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Doppelstockbus der BVG an der Goldelse - Berlin 1966

© imago/Gerhard Leber

1968 im Tagesspiegel: BVG prüft Beschwerden über Schaffner - Schwierige Kurfürstendamm-Fahrgäste

Vor 50 Jahren gab es Kritik an den Schaffnern der BVG

Wie hat der Tagesspiegel das Jahr 1968 begleitet? Wir publizieren regelmäßig einen ausgewählten Text aus der Zeitung von vor 50 Jahren – zur Studentenbewegung, sowie zu anderen Themen, die die Stadt und die Welt bewegt haben. Am 9. Juni 1968 berichtet der Tagesspiegels über Schaffner und Fahrgäste der BVG.

Schaffner bei der BVG müssen kassieren, klingeln und kontrollieren, sie sollen laut Dienstanweisung ferner auch noch verbindlich und höflich sein, beim Einsteigen helfen und sich ganz allgemein um die Fahrgäste kümmern. Daß es daran mitunter hapert, scheint bei etwa 2200 Schaffnern und täglich 2,2 Millionen Kunden nicht überraschend. Bitterböse Briefe über "BVG-Rüpel" gingen allerdings bei uns ein, nachdem der Tagesspiegel im Mai "Sechs Beschwerden gegen einen Schaffner" geschildert hatte. Die Beschwerden bei der BVG wie deren eigene üble Erfahrungen halten sich indes in derart engen Grenzen, daß der Direktor für Oberflächenverkehr, Piefke, nicht den "geringsten Anlaß zu Bedenken oder Sorge" sieht. Schwarze Schafe sind, wie es heißt, unter den Uniformierten in den Bussen seltener als anderswo. Umgekehrt beanstandet die BVG, auf Unausgeschlafene und Morgenmürrische wirkten bereits die Uniformen gelegentlich als rotes Tuch.

BVG prüft jede Beschwerde

Bei uns klagten Leser über Unhöflichkeit, Rücksichtslosigkeit, Unverschämtheit und Fahrlässigkeit, in den meisten Fällen eines mit dem anderen verquickt. Demgegenüber weist man bei der BVG mit einigem Stolz darauf hin, jede an die Gesellschaft gerichtete Beschwerde werde untersucht, der betroffene Schaffner dazu gehört und gegebenenfalls unter die Fuchtel der Disziplinarordnung für Arbeiter und Angestellte des Landes Berlin genommen. Ihm drohen Unterrichtung, Verwarnung, Verweis, Versetzung, Kündigung und fristlose Entlassung, letzteres beispielsweise, wenn er gegen BVG-Kunden tätlich die Hand gehoben hat. Solcher Kündigungsfälle waren es in den letzten Jahren, wie es heißt, nur "ganz wenige". Um von vornherein Unfrieden im Bus zu verhindern, gibt es nach der Schaffnerschule regelmäßige Unterweisungsstunden (5 im Jahr), ständig mahnende Rundschreiben und schließlich eine zivile Kontrolle des Schaffner-Benehmens.

Nach BVG-Auskunft erweisen sich rund 60 Prozent aller Beschwerden als nicht oder kaum berechtigt; in den Briefen stünden "aufgebauschte Nichtigkeiten", mit denen nicht selten zänkische Fahrgäste Schaffner-Streit entzündet hätten. Ferner entstehe häufig fehlgeleitete Entrüstung, wenn ungültige Zeitkarten eingezogen werden oder Unterschriften darauf gleich im Bus nachgeholt werden sollten. Und andere Beschwerden beruhten auf alten Missetaten: Bei den Bussen mit offenen Türen sprangen früher Leute nach Belieben auf und ab. Jetzt halten sie es für Bösartigkeit, wenn der Schaffner die Tür nach seinem Klingelzeichen an den Fahrer nicht mehr öffnet, obgleich der Bus noch an der Haltestelle oder an einer Ampel steht. Mancher Schaffner leiste ferner nur noch schüchterne Ein- und Aussteighilfe, nachdem sich beispielsweise eine alte Dame empört beschwerte, der BVG-Mann habe sie "angefaßt".

Schwierige Kurfürstendamm-Fahrgäste

Ein Schaffner-Bewerber muß 21 Jahre alt sein, wird bei der Einstellung auf Volksschulbildung geprüft, legt während der 14tägigen Schaffner-Schulausbildung eine Vorprüfung ab, übt mit einem Lehrschaffner im Linienverkehr und wird erst nach einer Abschlußprüfung endgültig akzeptiert. "Einige" fallen durch. Interessenten am Stundenlohn von etwa vier Mark, dem sicheren Arbeitsplatz und der Altersversorgung kommen aus allen Berufen; Schaffnerlehrlinge gibt es nicht. Der Ton mag zwar herzlich sein, klingt freilich in manchen Ohren vor allem rauh: "Arbeiter und Schaffner verstehen sich von vornherein in der Art", wie es bei der BVG heißt, oder umgekehrt, "ein Schaffner, der ursprünglich vom Bau kommt, tritt vielleicht mal einem Fahrgast auf den Schlips". Fahrgäste am Kurfürstendamm gelten als die "schwierigsten", das heißt, sie beschweren sich am ehesten.

Insgesamt rühmt man bei der BVG ein "sehr gutes Stammpersonal" mit sehr geringer Fluktuation. Keine Sorgen gibt es auch mit den 120 studentischen Schaffnern - darunter 80 Mädchen - und 15 Fahrern.

Lobschreiben von BVG-Gästen erwähnt Direktor Piefke gern. Auch uns schrieb eine Leserin, es gäbe "so 'ne und solche", lobt Berlinischen Schaffner-Witz und speziell einen "flinken, gutmütigen" Helfer im Bus, der Bonbons für Wimmernde Kinder in der Tasche hatte. Ein Leser schließlich verbindet eine Beschwerde mit folgendem Lob: Manche seien von "geradezu chevalereskem Benehmen und außerordentlicher Freundlichkeit und Rücksichtnahme".

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