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Frank Ulrich Montgomery (63) ist seit vier Jahren Präsident der Bundesärztekammer. Vorher war der gelernte Radiologe lange Chef der Klinikärztegewerkschaft Marburger Bund. Er ist mit einer Ärztin verheiratet und Vater von zwei Kindern.

© Thilo Rückeis

Ärztepräsident Montgomery über Suizidbeihilfe durch Mediziner: „Dann sind wir ganz schnell bei aktiver Sterbehilfe“

Ärztepräsident Frank Ulrich Montgomery spricht im Interview über Sterbehilfe - und über das gestörte Verhältnis der Deutschen zu Schmerzmitteln.

Herr Montgomery, was bedeutet für Sie als Arzt das Wort Barmherzigkeit? Sehr viel. Ich bin ja immer wieder gescholten worden wegen meiner klaren Position, dass es nicht zu den Aufgaben eines Arztes gehört, seine Patienten umzubringen oder ihm dabei zu helfen. Aber wir sollten mal definieren, was Barmherzigkeit wirklich bedeutet. Aus meiner Sicht ist es barmherziger, einem Menschen die Möglichkeit zu geben, sein Leben in Würde zu Ende zu bringen, mit moderner Palliativmedizin und guter Hospizarbeit, als ihm zu einem schnellen, vorzeitigen Exit zu verhelfen.

Was wäre so schlimm daran, wenn Ärzte extrem Leidenden unter strengen Vorgaben Suizidbeihilfe leisten dürften?
Das Schlimme daran wäre, dass sich keiner mehr sicher sein könnte, ob es dem behandelnden Mediziner wirklich um den Lebenserhalt geht. Wenn man nicht mehr weiß, ob er als Lebenserhalter oder Lebensbeender ans Bett tritt, wäre das Verhältnis zum Patienten zerstört.

Ist das Verhältnis nicht ebenso belastet, wenn der Patient sterben will, es aber dem Arzt nicht zu sagen wagt aus Angst, ihn in eine schwierige Situation zu bringen?
Wenn es so wäre, hätten Sie recht. Ärzte müssen den Sterbewunsch eines Patienten natürlich ernst nehmen. Aber ich kann Ihnen aus eigener Erfahrung als Strahlenmediziner sagen: Wenn Sie offen darüber reden und statt einem schnellen Suizid eine vernünftige Therapie anbieten, ist dieser Wunsch nach 24 Stunden verschwunden. Ich kann mich nicht erinnern, dass dann noch jemand gesagt hat, er wolle sterben. Und wenn, dann haben wir mit der palliativen Sedierung und einer intensiven Schmerztherapie immer noch genügend Möglichkeiten, ihm zu helfen. Es darf einfach nicht sein, dass das Töten zum ärztlichen Ziel erklärt wird.

Wie wichtig ist Ihnen denn, dass die Sterbehilfe gesetzlich geregelt wird?
Ich könnte auch gut ohne gesetzliche Regelung leben. Wir hätten trotzdem viel erreicht. Denken Sie an die hochwertige, intellektuell anspruchsvolle Debatte der vergangenen Monate. Natürlich wollen wir diese unanständigen Sterbehilfeorganisationen gern verboten haben. Aber wenn rechtliche Fragen nicht zweifelsfrei zu lösen sind und am Ende gar nichts geschieht, ginge die Welt auch nicht unter. Schlimm wäre es nur, wenn die Sterbehilfeorganisationen das dann als Ermunterung verstehen würden. Oder wenn der Antrag von Karl Lauterbach und Peter Hintze durchkäme, der ganz klar auf Euthanasie abzielt. Anders ist deren Satz, Suizidbeihilfe solle unter ärztlicher Begleitung geschehen, nicht zu verstehen.

Wie bitte? Assistierte Beihilfe ist doch etwas völlig anderes als aktive Sterbehilfe ...
Ein guter Arzt würde seinem Patienten nie im Leben einen Medikamentencocktail hinstellen und dann den Raum verlassen, damit er nicht belangt werden kann. Und er würde ihm auch niemals ein nur für Tiere zugelassenes Medikament, nämlich Pentobarbital, geben. Wenn Sterbehilfe zur Aufgabe von Ärzten würde, müssten sie beim Patienten bleiben und es auch richtig machen. Sie dürften ihm nicht den Schierlingsbecher reichen, sondern müssten ihm das Gift intravenös verabreichen. Dafür müssten sie dann auch ausgebildet sein, sie müssten eine Haftpflichtversicherung haben für den Fall, dass etwas schiefgeht. Und es müsste dafür auch eine Gebührenordnungsziffer geben, denn ohne die darf kein Arzt etwas tun. An alldem sehen Sie, wie pervers das Ganze wäre.

Sie haben die Debatte gelobt. Tatsächlich scheint die Kompetenz der Beteiligten aber nicht sehr hoch zu sein. Die Verwechslung von passiver, aktiver, indirekter Sterbehilfe und assistiertem Suizid ist gang und gäbe.
Das stimmt, aber Debatten bieten ja auch die Möglichkeit, dazuzulernen. Zum Beispiel wurde immer wieder der Suizid von Gunther Sachs, Fritz J. Raddatz oder Udo Reiter herangezogen. Dabei ist das gar nicht unser Thema. Das sind Menschen, die ihres Lebens müde waren. Beim assistierten Suizid geht es um Menschen, die schwerst körperlich leiden. Und auch denen können wir mit palliativer Sedierung helfen, dafür brauchen wir kein Gesetz.

Haben Sie denn Belege dafür, dass erlaubte Suizidbeihilfe die Suizidrate erhöht?
Ja, die habe ich. Es gibt Statistiken, die belegen, dass überall dort, wo es solche Angebote gibt, die Nutzung steigt. Im US-Bundesstaat Oregon zum Beispiel.

Das stimmt nicht. In Oregon hat sich die Suizidrate trotz erlaubter Suizidbeihilfe seit 17 Jahren nicht erhöht ...
Doch, sehen Sie, hier auf meinem Laptop habe ich die Kurve der Statistik. Das sind offizielle Regierungszahlen.

Die Steigerung liegt 2014 bei 3,2 Promille. Das ist verschwindend gering und hängt mit der Bevölkerungszunahme zusammen. Aber lassen wir die Zahlenspiele. Sie fürchten, dass man sich mit dem assistierten Suizids auf eine schiefe Ebene begeben würde?
Ja. Sie wissen, dass die Schwelle etwa in den Niederlanden, wo es seit 20 Jahren Euthanasie gibt, immer weiter sinkt.

In Holland geht es um aktive Sterbehilfe. Die will hierzulande keiner.
Der Antrag von Lauterbach und Hintze läuft aber, wie ich klarzumachen versucht habe, auf solche Euthanasie hinaus.

Es ist doch ein Riesenunterschied, ob die Tatherrschaft beim Sterbewilligen bleibt oder ob ein Arzt die Tötung vornimmt. Sehen Sie diesen Unterschied nicht?
Viele der Patienten, von denen wir reden, wären gar nicht in der Lage, sich selber zu töten. Sie sind durch ihre Krankheit so verändert, dass eine Tatherrschaft im rechtlichen Sinn nicht mehr gegeben ist. Oder sie sind dazu körperlich nicht mehr imstande. Dann muss das jemand für sie machen, und wir sind ganz schnell bei der aktiven Sterbehilfe.

Der Ärztepräsident über die besondere Rolle der Medizin beim Sterben

In Umfragen stemmt sich eine klare Mehrheit der Bürger gegen jedes Verbot von Sterbehilfe. Worauf führen Sie das zurück?
Ich kann das verstehen. Es ist eine Art Optionsmentalität. Viele möchten einfach die Möglichkeit haben, am Ende selber zu entscheiden.

Viele bekommen auch mit, wie schlimm es in manchen Krankenhäusern abläuft: Apparatemedizin, Lebenserhaltung um jeden Preis ...
Das ist ein anderes Thema, da geht es um die Durchsetzung der Patientenverfügung. Wo Menschen ihren Willen klar geäußert haben, gibt es keine Übermedikamentierung mehr. Unser Problem ist, dass wir diesen Willen oft nicht kennen.

30 Prozent der Ärzte sind für Suizidbeihilfe. Das ist nicht wenig bei einer Frage, bei der es um Leben und Tod geht.
Wir kriegen bei ethischen Fragen, gleich welcher Art, niemals eine klare Übereinstimmung. Aber bei den Umfragen kam auch heraus, dass die Zustimmung umso geringer ist, je näher Ärzte bei den Sterbenden sind. Bei Onkologen oder Palliativmedizinern sind es weniger als neun Prozent, während viele junge Ärzte das ganz anders sehen. Und wissen Sie: Einstimmigkeit bei solchen Fragen würde mich auch nervös machen. Weil es an Systeme erinnert, die wir hier nicht haben und nicht wollen.

Der Berliner Arzt Michael de Ridder sagt, Sie wollten mit ihrer Positionierung gegen Suizidbeihilfe das Gewissen der Ärzte gleichschalten ...
Das ist Blödsinn. Wir haben eine offene Debatte, jeder äußert seine Meinung. Ich habe die Meinung des Deutschen Ärztetages zu vertreten, wo sich eine Dreiviertelmehrheit gegen Suizidbeihilfe ausgesprochen hat.

In Kliniken wird oft eine andere Form der Sterbehilfe praktiziert: Leidende im Endstadium erhalten so großzügig Schmerzmittel, dass sie das nicht überleben. Müsste man da nicht auch genauer hinschauen?
Wir haben eines der restriktivsten Betäubungsmittelgesetze der Welt. Das liegt daran, dass in den 20er Jahren ein erheblicher Teil der Ärzte morphinsüchtig war und man uns vor uns selbst schützen wollte. Wir haben in Deutschland noch immer ein gestörtes Verhältnis zu Schmerzmitteln. Das ändert sich heute aber durch gute Anästhesisten. Es gibt klare Richtlinien für Schmerztherapie. Wer sich daran hält, und das sollte er, gibt den Patienten nicht mehr Schmerzmittel, als sie vertragen.

Die Palliativmedizin steckt noch immer in den Kinderschuhen. Auf dem Land zum Beispiel ist die Versorgung nach wie vor sehr lückenhaft.
Wir sind aber schon viel weiter als noch vor zehn oder 15 Jahren. Gerade hat der Bundestag einen Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, der dafür 180 bis 200 Millionen Euro vorsieht. Das ist ein tolles Signal.

Auch Schmerzmedizin hat ihre Grenzen. Woher nehmen Sie das Recht, schwerst Leidenden zu sagen: Ihr dürft euch nicht vom Arzt beim Suizid helfen lassen?
Ich nehme ihnen nicht das Recht, sich helfen zu lassen. Und auch nicht, es selber zu tun. Ich nehme ihnen nur die Illusion, dass das klinisch sauber und schmerzfrei von anderen zu erledigen sei. Mit Verlaub: Das müssen sie schon selber machen.

Wenn’s mit dem Patienten hart auf hart geht, drücken Sie sich?
Überhaupt nicht. Ich begleite ihn zu einem Palliativmediziner. Der wird ihn sedieren, ihm den schlimmsten Schmerz nehmen. Und wenn der Patient aufwacht, steht er womöglich wieder ganz anders zum Leben.

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