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Die ehemalige slowenische Regierungschefin Alenka Bratusek.

© AFP

Neue EU-Kommission: Kandidaten auf der Kippe

Die Kandidaten für die EU-Kommission müssen sich jetzt den Fragen des Europaparlaments stellen. Einige von ihnen gelten als Wackelkandidaten - darunter die ehemalige slowenische Regierungschefin Alenka Bratusek.

Wer im Büro von Petra Kammerevert in Brüssel anruft und fragt, auf welche bohrenden Fragen sich demnächst Günther Oettinger einstellen muss, erntet erst einmal Schweigen. Man spürt, dass jetzt im Europaparlament die Stunde der Ausschüsse schlägt. Und da sollen keine Details vorschnell an die Öffentlichkeit gelangen. Kommissare in spe wie Günther Oettinger können ruhig noch ein bisschen auf heißen Kohlen sitzen.

Eines der Spezialthemen der in Duisburg geborenen SPD-Europaabgeordneten Petra Kammerevert ist das Urheberrecht. Genau dieses Thema wird auch aufgerufen werden, wenn sich Günther Oettinger, der designierte deutsche EU-Kommissar für die Digitalwirtschaft, am kommenden Montag in einer Anhörung vor mehreren Ausschüssen – darunter dem Kulturausschuss von Petra Kammerevert – stellen muss. So wie Oettinger geht es auch den übrigen 26 Männern und Frauen, denen Kommissionschef Jean-Claude Juncker vor zwei Wochen ihre Ressorts zugeteilt hat. Ob sie ihre Portfolios tatsächlich erhalten, hängt davon ab, wie sie sich in den Anhörungen vor dem Europaparlament schlagen.

Im Fall von Oettinger ist die Frage des Urheberrechts nicht die einzige, auf die sich der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident einstellen muss. Aber es ist ein entscheidender Punkt – zumal in den Augen der SPD-Frau Kammerevert. Vor gut zwei Jahren, auf dem Höhepunkt der Debatte um das Anti-Piraterie-Abkommen Acta, forderte sie ein „modernes europäisches Urheberrecht, das dem digitalen Zeitalter gerecht wird und das eine faire Balance zwischen den Interessen der Nutzer und der Urheber findet“. Wie der bisherige Energiekommissar Oettinger diesen Ausgleich im neuen Amt herstellt, dürfte in den kommenden Jahren zu den spannendsten Themen in Brüssel gehören.

Hinter den Kulissen geht es auch um Parteipolitik

Dabei gilt Oettinger als mehr oder weniger gesetzt. Dass er die bevorstehende dreistündige Anhörung unfallfrei überstehen dürfte, wird in Brüssel im Grunde nicht bezweifelt. Vordergründig wollen die EU-Abgeordneten Oettinger und Co. nach deren Fachkompetenz bewerten. Doch hinter den Kulissen geht es in den bis zum 7. Oktober geplanten Anhörungen auch um Parteipolitik. 14 Kommissare kommen aus dem Lager der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP), die Sozialisten besetzen acht der Brüsseler Topjobs, die Liberalen fünf. Allein rein statistisch ist es damit eher wahrscheinlich, dass ein Kommissar aus den Reihen der Konservativen bei der Anhörung durchfällt.

Allerdings sind Konservative und Sozialisten nach der Europawahl im Mai in der Straßburger Kammer mehr denn je aufeinander angewiesen, weil die Fraktionen am linken und rechten Rand stärker geworden sind. Seit Jahren bilden Sozialisten und Konservative im Europaparlament eine informelle große Koalition, die nun noch wichtiger werden wird. Bei der Bestätigung der Kommissare waren die beiden großen Fraktionen in der Vergangenheit schon einmal nach dem Muster „Pack schlägt sich, Pakt verträgt sich“ vorgegangen: Vor zehn Jahren verhinderten die Sozialisten im Europaparlament, dass Rocco Butiglione, der wegen seiner frauenfeindlichen Äußerungen umstrittene Gefolgsmann des damaligen italienischen Regierungschefs Silvio Berlusconi, Kommissar wurde. Gleichzeitig erhob sich im EU-Parlament Protest gegen die geplante Berufung der lettischen Zentrumspolitikerin Ingrida Udre zur Steuerkommissarin. Nachdem beide Kandidaten durch glaubwürdigere Kommissare ersetzt worden waren, herrschte zwischen den Fraktionen wieder Frieden.

Nun wird im EU-Parlament zwar betont, dass Konservative und Sozialisten vor der am 22. Oktober geplanten endgültigen Abstimmung über das gesamte Kommissarskollegium keineswegs einen „Nichtangriffspakt“ geschlossen hätten. Aber dennoch könnte die Berufung sämtlicher Kommissare glatt über die Bühne gehen. „Ich kann mir vorstellen, dass die beiden großen Fraktionen das gemeinsam durchziehen, auch wenn sie in dem einen oder anderen Fall Bedenken haben, immer vorausgesetzt, keiner der Kommissare bricht bei den Anhörungen ein“, orakelt der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Elmar Brok (CDU).

Bratusek nominierte sich selbst als Kandidatin für Brüssel

Dennoch gelten einige der designierten Kommissare als Wackelkandidaten. So ist etwa die ehemalige slowenische Ministerpräsidentin Alenka Bratusek in Verruf geraten, weil sie sich selbst freihändig als Kandidatin in Ljubljana nominierte, obwohl ihr die Unterstützung der großen Parteien im eigenen Land fehlt. Sollte die für den Bereich der Energie-Union vorgesehene Bratusek bei ihrem Hearing scheitern, hätte Juncker ein neues Problem: Als Kriterium für die Zustimmung der Abgeordneten gilt ein nicht zu niedriger Frauenanteil am Kommissarskollegium. Aus diesem Grund hatte sich offenbar auch Junckers Kabinettschef Martin Selmayr besonders für die Berufung der Slowenin starkgemacht. Zu den Kandidaten, deren Amtsübernahme ab dem 1. November nicht als gesichert gilt, gehört auch der zur Parteienfamilie der EVP gehörende designierte Kommissar für Energie und Klimaschutz, Miguel Arias Canete, dem ein allzu großes Interesse an der Ölindustrie nachgesagt wird. Ein EVP-Mann ist auch der Ungar Tibor Navracsics, dessen Nähe zu dem autoritär regierenden Ministerpräsidenten Viktor Orban seine Berufung zum Bildungskommissar verhindern könnte. Gegen Kritik ist allerdings auch ein Kandidat aus dem anderen Lager der informellen großen Koalition nicht gefeit: Dem maltesischen Sozialisten Karmenu Vella, der Umweltkommissar werden soll, wird vorgehalten, als Unterstützer des damaligen maltesischen Premierministers Dom Mintoff in den siebziger und achtziger Jahren politische Gegner massiv eingeschüchtert zu haben.

Dieser Text erschien in der "Agenda" vom 23. September 2014 - einer neuen Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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