zum Hauptinhalt
Rudi Hoogvliet (l.) gilt seit Jahren als wichtigster Berater des baden-württembergischen Ministerpräsidenten Winfried Kretschmann.

© M. Murat/dpa

Grüne in Baden-Württemberg: Der Mann hinter Winfried Kretschmann

Am Donnerstag wird Winfried Kretschmann erneut als Ministerpräsident vereidigt. Das hat er auch seinem Berater Rudi Hoogvliet zu verdanken.

Dass man mit diesem Mann, dem eigenwilligen Querkopf aus dem Schwäbischen mit der langsamen Sprache, Wahlen gewinnen, gar den größten Triumph in der Geschichte der Grünen erringen könnte, das hätte Rudi Hoogvliet sich nicht träumen lassen. "Als ich 2002 angefangen habe, für Winfried Kretschmann zu arbeiten, fand ich ihn doch etwas schrullig. Irgendwann habe ich kapiert, wie wertvoll seine Ecken und Kanten sind", erzählt der Kommunikationsprofi. Die Art, wie Kretschmann Politik betreibe, habe "etwas Einmaliges", ist Hoogvliet überzeugt. Eben weil er nicht so richtig in die schnelllebige Gesellschaft passe, habe er "eine unglaubliche Wertigkeit".

Kretschmanns Wahlerfolg war für die Grünen eine Sensation

Für die Grünen war es eine Sensation, als Kretschmann nach der Landtagswahl 2011 Ministerpräsident in Baden-Württemberg wurde. Dass es ihm gelungen ist, in diesem Amt zu bleiben, ist ein historischer Erfolg. Und Hoogvliet hat seinen Anteil daran.

Der 57-Jährige ist einer der engsten Vertrauten des Ministerpräsidenten. Der gebürtige Holländer ist nicht nur derjenige, der als Regierungssprecher an Kretschmanns öffentlichem Profil feilt. Er ist zugleich der vielleicht wichtigste Ratgeber, wenn strategische Entscheidungen bevorstehen, wie 2014 beim Asylkompromiss mit der Bundesregierung.

"Eine Zeit lang fand ich ihn nicht schnell und geschliffen genug"

Wenige Tage nach dem furiosen Wahlsieg sitzt Hoogvliet in der Landesvertretung Baden-Württemberg, mit Blick auf den Berliner Tiergarten, und erinnert sich an die Anfänge. Er begann, für Kretschmann zu arbeiten, als dieser Fraktionschef der Grünen im Stuttgarter Landtag wurde. Zuvor war er jahrelang die rechte Hand von Kretschmanns Vorgänger Fritz Kuhn, der 2000 als Parteichef in die Bundespolitik wechselte. Von Kuhn zu Kretschmann, vom kühlen Analytiker zum katholischen Oberlehrer – ein Kontrastprogramm. "Kretschmann selbst hat früher gehadert, er würde nicht in diese mediale Gesellschaft passen, er sei nicht schnell und geschliffen genug. Eine Zeit lang fand ich das auch", sagt Hoogvliet. "Aber ich war auf dem Holzweg." Die Art, wie Kretschmann seine Politik begründen könne, sei besonders, sein Denken in langen Linien und seine Sprache, die so gar nichts vom üblichen Politsprech habe. "Wertegebundene Politik", das ist das Label, mit dem Kretschmanns Politik heute verbunden wird. Hoogvliets Aufgabe war es, dies herauszuarbeiten.

Kretschmann hielt keine normalen Wahlkampfreden

Und so intervenierte er auch nicht, als Kretschmann im Januar dieses Jahres beschloss, keine normalen Wahlkampfreden mehr zu halten, sondern eine Art politischer Grundsatzseminare. Es war eine Entscheidung aus dem Bauch heraus, nach einem Besuch in Brüssel, bei dem er mit EU-Kommissaren, europäischen Spitzenbeamten und Parlamentariern über die Flüchtlingskrise gesprochen hatte. Sie alle hatten seinen Eindruck bestätigt, dass Europa auf der Kippe stehe. Ab dann erklärte er in seinen Reden ausführlich, warum eine europäische Lösung in der Flüchtlingsfrage elementar wichtig sei, auch für Deutschland, und dass er dabei die Kanzlerin ohne Vorbehalte unterstütze. "Das verlangte viel Aufmerksamkeit von den Zuhörern, aber die haben sich dafür bedankt", sagt Hoogvliet. Kretschmanns ernsthafter Umgang mit der Krise passte offenbar besser in die Stimmungslage als die hektischen Versuche seines CDU-Herausforderers, sich von Angela Merkels Kurs in der Flüchtlingspolitik abzusetzen.

Dass der CDU-Mann Guido Wolf sich nicht zwischen Loyalität und Absetzbewegung entscheiden konnte, machte es für Kretschmann und seine Leute im Wahlkampf umso leichter. Vermutlich hat Kretschmann noch nicht einmal bewusst beschlossen, die Kanzlerin für sich zu vereinnahmen, um die CDU zu spalten. Aber seinem Ratgeber war sehr wohl klar, welche Wirkung es auf die politische Konkurrenz haben würde, als der Ministerpräsident Ende Januar in einem Interview mit dem Tagesspiegel sagte, dass er jeden Tag für die Gesundheit der Kanzlerin bete. Kretschmann zögerte, diese Aussage in der autorisierten Version des Interviews stehen zu lassen. Doch Hoogvliet empfahl ihm, es einmal öffentlich auszusprechen, weil er ahnte, wie die CDU sich daran abarbeiten würde. Noch heute wundert sich Hoogvliet, wie die "Machtmaschine" CDU so gegen ihre eigenen Gesetze verstoßen konnte: Konflikte zu schüren anstatt die Reihen zu schließen. "Für uns war das von Vorteil", stellt er nüchtern fest.

Hoogvliet war drei Mal in Folge Wahlkampfleiter der Grünen im Bund

Als Regierungssprecher darf Hoogvliet keinen Wahlkampf machen, das ist Sache der Parteien. Die Kampagne für die Landtagswahl im Frühjahr haben deshalb andere konzipiert, von den Plakaten bis zu den Fernsehspots. Doch worauf es dabei ankommt, weiß er genau. Drei Mal in Folge hat er für die Grünen den Bundestagswahlkampf organisiert – 2002, 2005 und 2009. Für ein Jahr ließ er sich jeweils von seinem Job in Stuttgart beurlauben, um in Berlin "auf Montage" zu gehen, wie er es nannte.

Einer, der damals mit ihm zusammenarbeitete, ist Hans Langguth, zu rot-grünen Regierungszeiten stellvertretender Regierungssprecher und heute Geschäftsführer der Werbeagentur Zum goldenen Hirschen Berlin. Fragt man Langguth nach Hoogvliet, fällt ihm als Erstes eine Eigenschaft ein: Gelassenheit. Er kann sich noch gut daran erinnern, wie die Grünen Anfang 2002 in den Umfragen unter fünf Prozent rutschten. Nach vier Jahren Regierungsbeteiligung war die Partei ausgezehrt, bei Parteiratssitzungen machte sich Nervosität breit, Politiker aus der Führungsriege plädierten intern dafür, stärker in die Offensive zu gehen. Doch Hoogvliet warb dafür, erst einmal den Laden zu stabilisieren und den eigenen Leuten zu erklären, warum sie später am Wahlkampfstand stehen sollten. Daraus entstand die "Grün wirkt"-Kampagne.

Hoogvliet selbst sagt, er sei damals bei der Botschaft "traumwandlerisch sicher" gewesen. "Die Geschichte war eigentlich ganz einfach", sagt er: "Sie lautete: Wir haben vieles auf den Weg gebracht, wir brauchen weitere vier Jahre, um das zu festigen." 2002 machten die Grünen außerdem erstmals einen Wahlkampf, der auf eine Person zugeschnitten war, den damaligen Außenminister Joschka Fischer ("Außen Minister, innen grün"). Bei der Wahl legte die Partei auf 8,6 Prozent zu und sicherte so Rot-Grün noch einmal die Mehrheit.

Nach den "Montageeinsätzen" kehrte Hoogvliet immer wieder nach Stuttgart zurück. 1982 war er aus Utrecht hierhergekommen, der Liebe wegen. Es war die Zeit der Friedensbewegung, Hoogvliet gehörte zu den Organisatoren der Menschenkette zwischen Stuttgart und Ulm. Die Grünen, die damals die sozialen Bewegungen hochhielten, fragten ihn, ob er Mitglied im Landesvorstand der Partei werden wolle. In diesen Jahren lernte er auch Fritz Kuhn kennen, der ihn später in die Landtagsfraktion holte.

Der Sprecherjob erfordert Bauchgefühl

Ob als Wahlkampfmanager oder Sprecher: In seinem Job muss Hoogvliet sich oft auf sein Bauchgefühl verlassen. Nach 14 Jahren mit Kretschmann weiß er, worauf es diesem ankommt. "Wir hatten so intensiv miteinander zu tun, dass ich so sprechen kann, wie er sprechen würde", sagt er. Seine Aufgabe ist es, Kretschmann ins rechte Licht zu setzen. "Das funktioniert nur, wenn man die vorhandenen Stärken stärkt. Man kann niemanden verändern", sagt er. Einen Spitzenpolitiker anders zu inszenieren, als er sei, gehe auf Dauer nicht. "Es gibt immer unbewusste Gesten oder Ausdrücke, die einen entlarven." Vertrauen könne ein Politiker nur gewinnen, wenn er glaubwürdig sei.

Stärken zu stärken – was heißt das konkret in Kretschmanns Fall? Etwa darauf zu achten, welche Talkshoweinladung er annimmt ("Beckmann" ja, weil man da auch mal länger ausführen kann, "Anne Will" eher nein). Oder Veranstaltungen zu konzipieren, die zu Kretschmanns Naturell passen. Wie die Lesungen aus den Werken seiner Lieblingsphilosophin Hannah Arendt in der Villa Reitzenstein, dem Sitz des Ministerpräsidenten in Stuttgart. Oder die traditionellen Sommerwanderungen durchs Ländle.

Als Regierungssprecher ist Hoogvliet für die Darstellung des Ministerpräsidenten in der Öffentlichkeit zuständig: Interviews, Pressekonferenzen und Hintergrundgespräche gehören zu seinem Geschäft. Doch er ist nicht nur in Kommunikationsfragen ein wichtiger Ratgeber. Als Kretschmann im Herbst 2014 vor der Frage stand, ob er im Asylrecht einer Ausweitung der sicheren Herkunftsländer zustimmt – für viele Grüne damals ein Tabubruch –, bat er Hoogvliet um seine Meinung. "Er hat gespürt, dass die gesamte Partei in Aufruhr ist und dass er alleine stehen würde, wenn er Ja sagt", erinnert sich Hoogvliet. "Ich habe ihm sehr zugeraten, es trotz alledem zu machen."

Nicht nur, weil er es inhaltlich gut begründbar fand. Sondern auch, weil er den damit verbundenen "Kollateralnutzen" vorhersah: "Kretschmann hat dadurch Handlungsstärke bewiesen. Und er hat gezeigt, dass er sich in allererster Linie dem Land verantwortlich fühlt und nicht der Partei", sagt Hoogvliet. Als "I-Tüpfelchen" empfand er es, als der Ministerpräsident einige Wochen später sogar auf dem Parteitag der Grünen Applaus für seine einsame Entscheidung bekam.

Und welchen Rat gibt er Kretschmann nun für seine zweite Amtszeit, die mit seiner Wiederwahl als Ministerpräsident an diesem Donnerstag offiziell beginnt? Hoogvliet muss nicht lange überlegen. "Zu Beginn der ersten Legislatur haben wir viel Zeit investiert, die Kontakte zur Wirtschaft zu verbessern", sagt er beim Kaffee in der Landesvertretung. Damals habe es ein Fremdeln gegenüber dem neuen grünen Ministerpräsidenten gegeben, das sei nun vorüber. Die Aufgabe für diese Legislatur werde es nun sein, in einer Situation, in der die AfD das "Gift der Angst" träufele, Ruhe reinzubringen, analysiert Hoogvliet. "In den nächsten fünf Jahren wird eine wichtige Aufgabe darin bestehen, die Gesellschaft als Gemeinwesen zu festigen." In einer Rede mit dem Titel "Was uns zusammenhält" hat Kretschmann vor Kurzem Ideen skizziert, wie er das angehen will. Der Landesvater mit dem Faible für Philosophen will sich dafür auch einen eigenen Beraterkreis mit Vertretern aus der Gesellschaft zulegen. Doch eines ist schon jetzt klar: Einer seiner wichtigsten Ratgeber wird auch weiter der Mann aus Holland sein.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 10. Mai 2016, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false