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Beliebte Beeren. Mistelsäfte gehören zum Standard alternativer Krebsheiler.

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Zwielichtige Wunderheiler: Bei Krebs hört die Therapiefreiheit auf

Keine Macht den Quacksalbern: Der Fall des Brüggener Heilpraktikers zeigt, dass die Tumorbehandlung in professionelle Hände gehört. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Hartmut Wewetzer

Man stelle sich vor, ein Pharmakonzern lockte an der Grenze zu einem Nachbarland, in dem strengere Gesetze gelten, mit dort verbotenen Krebstherapien. Versprochen wird eine zu 100 Prozent effektive und natürliche Behandlung. Ungiftig, so gut wie keine Nebenwirkungen, zu einem allerdings stattlichen Preis. Am Ende stellt sich heraus, dass die angeblich so biologische Krebskur schwere, womöglich tödliche Folgen für Patienten hat. Von einer heilsamen Wirkung, außer auf die Konten der Firma, kann dagegen keine Rede sein. Vermutlich würde die Republik Kopf stehen, wenn diese Praxis der Pharmafirma XY enthüllt würde.

Nun, es ist ganz ähnlich passiert, an der Grenze zu den Niederlanden im Städtchen Brüggen. Aber der Geschäftemacher war kein Konzern, sondern ein Heilpraktiker. Das erregt schon wesentlich weniger Schlagzeilen, obwohl es um drei Todesfälle und zwei Krankheitsfälle in Zusammenhang mit dem nicht zugelassenen Krebsmittel 3-Bromopyruvat geht, womöglich auch um etliche weitere Opfer.

Bombastische Heilsversprechen, aber keine Belege

Dass sich die deutsche Öffentlichkeit über mögliche schwere Behandlungsfehler eines Heilpraktikers eher wenig erregt, verwundert kaum. Ist es doch nicht die skrupellose Industrie, die als Täter infrage kommt, sondern ein alternativer Heiler, der einen natürlichen Weg zum Gesundwerden empfiehlt.

Im Repertoire des Brüggener Kurpfuschers ist wirklich so ziemlich alles verzeichnet, was die Parallelwelt der Komplementärmedizin im Kampf gegen Krebs aufbietet: Enzyme, Vitamine, Mistelextrakte, Akupunktur, Neuraltherapie, Bioresonanz, Ozon, „Glukoseblocker“ wie Bromopyruvat, etc., etc. Belege für die Wirksamkeit gibt es so gut wie keine, dafür umso bombastischere Heilsversprechen.

Es ist schon bizarr, dass im angeblich so überregulierten Deutschland bei einer schweren und häufigen Krankheit wie Krebs der Quacksalberei Tür und Tor geöffnet ist. Ausgerechnet bei dieser potenziell tödlichen Krankheit darf jeder, der irgendwann einmal eine Multiple-Choice-Prüfung zu medizinischen Grundkenntnissen abgelegt hat und sich von da an Heilpraktiker nennen darf, fast alles mit seinen Patienten anstellen, wonach ihm der Sinn steht.

Es ist höchste Zeit, dass die Politik das Heilpraktikergesetz verschärft. Das ist auch im Interesse der verantwortungsvoll arbeitenden Heilpraktiker, deren Ruf durch schwarze Schafe massiv Schaden nimmt. Der Kern der Krebsbehandlung gehört auf jeden Fall in ärztliche Hände.

Alles erlaubt? "Therapiefreiheit" heißt das Zauberwort

Aber damit ist das Problem noch lange nicht gelöst. Zwar zeigen Mediziner nun nicht zu Unrecht auf die Zunft der Heilpraktiker, die Probleme mit ihren unseriösen Kollegen hat. Doch auch unter den Ärzten gibt es gar nicht so wenige, die sich kaum um den wissenschaftlichen Standard der Krebsmedizin scheren, wie er in den Leitlinien der medizinischen Fachgesellschaften festgelegt ist. Das Zauberwort heißt „Therapiefreiheit“. Damit können sich Ärzte herausreden, wenn sie ihren Tumorpatienten statt etablierter moderner Behandlungsverfahren ihre Hausmittelchen anbieten.

Auch bei den Medizinern muss die Politik also handeln und die Krebstherapie strenger als bisher regulieren. Therapiefreiheit ja – aber nicht zulasten des Patienten. Jede Freiheit hat ihre Grenzen. Die Leitlinien enthalten das gegenwärtig beste medizinische Wissen und sollten tatsächlich zur verbindlichen Richtschnur der Behandlung werden. Die Ärzteschaft selbst ist zu diesem Schritt nicht in der Lage – obwohl viele Ärzte seine Notwendigkeit sehen –, weil bekanntlich eine Krähe der anderen kein Auge aushackt.

Krebspatienten müssen geschützt werden - und die beste Therapie erhalten

Die Krebsbehandlung steckt in einer Phase revolutionärer Umwälzungen. Neue Erkenntnisse über molekulare und genetische Grundlagen der Geschwulstentstehung lassen sich fast täglich in den Fachjournalen verfolgen. Neue Optionen, allen voran die Immuntherapie, werden die Behandlung tiefgehend und anhaltend verändern.

Der Weg in die Zukunft, zu besseren Heilungsraten, geht nur über intensive Forschung und mit einer gehörigen Portion Spezialwissen. Die Politik muss dabei sicherstellen, dass die Bevölkerung von diesem Fortschritt auch profitiert. Insofern haben die Ereignisse an der niederländischen Grenze immerhin das Gute, dass sie manchem Verantwortlichen nun die Augen geöffnet haben. Hoffentlich.

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