die Deutschland den Vorsitz übergibt, die Abrüstungsinitiative ebenso fortführen werden wie die Stärkung der Konfliktbewältigung. Schließlich sind diese Themen auch so etwas wie Steinmeiers politisches Vermächtnis als Außenminister.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 29. November 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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