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Mister Energiewende. Rainer Baake (3. von rechts) hat genaue Vorstellungen davon, wie in der Bundesrepublik Strom produziert und vertrieben werden soll. Foto: Ullstein-Bild/Rolf Schulten

© Rolf Schulten/ullstein bild

Energiewende: Grüne Eminenz der Energiewende

Rainer Baake ist seit 2014 Staatssekretär im Wirtschaftsministerium. Er plant den Umbau des Stromsystems. Sein Positionspapier „Strom 2030“ taugt als Pflichtenheft für die nächste Bundesregierung.

Wenn Rainer Baake sein Lächeln gar nicht mehr aus dem Gesicht gewischt bekommt, dann muss etwas Bemerkenswertes passiert sein. Für gewöhnlich ist der Mann schwer zu lesen. Beobachter und Weggefährten nennen ihn nicht von ungefähr „Sphinx“.

An dem Vormittag, als Baake nicht mit dem Grinsen aufhören kann, stellt er das Ergebnis der ersten Auktion von Windenergie an Land vor. Nur fünf Zuschläge gehen an professionelle Anbieter. Alle anderen Windräder sollen in den kommenden 54 Monaten von Bürgerenergiegesellschaften gebaut werden, also von Privatleuten, die gemeinsam in saubere Energieformen investieren wollen. Baake hat mit diesem Ergebnis alle Kritiker verstummen lassen – zumindest vorläufig. Auch wenn es in den Wochen danach Zweifel und Einwände gibt – die Bürgerenergie, da ist sich Baake sicher, ist mit der Ausschreibung von Windenergie nicht zu Ende.

In der Bundesregierung dürfte Rainer Baake derjenige sein, der den besten Überblick über den Stand der Energiewende hat. Seit 2014 steuert der Grüne den Prozess im Bundeswirtschaftsministerium (BMWi).

Rainer Baake ist zäh. Um sich zu entspannen, klettert er durch Felswände. Bevor er als einer der ersten grünen Vize- Landräte in Marburg tätig wurde, hatte er – wie der frühere amerikanische Präsident Barack Obama – in Chicago als Community Organizer gearbeitet. Vier Jahre, von 1974 bis 1978, organisierte Baake diejenigen, die wenig zu verlieren hatten. Organisieren kann er immer noch gut. Das merken alle, die versuchen, ihm inhaltlich Paroli zu bieten.

Vordenker der Energiewende

Baake ist einer der wichtigsten Vordenker der Energiewende. Sein Weg zum kompletten Systemumbau des Energiesystems führte über die Atomaufsicht in Hessen. Dort war er zu Zeiten von Joschka Fischer (Grüne) als Landesumweltminister beamteter Staatssekretär. Die beiden versuchten – erfolglos – das Pannen-Akw Biblis A und B stillzulegen, zumindest zeitweise. Der damalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU) hat sie mehrfach mit atomrechtlichen Weisungen dazu gezwungen, das ungeliebte Akw wieder ans Netz zu lassen.

1998 ging Baake mit Töpfers Nachfolger Jürgen Trittin (Grüne) wiederum als beamteter Staatssekretär ins Bundesumweltministerium und handelte dort den ersten Atomausstieg aus. Nach dem Ende der rot-grünen Koalition führte sein Weg in die Geschäftsführung der Deutschen Umwelthilfe (DUH). Es folgte der Aufbau des Thinktanks Agora Energiewende. Seine Thesen zur Energiewende zum Abschied 2012 waren die perfekte Vorbereitung auf seinen aktuellen Posten. Dass sein „Baby“ sich prächtig entwickelt, ist nach Baakes Einschätzung vor allem das Verdienst seines Nachfolgers Patrick Graichen. „Er hat die Agora zum führenden Thinktank in Energie- und Klimafragen weiterentwickelt“, sagte Baake dem neuen Tagesspiegel-Dienst „Background Energie und Klima“.

Gabriel holte ihn ins Wirtschaftsministerium

Der ehemalige Bundeswirtschaftsminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) hatte dem Grünen die Energiewende anvertraut. Gabriels Nachfolgerin Brigitte Zypries (SPD) sieht keinen Grund, daran etwas zu ändern. Denn bei aller Kritik im Detail bezweifelt niemand Baakes Kompetenz. Mit dem BMWi-Impulspapier „Strom 2030“ hat er im September 2016 wieder ein Grundsatzpapier vorgelegt. Erst vor wenigen Tagen hat das Ministerium nach einem monatelangen Diskussionsprozess die Ergebnisse des Dialogs veröffentlicht. Sie lesen sich wie eine Gebrauchsanleitung für die kommende Regierung.

Dass Solar- und Windstrom die deutsche Stromversorgung der Zukunft prägen werden, ist für Baake sonnenklar. „Als wir das Erneuerbare-Energien-Gesetz im Jahr 2000 geschaffen haben, haben wir die Kilowattstunde Strom aus Fotovoltaikanlegen mit 46 Cent vergütet. Inzwischen können wir Strom an den besten Standorten in Deutschland für sechs Cent produzieren.“ Gefragt, was er sich für die Zukunft wünscht, sagt Baake: „Die Integration der Fotovoltaik in Dachziegel, Fassaden und Fensterscheiben und eine weitere Kostensenkung bei den Batterien.“ Denn lokal können Speichersysteme auch heute schon günstiger sein als andere Möglichkeiten, ein wetterabhängiges Stromsystem abzusichern.

Drei Prinzipien für die Energiewende

Das passt gut zu Baakes Vorstellungen für die Fortentwicklung der Energiewende. Ihm ist es wichtig, dass der weitere Umbau des Energiesystems drei Prinzipien folgt: Effizienz zuerst, direkte Nutzung erneuerbarer Energien und sparsamer Einsatz erneuerbarer Energien.

Was er damit meint? Baake hält nichts von „intelligenter Verschwendung“. Er will, dass bei Energieinvestitionen auf zwei Dinge geachtet wird: Energie soll so effizient wie möglich verwendet werden, und der Ausbau erneuerbarer Energien ersetzt nicht ihre effiziente Verwendung. In den USA gilt das Konzept der Least- Cost-Planung, einer Planung, die versucht, die geringsten Kosten zu erzeugen, schon lange. Mit dem Prinzip „Efficiency First“ versucht Baake nun etwas Ähnliches im deutschen – und europäischen – Energiesystem einzuführen.

Unter direkter Nutzung von erneuerbaren Energien wird verstanden, dass beispielsweise der Strom von einer Solaranlage auf dem Dach direkt in die Autobatterie fließt, falls der Strom nicht augenblicklich im Haus selbst gebraucht wird. Die direkte Nutzung hat die höchste Energieausbeute – und senkt die Kosten. Die sogenannte Sektorkopplung – nach Baakes Analyse eine der großen Aufgaben der kommenden Legislaturperiode – darf nicht zu Energieverschwendung führen, fordert das Wirtschaftsministerium. Unter Sektor- oder Sektorenkopplung wird verstanden, dass Strom eine zunehmend wichtigere Rolle im Energiesystem spielen wird. E-Mobilität soll Autos mit Solar- und Windstrom in Bewegung bringen, und auch die Heizung ist zunehmend strombasiert. Nur so lässt sich das Verkehrssystem vom Kohlendioxidausstoß befreien.

Strom, Wärme und Verkehr wachsen zusammen

Damit die Sektorkopplung funktioniert, müssen allerdings die Wettbewerbsvorteile der alten Energien aus dem Markt verschwinden. Gegen billiges Heizöl in Zeiten niedriger Ölpreise kommt die mit vielfachen Steuern und Abgaben belastete strombasierte Wärmepumpe nicht an. Baake will sich allerdings nicht darauf einlassen, die Wettbewerbsbedingungen über neue Ausnahmen aus der Abgabenbelastung zu verbessern. „Das führt zu höheren Strompreisen für alle anderen“, heißt es im Ergebnispapier „Strom 2030“. Stattdessen sei eine „allgemeine Reform von Umlagen, Entgelten und Steuern“ notwendig. Das sieht übrigens Baakes Kollege im Umweltministerium, Jochen Flasbarth (SPD), nicht anders. Nach einer Legislaturperiode des „Steuerattentismus“ sei in der nächsten Amtszeit des Bundestags eine größere Steuerreform dringend nötig, sagte er bei einer Podiumsdiskussion im Rahmen des Evangelischen Kirchentags vor wenigen Tagen in Potsdam.

Baake wirbt schon lange für den Ausbau der Stromnetze. Insbesondere die großen „Stromautobahnen“ vom windreichen Norden in den stromverbrauchenden Süden der Republik hält er für unumgänglich. Allerdings teilt Baake die Einschätzung von Patrick Graichen, dass „wir das in zehn Jahren nicht noch einmal machen wollen“, wie der Chef von Agora Energiewende bei der Vorstellung seiner Überlegungen zur „Energiewende 2030“ sagte. Das Netz müsse auf den Zielzustand 2050 ausgebaut werden, fordert Graichen. Im Papier des Wirtschaftsministeriums heißt es, dass „netzentlastende Maßnahmen“ bei der künftigen Planung berücksichtigt werden sollten. Dazu zählt auch eine engere Zusammenarbeit in Europa, die Baake wesentlich angestoßen hat. Aus dem großen Unverständnis über die Deutschen ist eine enge Kooperation zur Gewährleistung von Versorgungssicherheit geworden. Selbst mit schwierigen Partnern wie Polen oder Tschechien hat Baake zur Zusammenarbeit gefunden.

Dass Mister Energiewende für seine  Wohnung Ökostrom bezieht, versteht sich fast von selbst. Und elektrisch fährt er schon lange. Nämlich S-Bahn, jeden Tag zur Arbeit.

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