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Blick in die Berliner Sehitlik-Moschee

© Rainer Jensen/dpa

Muslime in Deutschland: Der Islam wird bunter

Von Sozialarbeitern bis Frauenrechtlerinnen: Immer öfter ist die muslimische Basis zu hören. Sie soll stärkere Beteiligung am gesellschaftlichen Leben fördern.

Die Deutsche Islamkonferenz (DIK), inzwischen zwölf Jahre alt, ist das ranghöchste Forum des Gesprächs zwischen Staat und deutschem Islam. An ihr lässt sich relativ verlässlich das Verhältnis beider Seiten ablesen. Als Ende November die jüngste Konferenz in Berlin eröffnet wurde, sah das so aus: Selbst Horst Seehofer, der Minister, der seine Amtszeit im Frühjahr mit dem Paukenschlag begonnen hatte, für ihn sei der Islam nicht Teil Deutschlands, wiederholte den Satz, obwohl er das noch am Vortag vor Journalisten angekündigt hatte, in seiner Eröffnungsrede nicht – und hat auch sonst einiges für den Erfolg der Veranstaltung getan: Für die aktuelle DIK holte er deren geistigen Vater zurück, Wolfgang Schäubles früheren Staatssekretär Markus Kerber, der als Freund der religionsrechtlichen Gleichstellung des Islam gelten darf und im Innenministerium einige Veteranen, wie er sie ironisch nannte, aus der ersten DIK an seiner Seite weiß.

Die alten Schlachten früherer Konferenzen um westliche Werte und islamistischen Terror hatte bereits Seehofers Amtsvorgänger Thomas de Maizière im Wesentlichen beendet, als er die Konferenz zuletzt auf eine praktische Lebensfrage orientierte, die Organisation islamischer Wohlfahrtsarbeit. Sie waren jetzt kein Thema mehr.

"Irrationale Re-Ethnisierung der Verbände"

Etwas komplizierter sieht es auf der muslimischen Seite aus. Die Ansprechpartner des Staats in den vergangenen Jahren, die vier großen Verbände, sind geschwächt, die beiden größten Ditib und IGMG inzwischen mehr Richtung Türkei orientiert als auf die Auseinandersetzung mit deutscher Politik und Behörden. Aus dem Hineinwachsen des Islam ins deutsche Religionsverfassungsrecht – von Beginn an Erwartung Nummer eins an die DIK – ist bis heute noch wenig geworden. Zuletzt war auch praktisch keine Rede mehr davon. Das sei „nicht gut“, sagt Engin Karahan. Der Jurist, auf dem Feld erfahren und als Berater für muslimische wie staatliche Akteure tätig, sieht die Verantwortung dafür aber auch bei den Verbänden. Die müssten das Thema voranbringen – aber da herrsche aktuell große Ernüchterung: Da, wo es Staatsverträge gebe, wie zum Beispiel in Hamburg und Bremen, „fehlt ihnen die Kraft, sie auszufüllen“, auch weil sie in jener „irrationalen Re-Ethnisierung“ feststeckten.

Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime, sieht darin ein Ergebnis staatlichen Handelns: „Auf Seiten der Politik gibt es kaum noch Interesse an einem konkreten Fahrplan zur Anerkennung des Islam“, sagt er. Das sei aber die Schlüsselfrage, „fast alles andere nachrangig“. So sei die neuerdings „verstärkte Hinwendung muslimischer Akteure zu den Herkunftsländern, weg von Deutschland“ zu erklären, die „uns als deutsche Religionsgemeinschaft besonders betroffen und zu schaffen macht“.

Der Gesprächsbedarf wird größer

Nun sollen es muslimische Basisstrukturen richten. Mit dem Geld, das im Bundeshaushalt dafür vorgesehen ist, will das Bundesinnenministerium muslimischem Engagement die Möglichkeit geben, „über die Moschee hinaus aktiv am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen“. Viele aus dem Feld waren auf der langen Gästeliste des Ministeriums für den Auftakt der 4. Islamkonferenz zu finden: Ob nun der „Muslimische Besuchsdienst für Patienten“ an einem Klinikum in Gütersloh oder das Kölner „Aktionsbündnis muslimischer Frauen“: Islamisch begründete Sozialarbeit und gesellschaftliches Engagement ist überall zu finden – und im Übrigen weiblicher, als die erste Reihe der Verbände-Arbeit erkennen lässt. Allerdings noch zu oft außerhalb der meist kommunalen Institutionen.

Engin Karahan hat in seiner Arbeit etwa festgestellt, dass jungen Leuten, die muslimische Jugendarbeit machen, so etwas wie der Stadtjugendring kein Begriff war – also das jeweilige kommunale Dach der Jugendarbeit. „Vor Ort gibt es so viele, die sich seit Jahrzehnten ehrenamtlich einsetzen, aber sie haben das große Problem, dass es kaum Know-how-Transfer gibt, dass sie nicht andocken können, abrufen, was sie brauchen.“ Zugleich seien „kommunale Strukturen weiterhin nicht darauf vorbereitet, Muslime aufzunehmen und einzubinden“.

Dass alle Beteiligten miteinander ins Gespräch kommen, könnte der schlichte Schlüssel dafür sein, dass muslimisches bürgerschaftliches Engagement irgendwann selbstverständlicher Teil der Stadtgesellschaften wird. Erste Einladungen, dafür etwas zu tun, hat das Ministerium inzwischen ausgesprochen und will Geld zur Verfügung stellen. Während etwa Ditib mit ihrer wachsenden Orientierung an der Türkei Erdogans für ungeschützten Austausch über die muslimische Zukunft in Deutschland und auch selbstkritische Auseinandersetzung praktisch ausfällt – Ende letzten Jahres trat der gesamte Landesvorstand in Niedersachsen unter Protest dagegen zurück –, wird der Gesprächsbedarf der muslimischen Basis eher größer.

Das konnte etwa die vor einem guten Jahr gegründete Alhambra-Gesellschaft feststellen, die an der Neukonzeption der DIK mitwirkte. Gründungsmitglieder waren frustrierte Ex-Verbandsfunktionäre wie Karahan und muslimische Intellektuelle wie die Frankfurter Islamwissenschaftlerin Nimet Seker und der Sozialwissenschaftler Aydin Süer. Was mit den „Freitagsworten“ begann, Texten also für alle, denen die Freitagspredigten zu wenig Stoff für den deutschen Alltag boten, ist inzwischen auch ein Debattenforum geworden.

Rechtliche Anerkennung bleibt die offene Frage

Die Podiumsdiskussionen des „Muslimischen Quartetts“, das die Alhambra-Leute erfunden haben und mit dem sie inzwischen durch die Republik touren, sollen Muslimen einen geschützten Raum bieten, in dem sie frei diskutieren können – ohne als solche von außen angegriffen oder sich intern mit Vorwürfen konfrontiert zu sehen, sie verrieten die eigene Community durch Kritik. Man verstehe sich nicht als Alternative zu den muslimischen Verbänden, sagt Aydin Süer, dafür sei man viel zu unterschiedlich, vertrete auch kein bestimmtes Islamverständnis. Aber Alhambra wolle „eine Lücke füllen“: „Räume, wo wir uns austauschen und auch über schwierige Themen offen streiten können, ohne Hintergedanken“, das sei allen ein starkes Bedürfnis gewesen. Man wolle „Dissens ausdrücklich zulassen und das Schubladendenken sowohl unter Muslimen wie in der Öffentlichkeit überwinden“.

Neue Ideen, fruchtbaren Streit und eine vielfältigere öffentliche Wirkung kann der deutsche Islam, von außen immer heftiger attackiert und innerlich – nicht zuletzt dadurch – in Teilen ermattet, gebrauchen. Als im Herbst eine Moscheesteuer, ähnlich der Kirchensteuer, diskutiert wurde, kam ein Vorschlag auch aus dem Umfeld von Alhambra: Der Kölner Autor und Journalist Eren Güvercin, Mitglied des Vereins, widersprach den umlaufenden Vorschlägen unter Hinweis auf muslimische Strukturen, die eben nicht zentral seien, wie für die Kirchensteuer nötig. Seine provozierende These in einem Kommentar für den Deutschlandfunk: Geld sei da, es werde aber nicht richtig investiert. Güvercin erinnerte an die alte osmanische Tradition der Stiftung, in der sich Moscheegemeinden von jeher organisierten: So könnten Moscheebauten finanziert werden, Teile der Immobilie vermietet und damit Geld erwirtschaftet werden, um etwa den Imam zu bezahlen. Damit freilich, so Güvercin, seien die Gemeinden autonom und nicht mehr so leicht zu kontrollieren, etwa durch Import-Imame, die der türkische Staat schicke.

Wenn die DIK also einen Markt der Ideen im deutschen Islam aufbauen hilft, könnte das der Unabhängigkeit dienen, die auch von Muslimen gewünscht wird. Die Antwort auf die seit zwölf Jahren offene Frage, wie die drittgrößte Religion ins Religionsverfassungsrecht integriert wird, ließe sich so vorbereiten. Dass sie aktuell nicht gestellt wird, ändert, so Aiman Mazyek, nichts daran, dass sie eine Antwort brauche. Das Problem bleibe: „Aufgeschoben ist nicht aufgehoben.“

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