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Sicherheitskosten, Preußischer Kulturbesitz, Repräsentation des ganzen Landes - ein Vertrag mit dem Bund soll die Hauptstadtlasten neu verteilen.

© picture alliance / dpa

Berlin: Was ist die Hauptstadt wert?

Berlin repräsentiert ganz Deutschland. Das kostet viel Geld. Ein Vertrag mit dem Bund soll die Lasten neu verteilen. Was wir von Australien lernen können.

Von Ulrich Zawatka-Gerlach

Geld für Berlin, das ist ein zähes Geschäft. Am 3. April dieses Jahres schrieb der Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) an die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), um ihr mitzuteilen, dass der Senat über einen neuen Hauptstadtfinanzierungsvertrag verhandeln wolle. Die geltende Vereinbarung läuft erst Ende 2017 aus, trotzdem drängt die Zeit. Denn im September nächsten Jahres wird das Berliner Abgeordnetenhaus neu gewählt, ein Jahr später der Bundestag. Damit die Frage, was die Hauptstadt dem Bund wert ist, nicht in zwei Wahlkämpfen untergeht, hofft Müller bis zum Frühjahr 2016 auf ein Verhandlungsergebnis.

Das ist ein ambitionierter Zeitplan. Seit Anfang der neunziger Jahre, als Berlin endlich wieder Regierungs- und Parlamentssitz war, wurden nach zähen Verhandlungen eine Reihe von Verträgen geschlossen, die den besonderen Status der Hauptstadt in Geld aufwiegen. Es dürften jährlich etwa 450 Millionen Euro sein, genaue Zahlen gibt es nicht. Auch keine verbindliche Definition, was hauptstadtbedingt ist. Im Grundgesetz steht seit 2006 nur: „Die Repräsentation des Gesamtstaates in der Hauptstadt ist Aufgabe des Bundes. Das Nähere wird durch Bundesgesetz geregelt.“ Diese gesetzliche Regelung fehlt bis heute.

Deshalb bleibt die Frage, wie sich der deutsche Staat in Berlin präsentieren soll und was das kostet, weiterhin Verhandlungssache.

Die neuen Gespräche zwischen dem Bund und seiner Hauptstadt, die im August dieses Jahres begannen, werden sich am geltenden Vertrag „über die aus der Hauptstadtfunktion Berlins abgeleitete Kulturfinanzierung und die Abgeltung von Sonderbelastungen der Bundeshauptstadt“ orientieren. Eine Vereinbarung, die Ende 2007 für zehn Jahre abgeschlossen wurde, unterschrieben vom damaligen Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und von Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD). Beide Parteifreunde waren sich herzlich abgeneigt, was den Gesprächen nicht gut bekam, sie standen mehrfach vor dem Abbruch. „Wir dürfen nicht zulassen, dass Berlin am Ende mehr zahlt als bekommt“, schimpfte auch der SPD-Landeschef. Er hieß Michael Müller.

Der Vertrag führte zur Bundesfinanzierung vieler Kultureinrichtungen

Dieser Vertrag, der schließlich doch akzeptiert wurde, führte die – 2007 schon vorhandene – Bundesfinanzierung vieler Kultureinrichtungen fort: Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Deutsches Historisches Museum, Akademie der Künste, Berliner Festspiele, Haus der Kulturen der Welt, Internationale Filmfestspiele, Berliner Festspiele, Martin-Gropius-Bau, Hamburger Bahnhof und Stiftung Deutsche Kinemathek. Auch der Hauptstadtkulturfonds wurde für weitere zehn Jahre mit jährlich 9,8 Millionen Euro gefördert.

Für die Sanierung der Staatsoper stellte der Bund einen Festbetrag von 200 Millionen Euro zur Verfügung. Im Gegenzug musste sich Berlin verpflichten, den Landeszuschuss für den gesamten Opernbetrieb um zehn Millionen Euro jährlich aufzustocken. Damit die anderen Musiktheater – Deutsche und Komische Oper – nicht ins Hintertreffen gerieten, bekamen auch sie mehr Geld, auch vom Senat. So gesehen zahlte das Land Berlin den Sanierungsbeitrag des Bundes für die Staatsoper auf Raten zurück. Ein Danaergeschenk, kritisierten Kulturpolitiker und Kunstschaffende damals.

Zum großen Paket gehört auch die „pauschale Abgeltung hauptstadtbedingter Sicherheitsmaßnahmen“ in Höhe von 60 Millionen Euro, die jährlich in die Landeskasse fließt. Hier zeigte sich der Bund besonders knauserig. Denn die tatsächlichen Kosten, vom Schutz der Botschaften über die polizeiliche Begleitung von Demonstrationen bis zum Feuerwehreinsatz, waren und sind viel höher. Eine neue Berechnung des Innensenators Frank Henkel (CDU) liegt bei 146 Millionen Euro jährlich. Allerdings räumt die Innenverwaltung ein, „dass ein klare Abgrenzung, ob ein Einsatz hauptstadtbedingt ist, nicht immer möglich ist“.

Vom Bund finanziert wird auch die U-Bahn-Linie 5, die den Berliner Hauptbahnhof via Pariser Platz mit dem Alexanderplatz verbinden wird. Der Bund hatte sich schon 1994 verpflichtet, dafür 150,8 Millionen Euro je nach Baufortschritt zu zahlen. Im Vertrag von 2007 wurde das noch einmal bestätigt. Von der „Kanzler-Linie“ ist bisher nur die Stummelstrecke zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor in Betrieb. Der rot-rote Senat hatte den Weiterbau im vergangenen Jahrzehnt kräftig behindert. Erst seit 2010 geht es wieder voran.

Der neue Vertrag soll wieder zehn Jahre gelten

Ein Kernstück der Hauptstadtfinanzierung ist seit über 20 Jahren die städtebauliche Entwicklung des Parlaments- und Regierungsviertels, rund um den Spreebogen. Ziel ist die „Unterbringung der Verfassungsorgane des Bundes und regierungsnaher Einrichtungen“, der Bau von Wohnungen, Straßen und Grünanlagen sowie die Ansiedlung privater Dienstleister. Dieses Megaprojekt, für das der Bund bisher 218 Millionen Euro ausgab, gekoppelt an eine Ko-Finanzierung Berlins in Höhe von 123 Millionen Euro, wird voraussichtlich 2018 beendet.

Als hauptstadtbedingt gelten auch die Pflege der sowjetischen Ehrenmale und Soldatenfriedhöfe. Aus Sicht des Berliner Senats sollte der Bund auch die Mehrbelastung der Gerichte durch Klagen des Bundes oder gegen Bundesbehörden bezahlen. Auch bei der Pflege repräsentativer Straßenzüge, etwa der Straße des 17. Juni oder Unter den Linden, sehen die Hauptstädter den Bund in der Pflicht.

Berlin hat sich zum Ziel gesetzt, den Bund mit einem neuen Hauptstadtfinanzierungsvertrag stärker als bisher an der Hauptstadtfinanzierung zu beteiligen. Die Belastungen müssten „vollständig erfasst und ausgeglichen“ werden, steht in Papieren der Senatskanzlei und der Finanzverwaltung. Zentrale Projekte seien angemessen fortzuführen, Mehrausgaben zu berücksichtigen. Der neue Vertrag solle wieder zehn Jahre gelten. Klar ist nur, dass Kulturförderung, innere Sicherheit und hauptstädtische Infrastruktur im Vordergrund der Gespräche stehen. Bisher geben beide Seiten keine Zwischenstände preis.

Der Text erschien in der "Agenda" vom 8. Dezember 2015 - einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint. Die aktuelle Ausgabe können Sie im E-Paper des Tagesspiegels lesen.

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