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Für die Kollektion "Nobsa" wurde in dem Ort Nobsa extra ein breiter Webstuhl angeschafft, um diese Größe zu weben.

© Andreas Valbuena, Constantin Meyer

Nachhaltig produzieren in Kolumbien: Kolumbianische Reise

Was passiert, wenn europäisches Design auf südamerikanische Handwerkskunst trifft? Der Gestalter Sebastian Herkner besuchte die Dörfer der Töpfer und Teppichknüpfer. Er lernte dort traditionelle Techniken – und schlug Formen vor. Nun profitieren alle davon.

Das Atmen ist anders“ – das war Sebastian Herkners erster Eindruck von Kolumbien, als er vor zwei Jahren in Bogota aus dem Flugzeug stieg. Die Höhe: mehr als 2600 Meter. Die Stadt gehört nicht unbedingt zu den ersten Destinationen, die ein deutscher Designer ansteuert und mit diesen Höhenlagen ist man dann schon gar nicht vertraut.

Es ist nicht bei dieser ersten zweiwöchigen Reise 2015 geblieben. Herkner hatte eine gute Reiseführerin: Ana Mariá Calderón Kayser, Direktorin von ames Design in Koblenz. Die gebürtige Kolumbianerin hatte sich in den Kopf gesetzt, eine eigene Kollektion, kombiniert aus europäischem Design und kolumbianischer Handwerkskunst auf den Markt zu bringen. Sie wollte dem negativen Image den Spirit des Landes entgegensetzen und seine kulturelle Vielfalt zeigen.

Sebastian Herkner hat Erfahrungen gesammelt in der Begegnung von europäischem Design und außereuropäischer Handwerkskunst. „Frau Kayser ist über Bekannte auf mich gekommen, und ich fand das Projekt sehr spannend. Ich hatte kein Bild von Kolumbien“, erzählt der Designer. So ist er zusammen mit ihr und einem ganzen Team, einschließlich Fotograf und Videomannschaft, zwei Wochen durch Kolumbien gereist. Tausende von Kilometern wurden zurückgelegt. Es ging von Santa Marta im Norden Kolumbiens an der Karibikküste bis hinunter nach La Chamba südlich von Bogotá. „Noch vor einigen Jahren hätte man diese Reise nicht unternehmen können“, erzählt Herkner. Es sei zu gefährlich gewesen. Und viele Gegenden seien schwer erreichbar. In diese entlegenen Gebiete ist man dann eben geflogen. Die Kollektion sollte die ganze Bandbreite der Handwerkskunst Kolumbiens abdecken. So entstanden Teppiche, Decken, Keramikgefäße, Taschen und Stühle.

Teppiche als Gemeinschafts-Produktion.
Teppiche als Gemeinschafts-Produktion.

© Andreas Valbuena, Constantin Meyer

Herkner kam erst einmal als Azubi. „Mir war es wichtig, mit weißem Papier und Stift anzureisen, um dann aus der Beobachtung heraus Dinge zu erfinden, aber auch mich auf die Dorfgemeinschaft einzulassen, mit den Handwerkern gemeinsam zu essen und zu trinken. Die Kolumbianer haben mir stolz ihre Produkte und ihre Techniken gezeigt.“

Aber damit nicht genug, Herkner hat diese Fertigkeiten und Werkstoffe selber ausprobiert, um ein Gefühl für das Material zu bekommen. „Mit deutschem Design und professioneller Erfahrung aus Kolumbien wollen wir Dinge entwickeln. Ich komme nicht wie ein Kolonialherr daher, der vorgibt, schon alles zu wissen.“

Design ist für ihn Kommunikation. „Ich gehe dabei intuitiv und schnell vor: Was machen die? Wie geht das? Können die das auch noch größer machen? Was könnte sich bei uns verkaufen? Und die Kolumbianer haben sehr offen und ehrlich reagiert. Eine Töpferin erzählte mir etwa in La Chamba, dass sie die Töpfe eben nicht größer machen können.“

Inspiration aus Tradition und Land

Ein Video zeigt Herkner, wie er an einem Tisch sitzt und Gefäße skizziert, Formen, die sich an den antiken Vorbildern aus dem Nationalmuseum orientieren. Manche Skizze zeigt die Ansicht, andere den Querschnitt, die Dicke der Wandung, eben alles, was Töpfer wissen müssen. Und sie kennen die Grenzen ihres Materials. Man sieht Herkner mit den Töpfern diskutieren, die Zeichnungen in der Hand. Es ist ein Prozess auf Augenhöhe.

Alfonso Miguel Rodriguez, genannt „Don Pacho“, zeigt Herkner, wie das Terrakotta aus der Erde gegraben und anschließend mühsam mit einem Holzstab zerkleinert wird. Anschließend wird mit Wasser ein dunkler Brei angerührt, der schließlich zu einem Ballen geknetet wird. Danach wird er zu einer runden Platte geklopft, die über eine Form gestülpt wird.

Der Designer kam mit Stift und Papier

 Sebastian Herkner reist mit leeren Blättern an und entwirft nach den Begegnungen mit den Handwerkern seine Produkte.
Sebastian Herkner reist mit leeren Blättern an und entwirft nach den Begegnungen mit den Handwerkern seine Produkte.

© Andreas Valbuena, Constantin Meyer

So entstehen die Gefäße für die Kollektion „ames barro“. Eine Frau sitzt an einer Töpferscheibe und formt mit einem leeren Maiskolben den Hals des Gefäßes. Am Ende werden die Rohlinge in ein Ölfass gelegt und in den vorgeheizten Ofen geschoben. Die Zugabe von Kuhmist erzeugt Rauch, der die typische schwarze Farbe hervorruft. „Die Keramik von La Chamba repräsentiert Liebe und Kunst, darum geht es“, resümiert eine stolze Töpferin.

„Eine Keramikfirma hat seit mehr als 100 Jahren das Gleiche produziert, ging damit auch ins internationale Ethno-Geschäft, aber genau das wollen wir nicht. Wir produzieren keine Ethnosouvenirs, sondern vereinen europäisches Design mit kolumbianischer Handwerkskunst“, erzählt Herkner. Und damit werden auch in den Dörfern neue Arbeitsplätze geschaffen, denn die Produkte der Kollektion sind gefragt. Mittlerweile leben 70 Menschen von der Arbeit für ames.

Perspektive durch Handwerk

„Es ist uns gelungen, junge Leute aus der Region zu ermuntern, das Handwerk des Teppichknüpfens zu erlernen“, erzählt Wilson Javier Leon, der seit zwölf Jahren dieses Handwerk in Cajicá betreibt. „Ich habe niemals zuvor mit einem Designer zusammengearbeitet, aber Sebastian Herkner hat uns inspiriert, und wir haben vieles verändert. Jetzt haben wir eine stabile Auftragslage und ein gesichertes Einkommen“, erzählt er.

Darum geht es auch Ana Mariá Calderón Kayser: „Viele Handwerkstechniken waren vom Aussterben bedroht. Die Jungen sahen keine Perspektive, Wissen ging verloren. Diesen Prozess wollten wir stoppen.“ Man habe Mütter und zugleich Aufsichtspersonal für die Kinder einstellen können und dadurch insgesamt mehr Leute aus dem Dorf in Lohn und Brot gebracht. „Das Wichtigste ist jedoch, dass nun die ganze Welt unsere Produkte kennt“ erzählt Leon, der an den „ames nudo“-Teppichen arbeitet, jenen Teppichen, bei denen jede Farbe eine eigene Florhöhe hat. Allein der runde Umriss hat die Knüpfer vor Herausforderungen gestellt, aber sie haben sie gemeistert.

Ana Maria Calderon Kayser will deutsches Design mit Handwerk aus Kolumbien verbinden.
Ana Maria Calderon Kayser will deutsches Design mit Handwerk aus Kolumbien verbinden.

© Andreas Valbuena, Constrantin

Die Zusammenarbeit mit Herkner und ames bringt auch Innovationen in die Dörfer Kolumbiens: „Die Leute im Dorf gratulieren mir, sie sind stolz auf die Arbeit, die wir am horizontalen Webstuhl leisten. Wir wissen jetzt, dass wir mehr als den Ruana, den kolumbianischen Poncho, weben können", erzählt der Weber Ramon. Er produziert jetzt die großen „ames nobsa“-Teppiche. Dazu mussten sie erst einmal einen vier Meter breiten Webstuhl bauen, keine einfache Angelegenheit. „Das Schiff für den Durchschuss kann nun über vier Meter durch den Webstuhl geschickt werden“, erzählt Herkner. „Wir konnten dadurch mehr Leute einstellen und bessere Löhne zahlen. Der Weber Ramon ist glücklich. „Unsere Produkte sind nun in aller Welt zu sehen“, sagt er und fügt hinzu: „Wir knüpfen Träume.“

Verschiedene Regionen und Handwerkskünste

„Ich entwickle die Ideen vor Ort, das erfordert oft Geduld und auch mehrere Prototypen, aber am Ende klappt es dann. Jede Reise bringt neue Inspiration und neue Ideen. Allein wenn ich schon sehe, in welchen Farben die Menschen ihre Häuser, Fensterläden und Türen streichen!“

Hoch oben im Norden Kolumbiens an der malerischen Karibikküste hat Ana Mariá Calderón Kayser den deutschen Designer in das Städtchen Santa Marta geführt. Hier arbeiten jene Flechter, die aus Kunststoffschnüren in der Momposino genannten Technik Stahlgestelle bespannen, so dass Stühle entstehen. Die Technik lernen die Kinder schon in der Schule.

Die schwarze Keramik "Barro" entsteht.
Die schwarze Keramik "Barro" entsteht.

© Foto: Andreas Valbuena, Constrantin

Julio Cesar Bandera Alvaredo hat sein Handwerk in den Straßen von Santa Marta gelernt. Jetzt hat ihn Sebastian Herkner mit neuen Entwürfen herausgefordert und ihn dazu animiert, neue Stühle und Tische zu bespannen. Mit Erfolg. Mittlerweile beschäftigt Alvaredo fünf weitere Mitarbeiter. Und die freuen sich, wenn sie ihre Arbeiten in internationalen Magazinen abgebildet sehen. „Daher sind die Foto- und Filmaufnahmen bei unseren Reisen so wichtig“, sagt Herkner.

Das spannende Projekt wäre vor ein paar Jahren in Kolumbien nicht möglich gewesen. Die Lage hat sich verändert. Im Juli 2017 präsentierte ames design seine Möbel und Accessoires im Rahmen der kolumbianischen Modewoche in Medellín, einst als Drogenstadt bekannt. „Wir wollten Medellín auch als Designmetropole ins Bewusstsein der Welt rücken“, erzählt Kayser.

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