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Die Parlamentarische Versammlung des Europarats in Straßburg.

© Vincent Kessler/Reuters

Abstimmung im Europarat: Wie halten Sie es mit Russland?

Die Parlamentarische Versammlung des Europarats stimmt heute darüber ab, ob sie ihre Regeln ändert, um Russlands Abgeordneten entgegenzukommen.

Wie halten wir es mit Russland? Diese Frage beschäftigt in dieser Woche auch die Parlamentarische Versammlung des Europarats. Nach der Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim durch Russland 2014 entschied die Versammlung, der russischen Delegation das Stimmrecht zu entziehen. Seitdem nehmen Moskaus Parlamentarier überhaupt nicht mehr an den Plenarsitzungen teil. Doch nun könnte eine Änderung der Geschäftsordnung, über die an diesem Dienstag entschieden werden soll, den Russen den Weg für eine Rückkehr in die Versammlung ebnen.

Im vergangenen Jahr hat Russland seine Zahlungen an den Europarat eingestellt. Eigentlich muss das Land 33 Millionen Euro im Jahr nach Straßburg überweisen. Da Russland am Entscheidungsprozess in der Versammlung nicht mehr teilnehmen könne, sei es „unser Recht, nicht zu bezahlen“, sagte der Duma-Präsident Wjatscheslaw Wolodin. Auch die Türkei kündigte 2017 an, ihre Beiträge für den Europarat zu kürzen. Da beide Länder zu den größten Beitragszahlern gehörten, drohte der Organisation eine finanzielle Krise.

Der Generalsekretär des Europarates, Thorbjørn Jagland, warb daraufhin in Europas Hauptstädten für eine Einigung im Streit mit Russland. Er warnte davor, dass sich das Land ganz aus dem Europarat zurückziehen könnte. Das, so argumentierte der norwegische Sozialdemokrat, würde alle Russen des Rechts berauben, sich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) zu wenden. Aus keinem anderen Mitgliedstaat des Europarats gingen im vergangenen Jahr bei den Straßburger Richtern so viele Beschwerden ein wie aus Russland.

Schon Anfang 2017 reiste der damalige Parlamentspräsident Pedro Agramunt nach Moskau, um eine Wiederannäherung zu erreichen. Bereits damals machte Russland nach Tagesspiegel-Informationen unmissverständlich klar, dass Moskaus Parlamentarier nur in den Europarat zurückkehren würden, wenn die Versammlung ihre Regeln so ändert, dass der Entzug des Stimmrechts nicht mehr möglich ist.

Hürden für Verhängung von Sanktionen sollen erhöht werden

In der Neufassung der Geschäftsordnung, über die nun abgestimmt wird, sind höhere Hürden für die Verhängung von Sanktionen vorgesehen. Ein entsprechender Antrag müsste künftig von einem Sechstel der anwesenden Abgeordneten gestellt werden, die aus mindestens fünf Ländern kommen. In der Abstimmung im Plenum bräuchte der Antrag später eine Zwei-Drittel-Mehrheit. Zugleich werden die möglichen Sanktionen abgeschwächt: Eine Delegation, der das Stimmrecht entzogen wurde, dürfte dennoch Richter für den EGMR oder einen neuen Generalsekretär mitwählen.

Kritiker sehen im russischen Vorgehen einen Akt der Erpressung: „Der Europarat darf dem Erpressungsversuch des Kremls nicht nachgeben“, sagte die Grünen-Europaabgeordnete Rebecca Harms dem Tagesspiegel. Der Europarat riskiere seine Glaubwürdigkeit, wenn Russland in die Versammlung zurückkehre, ohne eingelenkt zu haben. „Auch angesichts der aktuellen Erkenntnisse im Fall Skripal und der weiter provozierenden Reaktionen aus Moskau wäre die Rückkehr eine Schande.“ Auch der frühere estnische Staatschef Toomas Hendrik Ilves, der ehemalige litauische Premier Andrius Kubilius und mehr als 100 Politiker, Wissenschaftler und Menschenrechtler forderten in einem offenen Brief, die Regeln nicht zugunsten Russlands zu ändern.

Deutsche Abgeordnete befürworten Änderung

Der Leiter der deutschen Delegation in der Parlamentarischen Versammlung des Europarats, Andreas Nick (CDU), sagt dagegen, der Vorwurf, dass die Versammlung mit der Änderung der Geschäftsordnung russische Forderungen erfülle, sei unzutreffend. Schließlich werde der Sanktionsmechanismus nicht abgeschafft. „Außerdem ist völlig klar, dass unsere Position zur Krim-Annexion, zur Ostukraine und zur Menschenrechtslage in Russland unverändert ist“, sagte Nick. „Es nützt in Wahrheit niemandem, den Konflikt so weit zu eskalieren, dass Russland aus dem Europarat ausscheidet.“ Auch der SPD- Abgeordnete Frank Schwabe hält die geplante Änderung der Geschäftsordnung für einen „vernünftigen und guten Vorschlag“. Auf parlamentarischer Ebene sollten Sanktionen „die absolute Ausnahme“ sein, sagte der Vorsitzende der sozialistischen Fraktion im Europarat.

Selbst wenn die Regeln geändert werden sollten, ist derzeit völlig unklar, ob Russland 2019 wieder Abgeordnete nach Straßburg schickt.

Die Parlamentarische Versammlung des Europarats war im vergangenen Jahr von einem Korruptionsskandal erschüttert worden, nachdem bekannt geworden war, dass Abgeordnete Geld aus Aserbaidschan erhalten hatte. Zugleich hatte sich in der Versammlung eine Gruppe von Abgeordneten für die Interessen des autoritär regierten Staates eingesetzt.

Dieser Text erschien am 9. Oktober 2018 in Agenda, einer Publikation des Tagesspiegels, die jeden Dienstag erscheint.

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