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Dieses Pärchen wäre 1968 in den Genuss von "Rosa Zeiten" bei der Bahn kommen.

© Kay Nietfeld/dpa

1968 im Tagesspiegel: Am Rande bemerkt - Rosa Zeiten bei der Bundesbahn

Über 40 Jahre lang erschienen die Kolumne "Am Rande bemerkt" im Tagesspiegel auf der Aufschlagseite des Lokalen.

Wie hat der Tagesspiegel das Jahr 1968 begleitet? Wir publizieren regelmäßig einen ausgewählten Text aus der Zeitung von vor 50 Jahren – zur Studentenbewegung, sowie zu anderen Themen, die die Stadt und die Welt bewegt haben. Am 4.Oktober schrieb Günter Matthes über eine Werbeaktion der Bahn. Günter Matthes hat in Berlin Zeitungsgeschichte geschrieben. "-thes", wie er seine Artikel zeichnete, war eine Instanz, der die Geschicke der Stadt mit unbestechlicher Genauigkeit begleitete.

Mutter und Sohn gehen, Großvater und Enkelin auch, Manager und Freundin sowieso. Vater und Sohn, Mutter und Tochter oder zwei Freundinnen haben, auch wenn letztere keineswegs nach Lesbos reisen wollen, kein "grünes Licht für rosa Zeiten". So nennt ja die Bundesbahn ihre diesjährige Aktion (21. September bis 8. Dezember) zum Füllen leerer Abteile nach der Urlaubssaison. Von "zwei Personen verschiedenen Geschlechts“, die miteinander verreisen, zahlt eine nur 50 Prozent und keinesfalls über 50 DM.

Im vorigen Jahr waren die Bürger über 65 die Privilegierten, wobei das Pensionsalter einzige und eindeutige Bedingung war. Der Ministerialrat a. D. fuhr verbilligt, der 64jährige Angestellte mit 900 Brutto monatlich eben nicht. Es handelt sich nun einmal um Reisewerbung nicht um Wohlfahrt.

Die diesjährige Regelung ist weniger starr, erlaubt sie doch, einen Bund nicht fürs Leben, sondern nur für die Bundesbahn zu schließen. Auf Hauptbahnhöfen sind denn auch Schilder etwa des Inhalts: "Suche Partnerin für rosa Zeiten" aufgetaucht, die rein finanziell gemeint waren. Spätere Doppelzimmer natürlich nicht ausgeschlossen. Bei der Essener Bahndirektion soll ein älterer Herr um Hilfe ersucht haben, weil er so einen "häßlichen Kopf" habe und daher bei der Partnersuche benachteiligt sei. Jenseits solcher Eulenspiegeleien ist sogar im Bundestag nach der rosa Gleichberechtigung gefragt worden.

In Berliner DER-Büros ist das Geschäft bisher ruhig, auch was Beschwerden betrifft. Eine Leserin fragte uns indes, ob hier die menschlichen Beziehungen gefördert werden sollten oder nur die Bundesbahn. Zweifellos letzteres. Rosa Zeiten gegen rote Zahlen. Kann man's der Bundesbahn denn verdenken? - thes

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Günter Matthes

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