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Der 2010 verstorbene Dirigent Otmar Suitner leitete die Staatskapelle von 1964 bis 1990. Sein Sohn Igor Heitzmann hat einen Dokumentarfilm über ihn gedreht.

© Mike Wolff

450 Jahre Staatskapelle Berlin: Persönlichkeiten am Pult

Ein Orchester wird immer auch von seinen Dirigenten geprägt. Bei der Berliner Staatskapelle hatten im Laufe von 200 Jahren einige der bedeutendsten Musiker überhaupt diese Rolle inne.

Musik ist, sofern sie nicht solistisch entsteht, immer Produkt einer Gemeinschaft. Es sind die Musikerinnen und Musiker, die als Ensemble den Klang hervorbringen. Und doch steht da einer (oder, in den letzten Jahren häufiger, eine) ganz vorne und gibt viel mehr als nur Einsätze. Dirigenten prägen mit ihren Klangvorstellungen, ihrer Persönlichkeit und Programmatik ein Orchester, oftmals über Jahrzehnte. Logisch also, dass eine Geschichte der Berliner Staatskapelle immer auch eine Geschichte der Männer ist (bisher gab es noch keine Frauen), die an ihrem Pult standen – eine illustre Reihe großer, bekannter Namen, auch wenn Ämter und Aufgaben im Laufe der Zeit einem Wandel unterlagen und auch die Bezeichnungen changieren: „Hofkapellmeister“, „Generalmusikdirektor“, „Musikalischer Leiter“, „Chefdirigent“.

Im Barockzeitalter – und selbst noch bei Beethoven – waren die Ensembles so klein, dass meist der Stimmführer der ersten Violinen die Leitungsfunktion ausüben konnte. Mit wachsender Zahl der Musikern genügte das nicht mehr, eine Leitungsperson war erforderlich. Für die Staatskapelle setzt man den Beginn der Entwicklung mit Gaspare Spontini an, einem Italiener aus der Nähe der Adriastadt Jesi, der zugleich Komponist war – was von leitenden Dirigenten damals durchaus erwartet wurde. König Friedrich Wilhelm III. hatte Spontini 1820 als ersten Generalmusikdirektor nach Berlin geholt, er blieb über 20 Jahre. Seine Oper „Agnes von Hohenstaufen“ wurde 1829 im Königlichen Opernhaus uraufgeführt – im gleichen Jahr, in dem auch Felix Mendelssohn Bartholdy seine wohl heroischste Tat vollbrachte (als 20-Jähriger!): die Wiederentdeckung und Wiederaufführung von Bachs Matthäus-Passion in der Berliner Sing-Akademie. Auch Mitglieder der Staatskapelle waren an diesem epochalen Musikereignis beteiligt.

Giacomo Meyerbeer kehrte von Paris zurück nach Berlin

Mendelssohn Bartholdy war dann 1842 selbst kurzzeitig Generalmusikdirektor der Staatskapelle, konnte aber in dieser Position nicht die gleiche prägende Wirkung entfalten wie als Komponist, seine Aufmerksamkeit galt eher dem Gewandhaus in Leipzig oder einer England-Reise. So übernahm bald ein anderer prominenter Name, Giacomo Meyerbeer, der in Paris riesige Erfolge mit seinen Grand opéras gefeiert hatte und jetzt in seine Heimat zurückkehrte – er war in der Nähe von Berlin zur Welt gekommen. Auch Otto Nicolai, heute vor allem bekannt als Komponist der „Lustigen Weiber von Windsor“, wirkte kurzzeitig an der Staatskapelle, verstarb aber schon mit 39 Jahren.

Wie jede Metropole lebt auch Berlin von Zuwanderung, im Fall der Staatskapelle hieß das häufig: Österreich – oder Bayern. Ab 1898 war Richard Strauss 1. Hofkapellmeister, 1908 wurde er Generalmusikdirektor. Strauss’ große Zeit in Berlin währte 20 Jahre, bis 1918, und auch wenn er seine beiden grandiosen avantgardistischen Opern „Salome“ und „Elektra“ mit einer anderen Staatskapelle (der in Dresden) uraufgeführt hat, war seine Tätigkeit in Berlin doch ein Höhepunkt seiner Karriere als Dirigent und Komponist. Im Haus Heerstraße 2 in Westend, wo er von 1913-1917 lebte, erinnert eine Gedenktafel daran, dass hier seine Opern „Die Frau ohne Schatten“ und „Ariadne auf Naxos“ entstanden waren.

Die großen Name purzeln nur so durcheinander

Strauss’ Nachfolger als Generalmusikdirektor war Leo Blech, der mit Unterbrechung bis weit in die 1930er Jahre hinein an der Staatsoper wirkte und trotz der Tatsache, dass er Jude war, auch im NS-Reich noch dirigieren konnte, was auf den Einsatz des Berliner Generalintendanten Heinz Tietjen zurückzuführen war. Unter einem seiner Nachfolger, dem Österreicher Erich Kleiber (Vater des als Dirigent noch legendäreren Carlos Kleiber) erlebte Alban Bergs Oper „Wozzeck“ ihre Uraufführung in Berlin. Die großen Namen purzeln jetzt nur so durcheinander, auch wenn nicht alle lange blieben oder bei der Staatskapelle den Zenit ihres Schaffens erlebten. Wilhelm Furtwängler oder Herbert von Karajan kennt man heute natürlich vor allem als Chefdirigenten der Berliner Philharmoniker, aber auch sie hatten einst die Staatskapelle geleitet.

Zwei weitere Österreicher prägten die Nachkriegsära: Franz Konwitschny, dessen Sohn Peter Konwitschny später als ingeniöser Regisseur die Opernbühnen aufmischte, war Generalmusikdirektor von 1955 bis zu seinem Tod 1962. Ihm folgte Otmar Suitner, der mit kurzer Unterbrechung bis 1991 Generalmusikdirektor war und 2010 in Berlin verstarb; unter seiner Leitung unternahm die Staatskapelle viele Reisen ins nichtsozialistische Ausland (siehe Text von Misha Aster, Seite 11).

Der politische Umbruch von 1989/90 fiel zusammen mit einem musikalischen. Seit 1992 ist Daniel Barenboim nun schon Chef der Berliner Staatskapelle, als eine der bekanntesten Musiker der Klassik hat er sie zu Weltruhm geführt und in Berlin auch an anderer Stelle, unabhängig von der Staatskapelle, Bleibendes hinterlassen: Die Barenboim-Said-Akademie mit dem sehr populären Pierre Boulez Saal, ein Entwurf von Frank Gehry. Die Musikerinnen und Musiker der Staatskapelle haben ihn auf Lebenszeit zum Chefdirigenten gewählt. Allerdings können sie das nicht entscheiden, sondern die Senatskulturverwaltung – und die hat seinen Vertrag vergangenes Jahr bis 2027 verlängert. Für eine mögliche Zeit nach Daniel Barenboim steht zum Beispiel der 26-Jährige Thomas Guggeis. Er war sein Assistent, ist aktuell Kapellmeister in Stuttgart und hat vergangenes Jahr sein erstes Konzert bei der Berliner Staatskapelle dirigiert.

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