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Nach langem Hin und Her erklärte sich Professor Helmut Gollwitzer bereit, mit den Studenten zu sprechen. Er machte allerdings zur Bedingung, dass sein Erscheinen nicht dazu benutzt würde, den Sitzungssaal zu stürmen. Die Studenten erklärten sich damit einverstanden.

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1968 im Tagesspiegel: Studenten blockieren Fakultätssitzung der Philosophen an der FU

Vor 50 Jahren berichtete der Tagesspiegel über die Ereignisse an der Philosophischen Fakultät der Freien Universität

Wie hat der Tagesspiegel das Jahr 1968 begleitet? Wir publizieren regelmäßig einen ausgewählten Text aus der Zeitung von vor 50 Jahren – zur Studentenbewegung, sowie zu anderen Themen, die die Stadt und die Welt bewegt haben. Am 1. Februar 1968 ging es um Studentenblockaden an der Freien Universität.

In die mehrstündige Belagerung einer Sitzung der rund 80 Professoren der Philosophischen Fakultät ging gestern eine Vollversammlung von etwa 1000 Studenten aller Fakultäten der Freien Universität über, die wegen der einwöchigen Einstellung des Lehrbetriebes am Romanischen Seminar zu 14 Uhr ins Auditorium maximum einberufen worden war. Nachdem auf der Vollversammlung zunächst die Vorgänge am Romanischen Seminar diskutiert worden waren, zog ein großer Teil der Studenten gegen 17 Uhr 20 vor den Sitzungssaal, in dem die Professoren tagten. Damit wollten die Studenten ihrer Forderung nach öffentlicher Beratung in akademischen Gremien Nachdruck verleihen. Die Studenten versuchten, die Tür zum Vorraum des Sitzungssaales gewaltsam aufzubrechen, was mißlang.

Noch während die Studenten im Auditorium maximum berieten, hatte einer der beiden studentischen Fakultätssprecher, die an der Sitzung der Professoren teilnahmen, die Sitzung verlassen, da er sich nicht mehr an die bisher geübte Vertraulichkeit solcher Sitzungen halten wollte und die Professoren daraufhin erwogen, ihn von der weiteren Beratung auszuschließen. Er erklärte, die Fakultät habe auch die studentische Forderung abgelehnt, die Ereignisse am Romanischen Seminar sofort zu diskutieren. Eine studentische Delegation wurde daraufhin zu den Professoren gesandt, um eine sofortige und öffentliche Beratung der Vorgänge am Romanischen Seminar zu fordern, die im Auditorium maximum stattfinden sollte. Auf der Fakultätssitzung der Professoren wurde jedoch beschlossen, die Tagesordnung wie vorgesehen zu beraten, allerdings die Frage der Öffentlichkeit von Sitzungen akademischer Gremien als weiteres Thema aufzunehmen.

In einem Beschluß forderte die Vollversammlung die beiden studentischen Fakultätssprecher daraufhin auf, die Sitzung zu verlassen, um nicht "als Alibi für eine scheindemokratische Universität zu dienen". Ferner beschloß man mit großer Mehrheit, sofort vor den Sitzungssaal der Professoren zu ziehen und dort eine öffentliche Beratung zu erwirken. Es versammelten sich etwa 500 Studenten im Treppenhaus und auf den Fluren vor dem Sitzungssaal der Professoren und diskutierten ihr weiteres Vorgehen. Ein Studentenvertreter bezeichnete die Handlung der Studenten als gute Antwort auf das Vorgehen der Professoren in der letzten Woche. Man habe Aussperrung durch Einsperrung ersetzt. Entsprechend einem Beschluß der versammelten Studenten sollte dann versucht werden, sich mit einem Nachschlüssel Eintritt in den Sitzungssaal zu verschaffen. Da man jedoch keinen derartigen Schlüssel zur Verfügung hatte, wurde dies mit Messern und einem Meißel versucht. Etwa nach einer Stunde erschienen vor dem Gebäude drei Funkwagen und etwas später ein Mannschaftswagen der Polizei.

Einige Studenten öffneten den Stromverteilerkasten und drehten die Sicherungen heraus. Die Professoren tagten daraufhin bei Kerzenlicht weiter. Mehrere Studenten telephonierten mehrmals mit der Fakultät und versuchten, ihnen den Standpunkt der Studenten klarzumachen. Nach langem Hin und Her erklärte sich schließlich Professor Helmut Gollwitzer bereit, mit den Studenten zu sprechen. Er machte allerdings zur Bedingung, daß sein Erscheinen nicht dazu benutzt würde, den Sitzungssaal zu stürmen. Die Studenten erklärten sich damit einverstanden. Professor Gollwitzer erschien gegen 19 Uhr 15 vor der Tür des Sitzungssaales und sprach zu den anwesenden Studenten. Er erklärte ausdrücklich, daß er auf eigene Initiative vor den Studenten erschienen sei, und daß sein Schritt die Mißbilligung der Fakultät gefunden habe. Seiner Meinung nach sei die Diskussion auf eine neue und viel schlechtere Ebene gerückt, weil die Studenten versucht hätten, gewaltsam in den Sitzungssaal einzudringen. Nach Meinung Professor Gollwitzers sei damit zu rechnen, daß die Fakultät noch am Abend den Vertraulichkeitspassus ändern werde und. zwar dahingehend, daß die Besprechungen in der Fakultät in Zukunft nicht mehr vollständig geheim sein sollten. Nach Meinung Gollwitzers werde die Fakultät allerdings nicht bereit sein, einen Beschluß über eine öffentliche Sitzung dieses Gremiums zu fassen. Gollwitzer sagte, wenn der Lehrkörper der Fakultät in das Auditorium maximum zöge, um, mit den Studenten dort zu diskutieren, sei das nach der Satzung keine Fortsetzung der Fakultätssitzung, sondern eine Diskussion, und aus diesem Grunde wolle die Fakultät einem solchen Anliegen nicht zustimmen. Wörtlich erklärte Professor Gollwitzer: "Dafür wäre ich auch nicht." Nach Meinung Professor Gollwitzers ist der Versuch, die Tür zum Sitzungssaal aufzubrechen, eine Aktion, die bisher einmalig gewesen ist.

Der AStA-Vorsitzende Wolfgang Landsberg erklärte daraufhin, die Studenten hätten eine Woche lang nach Einstellung des Lehrbetriebs am Romanischen Seminar auf eine Diskussion mit dem Rektor oder der Fakultät gewartet. "Jetzt ist unsere Geduld am Ende." Der Student Walter Kreipe sagte zu dem Angebot Professor Gollwitzers, heute mit dem Lehrkörper der Philosophischen Fakultät über die Probleme der Studenten im Auditorium maximum zu diskutieren, daß die Studenten gebrannte Kinder seien. Bereits vor zwei Jahren habe sich der Rektor der Freien Universität bereiterklärt, mit den Studenten zu diskutieren und habe das monatelang vor sich hergeschoben.

Nach der Rede Gollwitzers beschlossen die versammelten Studenten, eine neue Delegation in die Fakultätssitzung zu schicken. Diese sollte die Forderung der Studenten überbringen, die Fragen der Öffentlichkeit von Fakultätssitzungen und die Ereignisse am Romanischen Seminar am nächsten Tag öffentlich zu diskutieren. Dafür wurde den Professoren eine Frist von 30 Minuten gesetzt. Nachdem die studentische Delegation nicht in die Sitzung eingelassen worden war, erschien Professor Gollwitzer nach 30 Minuten erneut und erklärte, die beiden studentischen Fakultätssprecher hätten "selbstverständlich das Recht, jederzeit an der Sitzung wieder teilzunehmen". Die Fakultät habe es jedoch mit knapper Mehrheit abgelehnt, die studentische Delegation zu empfangen.

Kurz darauf war die Tür zum Vorraum des Sitzungssaales durchbrochen, und verschiedene Studenten versuchten, durch sie in den Sitzungssaal zu gelangen, an der Spitze SDS und "Kommune"-Mitglieder. Dabei entstand ein Handgemenge, als sich andere Studenten ihnen entgegenstellten. Auch die Versammlungsleitung forderte die Studenten auf, nicht in den Sitzungssaal einzudringen. Statt dessen sollten die Professoren, wie die Studenten beschlossen, ultimativ aufgefordert werden, die studentische Delegation zuzulassen. Der Alternativvorschlag, sich gewaltsam Zutritt zum Sitzungssaal zu verschaffen, wurde abgelehnt. Noch während der Diskussion, an der sich weiterhin Professor Gollwitzer beteiligte, erschienen jedoch die Professoren der Philosophischen Fakultät und versuchten, sich an den versammelten Studenten vorbei auf die Straße zu drängen. Dabei kam es wiederum zu einem Handgemenge, als Studenten versuchten, die Professoren an ihrem Vorhaben zu hindern. In dem Tumult forderte der AStA-Vorsitzende Landsberg die Studenten auf, sich hinzusetzen und die Professoren durchzulassen. Es wurde gesagt, die Professoren sollten demonstrieren, daß sie an den Interessen der Studenten vorbeigehen müssen. Von dem SDS-Mitglied Preuss wurde den durchdrängenden Professoren zugerufen, "mit diesem Abgang hat sich die deutsche Ordinarien-Universität ad absurdum geführt". Der Vertreter der Privatdozenten der Philosophischen Fakultät erklärte den Studenten sein tiefes Bedauern darüber, "daß wir nicht in der Lage gewesen sind", die weiteren Tagesordnungspunkte zu beraten. Dabei wäre, wie er sagte, auch der Paragraph der Nichtöffentlichkeit von Fakultätssitzungen wahrscheinlich abgeschafft worden. Nach dem Auszug der Professoren vertagte sich die studentische Versammlung und beauftragte den Allgemeinen Studentenausschuß, noch in dieser Woche einen Termin für die öffentliche Diskussion der noch ausstehenden Fragen mit den Professoren tu vereinbaren. (heb/P. B.)

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