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Die 709 Abgeordneten des Bundestages müssen Nebentätigkeiten und -einkünfte bei der Parlamentsverwaltung melden.

© Michael Kappeler/dpa

Der Bundestag und die Nebentätigkeiten: Jeder fünfte Abgeordnete hat zusätzliche Einkünfte

Viele Bundestagsabgeordnete verdienen sich etwas dazu – als Rechtsanwälte, Unternehmer oder Vortragsredner. Das ist erlaubt, solange das Mandat im Mittelpunkt steht. In der Praxis gibt es Grauzonen.

Um Ulla Schmidt ist es in der Öffentlichkeit still geworden. Die frühere Bundesgesundheitsministerin zog 2017 über die Landesliste der SPD in Nordrhein-Westfalen wieder in den Bundestag ein. Ihre letzte Rede im Parlament liegt schon mehr als ein Jahr zurück, was zum Teil daran liegt, dass sie in der vergangenen Legislaturperiode als Vizepräsidentin des Parlaments gefragt war. Im November 2016 sprach sie über ein Gesetz zur Änderung arzneimittelrechtlicher Vorschriften. Neben ihrer Arbeit im Bundestag ist sie in mehreren Ehrenämtern tätig. Zugleich gehört Ulla Schmidt zu den Abgeordneten mit den höchsten Nebeneinkünften.

Insgesamt verdient sie zwischen 136.000 und 241.000 Euro im Jahr dazu. Die Einnahmen stammen aus ihrer Tätigkeit im Beirat der K&S Sozialbau AG in Sottrum, die Seniorenheime baut und betreibt, und im Aufsichtsrat des Unternehmens Philips, zu dessen Kerngeschäft neben Haushaltsgeräten die Gesundheitstechnologie gehört. Der größte Anteil der Nebeneinkünfte kommt allerdings von der Siegfried Holding in der Schweiz: Schmidt gehört seit 2016 dem Verwaltungsrat des Arzneimittelherstellers an und erhält dafür jeden Monat zwischen 3500 und 7000 Euro.

Genauer lässt sich das nicht sagen, weil die Abgeordneten die genauen Beträge nicht angeben müssen. Außerdem zahlte das Schweizer Pharmaunternehmen der früheren Gesundheitsministerin 2017 ein „Zusatzhonorar“ zwischen 75.000 und 100.000 Euro. Ein Schweizer Verwaltungsrat hat viel mehr Befugnisse als ein deutscher Aufsichtsrat, er hat die eigentliche Leitung des Unternehmens inne. Schmidt ist daher bei der Siegfried Holding sogar zeichnungsberechtigt.

AfD-Abgeordneter Komning hat die höchsten Nebeneinkünfte

Von den 709 Bundestagsabgeordneten geht mindestens jeder fünfte neben dem Mandat einer bezahlten Tätigkeit nach. 144 Parlamentarier haben dies bisher bei der Verwaltung angezeigt. Die höchsten Nebeneinkünfte hat zum jetzigen Zeitpunkt der AfD-Abgeordnete Enrico Komning. Der Rechtsanwalt führt eine große Kanzlei in Neubrandenburg und nahm bisher mehr als 262 000 Euro ein. Der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach meldete als Inhaber und persönlich haftender Gesellschafter der Mibeg Unternehmensgruppe einen jährlichen Gewinn von mindestens 250.000 Euro.

Auch der Landwirt Hans-Georg von der Marwitz (CDU) zählt wieder zu den Spitzen-Nebenverdienern, er meldete für den Zeitraum von Oktober bis Dezember 2017 bereits Einkünfte zwischen 180.000 und 288.500 Euro. Zu den Parlamentariern mit den bisher höchsten Nebeneinnahmen gehört ein weiterer AfD-Abgeordneter: Der Unternehmer Uwe Kamann verdient als Geschäftsführer einer von ihm gegründeten Firma in Aachen, die sich an anderen Unternehmen beteiligt oder diese berät, monatlich zwischen 15.000 und 30.000 Euro. Für 2017 kam noch ein Gewinn in Höhe von 75.000 bis 100.000 Euro hinzu.

Nach dem Abgeordnetengesetz sind Nebentätigkeiten von Mitgliedern des Bundestages zulässig. Allerdings muss die Ausübung des Mandats im Mittelpunkt ihrer Tätigkeit stehen. Außerdem dürfen Abgeordnete kein Geld annehmen, „wenn diese Leistung ohne angemessene Gegenleistung des Mitglieds des Bundestages gewährt wird“. Für Tätigkeiten im Rahmen des Mandates dürfen Abgeordnete kein Geld annehmen, abgesehen von meldepflichtigen Spenden.

Zahlreiche Abgeordnete haben zwar eine „entgeltliche Tätigkeit neben dem Mandat“ gemeldet, aber keine Angaben zu den Einnahmen gemacht. Wenn die Nebeneinkünfte unter 1000 Euro im Monat oder 10.000 Euro im Jahr liegen, müssen sie nicht ausgewiesen werden. Diejenigen, die als Selbständige in unregelmäßigen Abständen Honorare verbuchen, haben diese in der kurzen Zeit seit der Konstituierung des Parlaments möglicherweise noch nicht angegeben. Das ist beispielsweise bei Rechtsanwälten der Fall.

Juristen sind die größte Gruppe derjenigen, die neben der Arbeit im Parlament einer bezahlten Tätigkeit nachgehen. Sie müssen zwar Einkünfte angeben, aber wegen der anwaltlichen Schweigepflicht Mandanten nicht nennen. Der CDU-Abgeordnete Stephan Harbarth saß in der vergangenen Wahlperiode als Rechtsanwalt im Vorstand der Kanzlei Schilling, Zutt & Anschütz und erhielt mehr als 250.000 Euro im Jahr. Als VW in der Abgasaffäre von Anlegern auf Schadenersatz verklagt wurde, vertrat die Kanzlei den Autokonzern. Harbarth ist heute Unions-Fraktionsvize und für Recht und Verbraucherschutz zuständig. Seit Januar ist er nicht mehr als Rechtsanwalt, sondern als Geschäftsführer für Schilling, Zutt & Anschütz tätig. Der FDP-Politiker Wolfgang Kubicki hat angegeben, dass er seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt weiter nachgehen will. Zu seinen Mandanten zählte bisher ein Mann, der als Schlüsselfigur der sogenannten Cum-Ex-Steueraffäre gilt. Durch solche Geschäfte gingen dem Staat Milliarden verloren.

Lindner verdiente mehr als 52.500 Euro mit Vorträgen

Eine spezielle Form des Nebenbei-Verdienens ist die Vortragsrednerei. Die kann sehr lukrativ sein. In früheren Wahlperioden gehörten zu den gut bezahlten Rednern Ex-Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) oder Gregor Gysi von den Linken. Im aktuellen Bundestag gilt das vor allem für Christian Lindner, der seine Auftritte nebst Einkommensspanne sehr zeitnah der Bundestagsverwaltung gemeldet hat. Demnach hat der FDP-Partei- und Fraktionschef seit dem Zusammentreten des Parlaments im Oktober bei neun Auftritten zwischen 52.500 Euro und 111.000 Euro eingenommen. Sechs davon wurden über Redneragenturen abgewickelt, voran das London Speakers Bureau, das viele Prominente vermittelt. Als Abendempfang, Mittelstandsevent, Kamingespräch oder Fachmesse werden die Anlässe bezeichnet, die Gastgeber waren durchweg Finanz- und Beratungsfirmen.

Bis zu 15.000 Euro nahm Lindner pro Event. Die Gegenleistung formulierte ein Gastgeber – die Kommunikationsagentur Lohmann and Friends in Krefeld – so: „Ob Eigenverantwortung, unternehmerisches Handeln, intelligente Einwanderungspolitik, Steuern, Europa, Forschung und Digitalisierung, Bildungs- und Gesundheitswesen oder Jamaika – Christian Lindner spielte die komplette FDP-Klaviatur mit deutlicher Lindner’scher Lead-Note: klar, stringent, pointiert und fordernd.“

Ob das eine Gegenleistung ist, die das Honorar rechtfertigt, ist letztlich Geschmackssache. Im erläuternden Infobrief des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags über „Geldwerte Zuwendungen an Abgeordnete“ vom 29. Juli 2014 werden Leistungen ohne angemessene Gegenleistung auch als „arbeitsloses Einkommen“ bezeichnet. Ein bisschen Recherche und Vorbereitungszeit sollte also in einem Vortrag schon stecken. Immerhin hat Lindner die Wahl getroffen: Mit der Annahme von Honoraren und der Meldung an den Bundestag entschied er sich dafür, dass er an diesen Veranstaltungen nicht in Ausübung des Mandats teilgenommen hat. Er trat demnach als Parteichef auf oder als Politikwissenschaftler (so bezeichnet sich Lindner auf der Bundestags-Webseite).

Solche Rednerauftritte und Vortragstätigkeiten finden in einer Grauzone statt. Der Kasseler Rechtsprofessor Felix Welti ist allerdings der Meinung, dass Verschärfungen im Abgeordnetengesetz oder in den Verhaltensregeln wenig bringen würden. „Wenn Schauspieler oder auch prominente Journalisten hohe Honorare bekommen für solche Anlässe, dann ist es schwierig, sie Mitgliedern des Bundestags zu verwehren, wenn sie diese als Nebentätigkeit betrachten und als solche angeben.“ Gerade bei Redeauftritten sei auch schwer zu trennen zwischen mandatsbezogenen Anlässen, bei denen Geld allenfalls als zu veröffentlichende Spende genommen werden darf, und Vorträgen im Rahmen einer Nebentätigkeit.

Unmöglich sei die Abgrenzung aber nicht: Werde etwa für die Rede ein Abgeordnetenmitarbeiter oder die Fahrbereitschaft in Anspruch genommen, könne sie nicht Nebentätigkeit sein. Mit inhaltlichen Bewertungen oder Vorschriften komme man dagegen nicht sehr weit. Und bei generellen Verboten stelle sich schnell die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit. „Bei der Transparenz ist schon viel erreicht worden“, betont Welti. Die Bürger könnten sich aus den Angaben durchaus ein Bild machen. Allenfalls eine Obergrenze für Nebeneinkünfte hält der Jurist für machbar. Diese müsste dann aber für alle gelten.

Wawzyniak: Einkünfte "auf Euro und Cent" angeben

Die Berliner Linken-Politikerin Halina Wawzyniak, die bis Oktober im Bundestag saß, hat sich immer wieder über die Nebenverdienstregelungen Gedanken gemacht. Sie war selbst als Abgeordnete gelegentlich anwaltlich tätig, um ein bisschen „in Übung zu bleiben“, wie sie sagt. Von einem generellen Nebentätigkeitsverbot hält sie nichts. Denn manchen Abgeordneten gehe es weniger um das Verdienen als darum, Kontakt zum Beruf zu halten. „Sie wollen mit der Nebentätigkeit den Anschluss nicht verlieren, um so leichter in den Beruf zurückkehren zu können“, sagt Wawzyniak. Wichtig sei, dass das Mandat weiter im Mittelpunkt stehe.

Eine Lücke in den Regelungen hat sie aber ausgemacht: Es fehle eine Veröffentlichungspflicht von Unternehmensbeteiligungen und Einkünften aus Kapitalbeteiligungen oder Vermietungen. Außerdem sollten die Einkünfte konkret „auf Euro und Cent“ angegeben werden statt in Spannen. Allerdings sollte auch möglich sein, dass gerade Selbständige die für die Nebeneinkünfte zwingend notwendigen Ausgaben gegenüber dem Bundestag angeben dürfen. Auch Welti hält das für denkbar, damit so das tatsächlich zu versteuernde Einkommen deutlich wird. „Wenn es der Klärung der Verhältnisse dient, spricht da nichts dagegen.“

Dieser Text erschien am 20. Februar 2018 in "Agenda", einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint.

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