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Analog und digital. An einem Whiteboard in der AfD-Medienabteilung ist der Titel einer „Bild“ zu sehen. Hier produziert die AfD-Fraktion im Bundestag Nachrichten für Fans.

© picture alliance/dpa

Kampf um Deutungshoheit: Wenn Parteien auf einmal Journalismus machen

Parteien und Ministerien kommunizieren immer mehr direkt mit den Bürgern. Vorgemacht hat das die AfD – auch wenn mit ihrem Newsroom nicht alles rundläuft.

Es war eine Ankündigung, die im politischen Berlin Unruhe auslöste. „AfD statt ARD“ sollten die Menschen in Zukunft schauen, verkündete Fraktionschefin Alice Weidel vor einem Jahr vollmundig. Ein alternativer TV-Kanal nach Vorbild der österreichischen Rechtspopulisten schwebe der Fraktion vor. In einem „Newsroom“ solle im 24/7-Schichtbetrieb gearbeitet werden. Die AfD wollte ihre Inhalte ungefiltert an den Mann bringen, sich eine eigene Öffentlichkeit schaffen – ohne kritische Nachfragen der Presse.

Mittlerweile ist klar: Die AfD hat ihre Newsroom-Ankündigung geschickt vermarktet, aber so viel verändert hat sich in ihrer Öffentlichkeitsarbeit seitdem nicht. Ursprünglich sollte der Newsroom Unter den Linden Platz finden, in einem aus drei kleineren Zimmern verbundenen großen Raum – dort sitzt aber offenbar bis heute kaum jemand. Selbst innerhalb der Fraktion wird darüber gelästert. Beliebte Pointe: Weil unterirdisch die S-Bahn fahre und für Vibrationen sorge, sei der Raum für Ton- und Bildaufnahmen ungeeignet.

Jürgen Braun, der zuständige parlamentarische Geschäftsführer der AfD, verteidigt das Projekt. Mittlerweile habe die AfD noch einen weiteren Raum im Keller des Jakob-Kaiser-Hauses. Hier säßen vor allem Social-Media-Mitarbeiter. Sie verbreiten eigens produzierte Videos der Fraktion, vertonte Pressemitteilungen, Statements der Abgeordneten, erstellen Bild-Kacheln. Diese Arbeit, sagt Braun, sei „entscheidend“ dafür, dass die Fraktion ihre Inhalte den Bürgern „direkt“ übermitteln könne. In den sozialen Medien hat die AfD schon länger eine Vormachtstellung, was geteilte Beiträge und Erwähnungen betrifft. Zudem arbeitet die AfD-Fraktion daran, rechte, ihr wohlgesonnene Blogger noch schneller mit Informationen zu versorgen.

„Wir waren Herr über die Bilder“

Auch wenn bislang weder das eigene TV-Programm noch der zentrale AfD- Newsroom wirklich umgesetzt worden sind: Die Idee, selbst die Deutungshoheit über das politische Geschehen zu haben, unabhängig zu sein von Presse und Rundfunk – sie scheint auch für andere Parteien attraktiv zu sein.

Aufsehen in dieser Hinsicht erregte CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer. Sie schwärmte im Magazin der Jungen Union, beim Auftakt zum Werkstattgespräch Migration habe die CDU keine Presse zugelassen, es habe nur einen Livestream gegeben. „Wir waren Herr über die Bilder, wir haben die Nachrichten selbst produziert. In diese Richtung wird es weitergehen.“ Diese Ansage geht über das Ziel, in den sozialen Medien aktiver zu sein, weit hinaus. Es geht darum, selbst direkt an den Zuschauer zu senden. Dementsprechend wird für die CDU das Übertragen von Statements und Fachkonferenzen immer wichtiger.

Schon unter Generalsekretär Peter Tauber ist im Konrad-Adenauer-Haus ein Großraum und ein TV-Studio eingerichtet worden. Hier arbeitet mittlerweile rund eine Handvoll Leute. Auch in der Bundestagsfraktion wird eine Art Newsroom aufgebaut. Wände wurden rausgerissen und Büros zusammengelegt, damit hier rund ein Dutzend Arbeitsplätze entstehen. Doch im Bundestag gibt es auch Zweifel: Facebook-Chats mit führenden Unions-Politikern würden sich oft nur ein paar Dutzend Leute anschauen.

Bei der CSU hat Generalsekretär Markus Blume am Montag angekündigt, man wolle die Parteizentrale 4.0, die modernste in ganz Deutschland, schaffen. „Eine Botschaft für alle Kanäle“, sagt Blume. Die CSU wolle auf allen Kanälen präsent sein. „Dort werden die entscheidenden Schlachten der Zukunft geschlagen.“ Neben einer zielgerichteten Kommunikation nennt Blume als ein Ziel eine schnellere Meinungsbildung bei den Mitgliedern, so habe eine Umfrage zur Organspende eine enorme Resonanz gehabt.

Perfektioniert hat das Spiel mit der direkten Kommunikation US-Präsident Donald Trump. Er gibt kaum Pressekonferenzen oder Interviews, seine Waffe ist Twitter. Seine Anhänger verbreiten die simplen Botschaften millionenfach weiter.

Newsrooms sollen auch Fake-Nachrichten bekämpfen

Bei deutschen Parteien wird stets betont, es gehe bei alledem nicht um das Aushebeln des klassischen Journalismus. Die Bündelung der Kommunikation sei auch eine Art Frühwarnsystem, um Stürme von rechts im Internet besser erkennen und schneller schlagfertig reagieren zu können. So verbreitete sich 2018 massenhaft ein angebliches Zitat von Kanzlerin Angela Merkel, wonach Flüchtlingen bei der Tafel Vorrang zu geben sei Gegen solche Fälschungen vorzugehen, ist ebenfalls Newsroom-Aufgabe.

Die SPD hat kürzlich einen großen Schritt getan, um ihren bereits seit 2010 existierenden Newsroom, der Teil der Kommunikationsabteilung ist, schlagkräftiger zu machen. Seit Mitte April leitet die Social-Media-Expertin Carline Mohr das Referat, die zuvor unter anderem „Head of Social Media“ der „Bild“-Zeitung und als Chefin vom Dienst bei „Spiegel Online“ für „Audience Development“ zuständig war. Dabei geht es um die Gewinnung neuer und die Bindung bisheriger Nutzer.

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Eine kritische Analyse des SPD-Bundestagswahlkampfes 2017 hatte der „Social- Media-Kommunikation“ der Partei „eine Vielzahl von Fehlern und Defiziten“ bescheinigt. Mit Mohr, die sich selbst auf Twitter ein Herz „für schlechte Witze & guten Rotwein“ bescheinigt, arbeiten fünf Mitarbeiter im Social-Media-Referat. Nun dürfte Mohrs Arbeitgeber gespannt sein, wann es ihr zum ersten Mal gelingt, dass ein SPD-Angebot „viral“ geht und tausendfach geteilt wird.

Die SPD will moderner, schneller und resonanzstärker werden

Die SPD-Fraktion wiederum hatte sogar extra eine eigene Arbeitsgruppe eingesetzt, geleitet vom Internetfachmann Ulrich Kelber, der inzwischen Bundesdatenschutzbeauftragter ist. Auch Journalisten wurden eingeladen und gefragt, warum die eigenen Botschaften oft nicht verfangen, wie man reaktionsschneller werden könnte und wie man Botschaften besser setzen kann. Gerade die SPD ist ein Meister darin, bei einem Erfolg, wie dem Beschluss für einen Mindestlohn oder dem Gute-Kita-Gesetz, alle führenden Politiker Jubelstatements verschicken zu lassen, von denen die meisten keinen Widerhall finden. Nun will man mit dem Anheuern von Social-Media-Experten wie dem Reporter-Slam-Gewinner Christian Helms moderner, schneller und resonanzstärker werden.

Journalisten sind die, die Zusammenhänge herstellen, die hinterfragen, recherchieren und in Frage stellen, eine Sache im Idealfall ohne ideologische Brille von allen Seiten kritisch betrachten. Das kann kein Parteiorgan leisten.

schreibt NutzerIn Gophi

Die Grünen hingegen richten bewusst keinen Newsroom ein, weder in der Partei noch in der Fraktion. „Ich finde es befremdlich, wenn CDU und SPD bewusst Journalisten umgehen, um sich keinen kritischen Fragen stellen zu müssen“, sagt Bundesgeschäftsführer Michael Kellner. Dass CDU-Chefin Kramp-Karrenbauer lobte, man sei beim Werkstattgespräch „Herr über die Bilder“ gewesen, sei „eine Form von Schwäche, die die freie Berichterstattung gefährdet“ – ebenso wie wenn die SPD Parteikonvente ohne Anwesenheit von Journalisten veranstalte. Auch in der Bundesregierung komme diese Praxis immer häufiger vor, kritisiert Kellner: „Manche Minister verbreiten lieber Eigen-PR, anstatt für Presseanfragen zu Verfügung zu stehen.“

Anspielen könnte Keller damit auf Verkehrsminister Andreas Scheuer. Der stellte vergangenen September sein „Neuigkeiten-Zimmer“ vor, aus dem heraus das Ministerium direkt mit dem Bürger kommunizieren will. So dementierte Scheuer in einem Video der Rubrik „Ente des Tages“ mit einem Riesen-Quietscheentchen unter dem Arm eine Meldung zur Erhöhung der Mineralölsteuer.

Auch wenn die Grünen auf einen Newsroom verzichten, eigene Botschaften fürs Netz wie Videos oder Bildkacheln produzieren sie natürlich trotzdem. Nachrichtenbeobachtung gehört genauso zum Geschäft wie das Vorgehen gegen Fake News. In der Grünen-Wahlkampfzentrale ist eine Mitarbeiterin dafür zuständig, bei Twitter und Facebook auf das Löschen solcher Inhalte zu dringen. Die Bundesgeschäftsstelle hat außerdem für Wahlkämpfer und Parteimitglieder einen Notfallplan erarbeitet, was zu tun ist, wenn Accounts gehackt wurden – nach den Ausspäherfahrungen, die Parteichef Robert Habeck Anfang des Jahres machen musste.

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